Tichys Einblick

Neubesetzungen am Verfassungsgericht: Juristen mit politischer Agenda

Der frühere CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth soll Präsident werden, die Staatsrechtslehrerin Astrid Wallrabenstein Richterin. Sie fiel mit bemerkenswerten Positionen zum Doppelpass auf.

Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein

imago images / Metodi Popow

Der Bundesrat wählte an diesem Freitag die Frankfurter Staatsrechtslehrerin Astrid Wallrabenstein auf Vorschlag der Grünen als neue Richterin am Bundesverfassungsgericht. Sie soll im Zweiten Senat die Richterstelle von Präsident Andreas Voßkuhle einnehmen, der nach Ablauf seiner regulären Amtszeit das Verfassungsgericht verlässt. Außerdem wird der bisherige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, plangemäß Präsident des Verfassungsorgans. Mit Harbarth gelangt ein Wirtschaftsanwalt an die Spitze des höchsten Gerichts, der keine Erfahrung als Richter besitzt, aber bis vor kurzem als Bundestagsabgeordneter der CDU an politischen Entscheidungen beteiligt war, über deren Verfassungskonformität er urteilen soll.

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Interessant ist auch die Personalie Wallrabenstein. Mit ihr kommt eine Richterin nach Karlsruhe, die sich ebenfalls durch eine dezidiert politische Agenda auszeichnet. Die 1969 geborene Juristin lehrt an der Frankfurter Goethe-Universität Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Sozialrecht. Die meinungsstarke Professorin profilierte sich in der Vergangenheit vor allem mit Wortmeldungen zu dem Recht der Staatsangehörigkeit und der Migration. Sie gehört zu den Juristen, die sich grundsätzlich dagegen wenden, dass Doppelstaatler ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können – selbst dann, wenn sie sich ausländischen Milizen oder Terrororganisationen anschließen.

„Der Verlust des deutschen Passes drohte dann jedem Angehörigen eines Guerillaverbands. Kurden, Palästinenser oder Tschetschenen mit einem Doppelpass, die im Kampf um die Autonomie ihrer Region in eine Miliz eintreten, würden ausgebürgert“, sagte Wallrabenstein im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Das zeigt, wie uferlos diese Idee ist.“

Das Argument, dass ein Angehöriger fremder Milizen oder Terrororganisationen durch den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft dann nicht mehr problemlos wieder nach Deutschland einreisen und hier die öffentliche Sicherheit bedrohen könnte, nannte Wallrabenstein in einem Beitrag für FAZ 2019 „egoistisch“. In dem Interview mit der Süddeutschen Zeitung argumentierte sie: „Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit würde dazu führen, dass ein wahrscheinlich gefährlicher Terrorist in einem anderen Staat zur Verantwortung gezogen oder vielleicht als ‚Gefährder’ überwacht werden müsste. Da stellt sich die Frage: Sind andere Staaten wirklich besser gerüstet, um gegen einen Terroristen vorzugehen, als wir das sind, mit unserem Strafrecht und Polizeirecht?“

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Außerdem befasst sich Wallrabenstein schwerpunktmäßig mit den Themen Migration und Sozialstaat. Seit 2018 arbeitet die Juristin als Goethe-Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften Bad Homburg mit dem Projekt „Migration und Gerechtigkeit im Sozialstaat“ mit. Die Ziele des Projekts beschreibt die Staatsrechtslehrerin und künftige Verfassungsrichterin so:

„Neue oder zumindest neu wahrgenommene Migrationsströme stellen derzeit das Selbstverständnis der nationalen Sozialstaaten in Frage und führen zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die gegenwärtig als überraschend und wenig erklär- oder vorhersehbar interpretiert werden. Das Projekt will auf drei analytischen Ebenen Beiträge zur Einordnung und Erklärung leisten und dies mit Positionen und Empfehlungen zur Gestaltung der Sozialstaaten unter modernen Migrationsbedingungen zumindest in Europa verbinden. Zum einen soll ein gegenüber den bisherigen Angeboten komplexeres Modell für den Vergleich von Wohlfahrtsstaaten in Bezug auf ihren Umgang mit Migration erarbeitet werden. Zum zweiten sollen Ideen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einem Raum von Wohlfahrtstaaten entwickelt und diskutiert werden. Zum dritten soll der Transfer wissenschaftlicher Reflektionen über die gegenwärtige Durchsetzung (neo)liberaler Gerechtigkeitsvorstellungen auf die konkreten nationalen und europäischen Debatten zur Migrations- und Sozialrechtsreformen geleistet werden.“

Mit der Wahl von Habarth und Wallrabenstein setzt sich die Tradition fort, Juristen mit starker politischer Profilierung an das Bundesverfassungsgericht zu entsenden. Im Jahr 2010 gelangte die Professorin Susanne Baer auf Vorschlag von SPD und Grünen als Mitglied des 1. Senats nach Karlsruhe. Baer hatte vorher das „Gender-Kompetenzzentrum“ an der Humboldt-Universität Berlin geleitet.

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