Tichys Einblick
Pfleger berichten

Die Pfleger-Impfpflicht könnte Deutschland in die Triage treiben

TE sprach mit Pflegern aus ganz Deutschland und fasst ihre Eindrücke und Beweggründe gegen die Impfung zusammen. Viele berichten von starken Nebenwirkungen bei Patienten und stehen weiter zu ihrer Entscheidung. Es wird wohl zahlreiche Kündigungen geben, mit fatalen Folgen für das Gesundheitssystem.

IMAGO / Westend61

Franziska ist 32 Jahre alt; sie ist das, wonach Deutschland händeringend sucht. Sie ist jung, sie ist pfiffig, freundlich und arbeitet bei mäßigem Gehalt sowie teils unterirdischen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten in der Pflege. Als sie am 10. Dezember die Nachricht hört, der Bundestag habe jetzt tatsächlich die Impfpflicht für Pfleger beschlossen, fällt sie aus allen Wolken; bis zuletzt hatte sie nicht geglaubt, dass das tatsächlich kommen könnte. „Täglich hören wir jetzt im Fernsehen Triage, Triage, Triage. Aber seit wann ist das denn so? Pflegemangel ist doch keine neue Sache. Wer hat die Pflege denn kaputt gespart all die Jahre?“

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Sie ist entschlossen, sich nicht impfen zu lassen. Vieles sei sie bereit, für ihren Job aufzugeben – die Nachtschichten belasten ihr Privatleben, der Stress setzt einem zu, aber ihre Gesundheit will sie nicht aufs Spiel setzen. Sie misstraut der Pharmaindustrie und ist grundsätzlich gegen jede Form von Gentechnik: „Jahrelang wurden wir darauf trainiert, mit allen Medikamenten extrem vorsichtig, übervorsichtig zu sein. Und jetzt soll dieses Zeug einfach flächendeckend verspritzt werden. Langzeitstudien egal. Das ist alles unerprobt.“

Was Franziska sagt und wie sie es sagt, wäre auf einer Anti-TTIP-Demo vor einigen Jahren absoluter Konsens gewesen. Doch was einst Mainstream links der Mitte war, ist heute eine Position, für die eine Bilderbuch-Stütze unserer Gesellschaft, Pandemie-Heldin, Lebensretterin ihren Job verlieren soll.

Statt ins Pflegeheim aufs Arbeitsamt

Sie hat erstmal beim Arbeitsamt angerufen, was denn nun komme. Die wussten es auch nicht – wie die Politik sich das vorstelle, keine Ahnung. Kündigung, Freistellung, Strafzahlung? So genau hat man sich das in Berlin noch nicht überlegt, offenbar setzt man darauf, dass sich die Pfleger schon impfen lassen werden. Doch das könnte ein verhängnisvoller Trugschluss sein!

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Das Klinikum Itzehohe, in Staatsbesitz, kündigt in einem TE vorliegenden internen Schreiben an: Wer bis zum 15. März nicht über einen vollständigen Impfschutz verfüge, werde „ab 16. März freigestellt“. Da die Mitarbeiter in keinem Bereich der Klinik mehr eingesetzt werden können, werde folglich „auch kein Gehalt mehr gezahlt (auch keine Sozialleistungen)“. 

Diesen Weg könnten viele Kliniken beschreiten. Je nach Rechtslage könnte bei einer Kündigung gerade bei langjährigen Mitarbeitern eine Abfindung fällig werden. Keine Impfung – kein Job – keine Abfindung. So stellt man sich das vor.

Angst geht um bei denen, die vor Kurzem noch als Helden gefeiert wurden. Es sind keine Einzelfälle. Ihren Namen wollen sie nicht nennen. Doch an ihrer Entschiedenheit ändert das nichts: keine Impfung – Gesundheit geht vor. „Das ist doch Psycho-Terror“ sagt Monika, „Kollegen sprechen nicht mehr mit mir, beim Testen will der Arzt dabei sein, damit ich nicht betrüge. Ich arbeite hier seit über 25 Jahren und jetzt bin ich Dreck, nur weil ich diese Spritze nicht nehme?“

