Tichys Einblick
"Armutsfalle Pflegeheim"

Immer mehr Heimbewohner sind von Sozialhilfe abhängig

Die Kosten der Pflege explodieren. Für Heimbewohner bedeutet das steigende Eigenanteile. Der Staat gerät an seine Grenzen: Trotz Reformen ist bald wieder jeder dritte Heimbewohner abhängig von Sozialhilfe.

Schild vor einem Seniorenheim in Ruhpolding

IMAGO / Rolf Poss

Von der „Armutsfalle Pflegeheim“ berichtet die DAK-Gesundheit. Das ist bemerkenswert, denn eigentlich neigen Krankenkassen eher zu sprachlicher Zurückhaltung. Doch die Situation ist dramatisch, so wie es die DAK in einer Meldung beschreibt: „Durch die massiv gestiegenen Kosten in der stationären Pflege erreicht die Belastung der Pflegebedürftigen trotz der jüngsten Reformschritte bereits in diesem Jahr ein neues Rekordniveau.“

Für die DAK hat der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang die Lage auf dem Pflegemarkt analysiert. Seine Ergebnisse sind erschreckend: Ohne weitere Reformen werden in drei Jahren 36 Prozent der Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sein. Zwar habe es bereits eine Reform gegeben. Doch deren Ergebnisse sind laut Rothgang bald „verpufft“. Noch in diesem Jahr werde wieder ein Drittel der Heimbewohner in Sozialhilfe fallen – damit erreiche die Quote erneut den Höchststand, den sie vor der Reform hatte. Zwischenzeitlich war die Quote auf 30,5 Prozent gesunken.

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Die DAK fordert, die Quote müsse unter 30 Prozent gehalten werden. Nur lässt sich das halt nicht festschreiben, resultiert die Anzahl derer, die in der Sozialhilfe landen, aus den realen Einkommen der Bewohner – ebenso wie aus den realen Kosten in der Pflege. Doch die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben scheint weiter auseinander zu gehen. Und das, trotz der jüngsten Rentensteigerung. Die Inflation ist einfach stärker. Ebenso wie die strukturell steigenden Kosten für Pfleger und Energie.

Diese steigenden Kosten bleiben meist bei den Bewohnern und ihren Angehörigen hängen, sagt DAK-Chef Andreas Storm. Er fordert daher: „Es muss deshalb, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, dringend geprüft werden, wie die kontinuierlich steigenden Eigenanteile weiter gesenkt werden können.“ Das könne dadurch erreicht werden, dass der Staat die pauschalen Leistungsbeträge erneut anhebt. Insgesamt müsse ein „fairer Finanzierungsmix“ aus Steuern und Pflegebeiträgen gefunden werden, sagt Storm.

Nur: Die Sozialsysteme sind insgesamt an eine Grenze gestoßen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) musste im zurückliegenden Sommer die Pflegeversicherung bereits mit notdürftigen Maßnahmen finanziell retten. Eine Reform, die dazu dient, die Pflegeversicherung langfristig zu sanieren, hat Lauterbach angekündigt – und ist er noch schuldig. Experten schätzen das strukturelle Defizit auf etwa 5 Milliarden Euro im Jahr. Die Versicherung mit weiteren Kosten zu belasten, wird daher kaum möglich sein. Zumal Lauterbach ohnehin bis August ein Urteil des Verfassungsgerichts umsetzen muss, nach dem kinderreiche Familien weniger in die Pflegeversicherung einzahlen müssen – womit dieser wiederum weiteres Geld fehlt.

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Zusätzlich Steuern in die Pflegeversicherung umzuleiten, ginge. Grundsätzlich. Nur fehlt dafür der politische Wille. Lauterbach bedrängt Finanzminister Christian Lindner (FDP), weil der mit Blick auf die Konsolidierung des Haushalts kein weiteres Geld freigeben wolle. Lindner hält dagegen, dass Lauterbach zwar einen akuten Finanzbedarf anmelde. Aber gleichzeitig Geld in die Luft blase für teure Prestigeprojekte wie die „Gesundheitskioske“. Noch hat die Debatte nicht offen begonnen, dürfte aber in Richtung Sommer an Fahrt gewinnen – wenn Lauterbach politisch mit dem Rücken gegen die Wand geraten wird.

Zu der durchschnittlichen Höhe der Eigenanteile gibt es unterschiedliche Angaben. Die DAK spricht von über 1000 Euro. Der Dachverband der Privaten Krankenversicherung, PKV, gibt an, dass im Juli der durchschnittliche Eigenanteil bei monatlich mindestens 1569 Euro gelegen hat – für Menschen, die erst seit einem Jahr im Heim sind, sind es demnach aber durchschnittlich 2245 Euro im Monat.

Ein Ausweg aus dem Dilemma in der Pflege wäre Sparen. Auch da macht die DAK einen Vorschlag: Die Pflege zu Hause solle gestärkt werden, ebenso wie die „Kurzzeitpflege“. Auch bringt die DAK eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung ins Gespräch. Nur wirft das eine andere Frage auf: Um wie viel Prozent dürfen Abzüge noch steigen, bevor es für einen Arbeitnehmer finanziell einträglicher ist, zu Hause zu bleiben und Bürgergeld zu beziehen? Damit, Geld hin und her zu schieben, wird es in der Sozialversicherung nicht getan sein.

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