Tichys Einblick
Öffnungsträgheit

Neuer Corona-Plan: Wir Schüler kommen wieder zuletzt

Deutschland macht sich locker. Doch was ist in den Schulen los? Hier sucht man vergeblich nach mutigen Öffnungsschritten. Die beiden Autorinnen, Schülerinnen in Berlin und Niedersachen, sind genervt.

Seit Sommer 2020 herrscht Maskenpflicht im Unterricht. Damals wurde uns noch gesagt, dass diese nur für die zwei Wochen nach den Sommerferien gelten würde, um die Infektionsgefahr, nachdem alle im Urlaub waren, zu senken. Doch sie hält bis heute an.

Dabei werden überall in Deutschland Lockerungen angekündigt, in immer mehr Nachbarländern fallen sämtliche Corona-Maßnahmen, die 3G-Regel löst in Berlin die 2G-Regel ab, und ein wenig Hoffnung auf das Ende der Pandemie keimt auf. Menschen sind auf den Straßen wieder in Massen unterwegs, und es herrscht eine heitere Stimmung. Nur bei uns Schülern bleibt es bei der gleichen alten Corona-Ödnis. Für uns ändert sich mal wieder nichts. 

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In Niedersachsen wurden die Testungen von fünf auf „nur“ drei pro Woche reduziert. Vielen Dank für diese Güte! Doch dann kam die grandiose Idee, dass sich – sobald ein Schüler im Jahrgang einen positiven Schnelltest hat – der ganze Jahrgang wieder jeden Tag testen muss. Dieses Vorgehen wurde auf den Namen „ABIT-Verfahren“ getauft. Ausgeschrieben: anlassbezogenes Intensiv-Testen. Und das läuft an meiner Schule schon seit dem 17. Januar dieses Jahres. Im Ernst: Diese „vorsichtigen Lockerungen“ beim Testen hätten sie auch lassen können. Sie hätten genauso gut sagen können, dass sie die Fenster von Gefängnissen jetzt nicht mehr mit fünf Gitterstäben ausstatten, sondern nur noch mit drei, wobei man anlassbezogen auch noch zwei hinzufügen kann. Es kommt aufs Gleiche hinaus: Man kommt nicht raus. 
Tägliches Auskratzen der Nasenhöhle

In Berlin sieht es nicht anders aus: In den letzten Wochen durfte ich mir täglich meine Nasenhöhlen mit den Teststäbchen auskratzen und mir eine OP-Maske umklemmen. Die offenen Fenster sorgten dafür, dass es nicht zu warm im Klassenraum wurde und wir Schüler nicht noch auf die Idee kamen, unsere Jacken auszuziehen. Tja, und in den Öffis darf ich mir neuerdings sogar die FFP2-Maske ins Gesicht kleben. 

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Wo bleiben die Lockerungen für uns Schüler? Laut dem neuen Infektionsschutzgesetz, das am 18. März beschlossen wurde, soll die Maskenpflicht in den Schulen am 4. April fallen. Doch wie immer gibt es einen Haken: Wenn die Schule in einem Coronahotspot liegt, kann die Maskenpflicht einfach wieder eingeführt werden. Ob ein Coronahotspot vorliegt, ist voll und ganz den Landesparlamenten überlassen, es gibt keine Grenzwerte. Seit dem 7. März ist die Maskenpflicht in Schulen in Hessen, Rheinland Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt schon entfallen. Ob unsere Schulen in Niedersachsen und Berlin am 4. April zufälligerweise zu solchen Coronahotspots werden, müssen die Politiker wohl noch in ihrer Glaskugel ablesen. 
Lehrer wollen, dass wir fünfeinhalb Stunden am Tag FFP2-Masken tragen