Herzmuskelentzündung? Nicht mit mir

Monika ist alleinerziehende Mutter in den späten Vierzigern, Pflegerin; sie erzählt, dass sie nachts kaum mehr schlafen kann. Manchmal, erzählt sie, fängt sie einfach an zu weinen, ohne dass sie es noch kontrollieren könne. Dabei ist sie eigentlich hart im Nehmen, Sächsin aus vollem Herzen, sie hat schon viele Menschen sterben sehen. Aber der Gedanke, unverschuldet arbeitslos zu werden, macht sie krank und vor allem diese Hilflosigkeit … Ihren Sohn versorgen zu können, ist ihr Stolz. „Ich hab‘ mein ganzes Leben geschuftet, hab‘ Überstunden gemacht, Rufdienste, bin eingesprungen, wenn Kollegen krank waren. Und jetzt wollen die mich einfach auf die Straße setzen?“ 
Auch sie möchte von ihrer Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, nicht abrücken. Nach eigener Aussage hat sie erst jüngst einen kaum 25-jährigen Patienten auf der Station gehabt: Herzmuskelentzündung, kurz nach der Impfung. „Selbst wenn ich wollte, ich kann das gar nicht“ sagt sie zur Impfung.

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Fast alle Pfleger, mit denen TE sprach, nennen auch das als Grund, sich nicht impfen zu lassen: Die Impf-Nebenwirkungen, die man in der Klinik zu sehen bekäme. Sie berichten von zunehmenden Fällen von Sinusvenenthrombosen, Gesichtslähmungen, Gürtelrose und verschiedenen neurologischen Erkrankungen. Statistisch ist nicht zu belegen, dass es besonders viele besonders starke Nebenwirkungen gibt. Laut dem Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 26. Oktober liegt die Verdachtsrate bei 1,6 pro 1.000 verimpften Dosen. Die Rate bei schwerwiegenden Nebenwirkungen beträgt sogar bloß 0,2. Grob gerechnet bedeutet das: Bei rund 3 von 1.000 Geimpften könnten Nebenwirkungen vorliegen.

Aber bei manchen Pflegern kommt es nun mal so an. Sie sehen die Menschen leiden, sie behandeln die Menschen. Eine erzählt, sie habe sich in so einem Moment geschworen, diese Impfung niemals anzurühren. „Ich hab‘ das mit meinen Augen gesehen und dann will ein Schlipsträger aus Berlin mir erzählen, ich wäre doof und würde das alles nur nicht richtig verstehen?“ fragt eine. „Man kann sich alles schön rechnen mit schönen Zahlen und Statistiken, aber die Leute, die hier auf Station liegen, werden nicht mehr froh. Für die war die Impfung der Fehler ihres Lebens.“

Wie repräsentativ Eindrücke wie diese sind, sei dahingestellt. Objektivierbar ist aber der aus solchen Eindrücken folgende Effekt: Einige Pfleger haben große Hemmungen, diese Impfung zu nehmen. Eine Untersuchung der US-Gesundheitsbehörde zeigte, dass die Impfquote unter Klinikmitarbeitern geringer ist als in der Gesamtbevölkerung. Und das sogar trotz bereits beschlossener Impfpflicht. Auch in Deutschland war das zunächst so: Mitte November waren in Ostdeutschland gerade einmal 50 Prozent der Altenpfleger geimpft, deutlich weniger als in der Gesamtbevölkerung.

Die dürftige Studienlage zeichnet ein widersprüchliches Bild: In den Krankenhäusern sollen nun doch über 90 Prozent geimpft sein – allerdings wird auf diese Mitarbeiter auch seit Monaten enormer Druck ausgeübt, weitaus mehr als in der Bevölkerung allgemein. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Aber bei TE haben sich viele Beschäftigte gemeldet, ihre Erzählungen und Erfahrungen decken sich. Wer Nebenwirkungen gesehen hat, fällt einen Entschluss, der lautet: nicht mit mir, niemals.

In Bayerns Wetterecke ist der Widerstand besonders hoch

Besonders in Regionen mit niedriger Impfquote ist diese entschiedene Skepsis ein Massenphänomen. Hier dürfte die Lage sich besonders zuspitzen. Der Ton wird rauer, auch hier. Im bayrischen Traunstein demonstrierten kürzlich 1700 Bürger gegen die Impfpflicht – fast 10 Prozent der Einwohner sind also auf der Straße, umstellt von einem enormen Polizeiaufgebot. Die CSU hat dort bei der Bundestagswahl zweistellig Stimmprozente verloren. TE untersuchte das Geschehen exemplarisch am RoMed-Klinikum im oberbayerischen Rosenheim sowie am Klinikum Chemnitz in Sachsen. Beide haben etwas über 2000 Mitarbeiter – und in beiden zeigt sich eine bereits fortgeschrittene Organisationsstruktur von medizinischem Personal gegen die Impfpflicht. Das Personal organisiert sich gegen die Krankenhausleitung. In Rosenheim haben sich an die 10 Prozent der Mitarbeiter, in Chemnitz nur bedingt weniger aktiv vernetzt.

Dubiose Äußerungen von Klinikchef
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Sie bilden den Kern des Widerstands gegen die Impfpflicht. Aber auch andere lehnen die Impfpflicht ab. Die allermeisten ringen gerade mit sich, ob sie sich noch impfen lassen sollen. Viele scheinen fest entschlossen. Gerade diejenigen, denen ohnehin schon die Möglichkeit der Frührente winkt, wollen lieber früher aussteigen. Aber genau solche erfahrenen Kräfte werden derzeit gebraucht. Manch andere haben Ehepartner, die genug verdienen; Pflege ist immer noch Frauenberuf, Familienarbeit die Alternative; verbunden mit bezahlter Nachbarschaftspflege. Im ländlichen Oberbayern kennt man sich und hilft sich. „Irgendwas werden wir schon finden“, sagen sie. Einsatzbereite Arbeitskräfte sind in der Tat Mangelware – im Einzelhandel verdient man vielleicht weniger, es ist aber auch weniger Stress, viel weniger Verantwortung, kein Nachtdienst, der Sonntag gehört der Familie. Für viele ist vielleicht auch eher das Empfinden ausschlaggebend: Ich habe viel ertragen, aber jetzt ist Schluss. „Wenn ihr mich nicht wollt, dann pflegt doch alleine. Viele Spaß!“, sagt ein Pfleger.

Eine Rosenheimer Pflegerin sagt: „Wir arbeiten lange genug in der Pflege, um sehr wohl zu erkennen, was sich seit den Impfungen verändert hat, und niemand kann von uns verlangen, dass wir uns diesem Risiko aussetzen.“ Auch wenn sie ansonsten bereit seien, anderen Menschen ihre Hilfe und Fürsorge zuteil werden zu lassen, sei hier „eine rote Linie“ überschritten. Sie sagt, man könne ja abwarten, wie verantwortungsvoll und vertrauenswürdig eine Regierung mit der Gesundheit umgehe, die ihre Versprechen schon am ersten Tag nach der Wahl bricht. „Es liegt in ihren Händen. In unseren jedenfalls nicht mehr.“

Der selbsterzeugte Engpass

Wenn wirklich ein großer Teil der umgeimpften Pflegekräfte lieber aussteigt, als sich doch noch impfen zu lassen, könnte tatsächlich drohen, wofür die gesamten Corona-Maßnahmen das Gesundheitssystem bewahren sollen: die Triage, also der Zwang, bestimmte Patienten nicht mehr intensivmedizinisch behandeln zu können. Denn es geht beim Thema Überlastung der Krankenhäuser weder um die Zahl der physisch vorhandenen Betten (davon gab es immer genug und die Politik hat mit hunderten Millionen noch zahlreiche neue gekauft), und es geht auch nicht um die Zahl der Corona-Patienten. Es geht im Wesentlichen um die Zahl des einsatzbereiten Pflegepersonals. Zeitweise sind in Rosenheim fast die Hälfte der physischen Intensivbetten nicht einsetzbar, weil kein Personal da ist. Mit jeder Krankmeldung, jedem Mutterschaftsurlaub, jeder Pensionierung gehen Betten vom Netz. Das Personal kommt kaum nach und wenn, dann schlechter ausgebildet und oft mit nur wenig Deutschkenntnissen. In Nordrhein-Westfalen allein gaben über 1000 Intensivpfleger während der Pandemie ihren Job auf, Pfleger berichten von zunehmenden Krankmeldungen. Der Stress und die durch die drastischen Hygienemaßnahmen ausgeweitete Belastung, halten viele nicht mehr aus.