Gerade für uns Jugendliche und Kinder ist die Maskenpflicht belastend. In den Öffis habe ich manchmal mitbekommen, wie sich kleine Jungs, vielleicht 7 bis 9 Jahre alt, übergeben haben – ich denke, das liegt an der FFP2-Maske. Mir wird selber nach einer Zeit unter so einem Lappen übel. Zu der Funktion der Maske als Taschentuch gesellt sich nun eine neue: die Kotztüte. In der Schule sieht es nicht anders aus, ich meine: Wenn ich 90 Minuten am Stück den eigenen Atem inhaliere, wird mir schlecht. Ja, diese Maskenpflicht ist zum Kotzen. Und eines ist klar: Durch die FFP2-Maske sind wir Jugendlichen auch noch beim Kampf gegen Pickel und trockene Haut Verlierer. Manche Mitschüler haben schon durch die Maske faustgroße, rote Flecken um den Mundbereich. Ich merke auch schon, wie ich dem Juckreiz um den Mund nicht mehr widerstehen kann. 

Doch viele Lehrer unterstützen die Maskenpflicht: Unsere Klassenlehrerin forderte die Klasse mehrmals dazu auf, FFP2-Masken zu tragen. Man bedenke: Sie wollte, dass wir die FFP2-Maske den ganzen Schultag lang tragen – fünfeinhalb Stunden am Tag. Selbst die vorgeschriebenen Maskenpausen wurden ignoriert, und wenn man kaum noch Luft bekommt, soll man das einfach aushalten, weil man sich ansonsten ja einer unbeschreiblichen Gefahr aussetzen würde. Aber welcher Gefahr eigentlich? Das Risiko, mit einem schweren Verlauf an Corona zu erkranken, ist bei uns Schülern verschwindend gering.

Schüler sollen brav bis zum Schluss ihre Maulkörbe behalten

Doch leider machen auch viele Schüler diese Tortur ohne Murren mit. Wenn ich mit Mitschülern darüber rede, kommt entweder ein: „Das sind halt die Regeln und wir müssen sie befolgen“, oder ein: „Die Maske stört mich gar nicht“ , während sie mich bleich anstarren und sich im Gesicht kratzen – sehr überzeugend. Ich habe manchmal das Gefühl, sie wollen die Maske nicht mehr loswerden. Dabei waren vor Kurzem noch einige neidisch auf Schüler, die eine Maskenbefreiung haben – sie fragten, wie man so ein Attest bekommt oder für wie viel Geld sie es ihnen abkaufen könnten. Doch im nächsten Moment reden sie davon, dass Lockerungen jetzt total unverantwortlich wären, oder setzen sich freiwillig eine FFP2-Maske auf, weil das ja sicherer sei. 

Mal Klartext: Wie kann es sein, dass wir Schüler zuletzt kommen? Wenn schon Lockerungen, dann bitteschön richtig und wir Kinder und Jugendliche als erstes – so habt ihr es uns doch versprochen, oder etwa nicht? 2019 rannten Schüler und Erwachsene auf „Fridays for Future“-Demos herum und verkündeten, dass wir Kinder und Jugendlichen die Zukunft seien und die Erwachsenen sie uns kaputt machen würden. Wo bleibt diese Bewegung jetzt, wo wir Schüler von der Politik vergessen werden und wir wirklich leiblich etwas zu beklagen haben? Wegen ihnen durften wir mehrere Lockdowns durchmachen, und selbst jetzt, wo das Ende der Pandemie in Sicht ist, sollen wir brav bis zum Schluss unsere Maulkörbe tragen. 

Wer ist die letzte Generation, die frei durchatmet?

Es wird immer gesagt, wir seien die Zukunft. Wie soll die Zukunft aussehen, wenn uns beigebracht wird, dass es sicherer ist, uns zu isolieren, wenn wir Angst vor etwas haben? Wir haben durch die Politik so viel durchgemacht, zu viel. Das zeigt den wahren Stellenwert von uns Schülern für die Politiker. Wie sieht es aus? Sind wir Kinder und Jugendliche nun eure Zukunft, oder wollt ihr die letzte Generation sein, die frei durchatmen konnte?


Selma Green und Gesche Javelin (beide 16 Jahre alt) sind Schülerinnen. An diesem Samstag schreiben auf TE – neben den allsamstäglichen Serien – nur junge Autoren. 

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