"jetzt schon überlastet"
ZDF-Befragung: Pflegerinnen erklären, warum die beschlossene Impfpflicht falsch ist
In den Kliniken, in denen TE recherchierte, werden nach unserem Eindruck fünf Prozent, vielleicht sogar zehn Prozent der Pfleger durch die Impfpflicht entfallen. Dieser Personalrückgang wird die Behandlungskapazitäten des Krankenhauses in einem höheren Prozentsatz mindern. Denn es fällt nicht nur die konkrete Pflege von Patienten weg, auch ganze Arbeitsprozesse drohen zusammenzubrechen. Gerade Fachpfleger oder Medizinisch-Technische Assistenten sind auch aus rechtlichen Gründen überhaupt nicht zu ersetzen. Die meisten Stationen laufen aber durch den wirtschaftlichen Druck ohnehin schon nach dem Prinzip einer möglichst maximalen Auslastung. Große Reserven gab es nie. In Bayern sind weniger als 10 Prozent der betriebsbereiten Intensivbetten frei – das liegt nicht in erster Linie an Corona, sondern am drastischen Rückgang der Behandlungskapazitäten. Gerade dieser Puffer, der eine gewisse Krisenresistenz bietet, wird durch die Pfleger-Impfpflicht zerstört. Danach droht wirklich Triage.
Pfleger können Ansteckung beherrschen

Die Schuld daran trägt die Politik, die völlig rücksichtslos vorgeht und ausblendet, dass Pfleger darauf ausgebildet und in der Lage dazu sind, Ansteckungen zu verhindern. Dass die Impfung ohnehin keine sterile Immunität bringt, ist mittlerweile offensichtlich. Ein Pfleger erzählt: „Am Anfang der Pandemie hat man mir trotz typischer Symptome gesagt, ich soll zur Arbeit kommen, die Kapazitäten werden knapp. Jetzt trag‘ ich zwei Masken übereinander, Schutzbrille, Schutzkleidung, Handschuhe, den ganzen Tag, teste mich täglich. Jetzt sagt man mir, dass ich so nicht mehr arbeiten darf.“

Und selbst wenn man es anders sieht: Es wird einfach nicht gelingen, diese Pfleger zum Impfen zu bringen. Wer mit diesen Menschen spricht, spürt: Da ist einfach kein Spielraum. Das ist nicht ein bisschen Unsicherheit oder angebliche Faulheit, das ist tiefste Überzeugung. Und diese Position wird durch den derzeitigen Umgang mit ihnen nur verhärtet. Ungeimpfte Pfleger sollen keinen Pandemie-Bonus erhalten, obwohl sie doch genauso gepflegt haben wie alle anderen auch. Sie werden von Kollegen beschimpft, von Gewerkschaften im Stich gelassen, von der Politik geopfert. TE liegen mehrere Briefe von Klinikleitungen an ihre ungeimpften Mitarbeiter vor, die das bestätigen.

Demo-Vielfalt
Corona-Demonstrationen in vielen Städten in West- wie Ostdeutschland
Prof. Jens Scholz, der Bruder des Bundeskanzlers, etwa ist Vorstandsvorsitzender des knapp 15.000 Mitarbeiter starken Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. In einem Schreiben an seine Mitarbeiter findet er kein Wort des Bedauerns für die schwierige Situation seiner Beschäftigten, stattdessen schreibt er: „Wir begrüßen die Entscheidung der Bundesregierung.“ Dem Schreiben des Klinikums Itzehoe, indem die Freistellung ungeimpfter Mitarbeiter angekündigt wird, wird gar eine hauseigene Karikatur beigelegt: Zu sehen sind vier ältere Damen beim Kaffeekranz. Die eine sagt: „Dr. Kappus hat sich bereit erklärt, zu Kaffee und Kuchen die dritte Impfung zu geben“, die andere Dame entgegnet: „Boosterkuchen sozusagen“. Dr. Kappus ist der Name des ärztlichen Direktors der Klinik. Mitarbeiter erfahren also mit einem Witz, dass sie bald keinen Lohn mehr erhalten werden.
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