Nach dem Tod von Mahsa Amini brach im Iran eine massive Welle des breiten Protests los, die weiterhin nicht abebben oder enden will. Zigtausende Menschen gingen und gehen jeden Tag unter großen Risiken für ihr Leib und Leben für die Freiheit auf die Straße. Frauen, die ihre Kopftücher in der Öffentlichkeit verbrennen, Männer die sich schützend vor sie stellen und applaudieren. Sämtliche iranische Aktivistinnen, die in Amerika im Exil leben, versuchten auf Social Media Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse im Iran zu lenken – für viel zu lange Zeit allerdings vergeblich.
Die Angst der Mullahs
Der iranische Regierungsapparat widerspricht den Angaben der Eltern von Mahsa Amini. Die Polizei behauptet, die 22-Jährige sei an einem Herzinfarkt verstorben. Innenminister Ahmad Vahidi äußerte sich: „Wir haben keinen Bericht, dass die Aufsichtsbehörden diese Frau geschlagen haben. Wir sind uns dieses Vorfalls bewusst, ob er nun stattgefunden hat oder nicht. Im Grunde genommen hat die Sittenpolizei gar keine Mittel, um zu schlagen. Das heißt, sie hat weder Schlagstöcke noch andere Mittel.“
Die staatlichen Propaganda-Medien arbeiten auf vollen Touren, um den Vorfall zu verharmlosen, so schreiben sie beispielsweise, der Vorfall werde instrumentalisiert, um das Volk aufzuhetzen – kommt Ihnen diese Rhetorik bekannt vor? Es ist offensichtlich: Die Mullahs haben Angst. Ihr Reich steht kurz davor zusammenzubrechen. Die Proteste hören schon seit Wochen nicht mehr auf, egal mit welcher Härte das Regime zurückschlägt.
Die Feigheit des Westens
Traurigerweise macht währenddessen der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk etwas sehr Ähnliches wie der iranische Gegenpart. Das FUNK-Format „Mädelsabende“ teilt auf Instagram die Botschaft: „Kopftücher brennen symbolisch. Es geht hierbei nicht um einen Protest gegen Kopftücher oder den Islam an sich.“
— Schwarz-Gelbe Zukunft ???????? (@SG_Zukunft) October 2, 2022
Der Fall von Mahsa Amini ging bereits tagelang weltweit in Hochfrequenz auf Social Media herum, als Außenministerin Baerbock sich überhaupt zum ersten Mal halbherzig dazu äußerte; das Auswärtige Amt ließ sich weiterhin Zeit. Als man sich dann endlich traute, konnte man gar nicht mehr aufhören mit triefigen Tweets – ohne sonstige Ankündigung oder Androhung von konkreten Folgen oder direkten Sanktionen gegen das Mullah-Regime.
Proteste vor dem Brandenburger Tor, auf dem alle Politiker versammelt waren, die lange nicht mehr in der Presse waren. Inzwischen hat Baerbock sich sogar nochmal zum Iran geäußert: „Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts – aber auch gar nichts – mit Religion oder Kultur zu tun.“
Julia Neumann hat sich bis heute noch nicht weiter zu dem Tod von Mahsa Amini geäußert – obwohl sie ihr das eigentlich schuldig wäre. Vielleicht erinnern Sie sich an die taz-Journalistin – eine Frau ohne Kopftuch wohlgemerkt –, die im August den Artikel „Das bisschen Wind im Haar“ veröffentlichte.
In diesem Meinungsbeitrag ließ sie sich über die Anti-Kopftuchbewegung im Iran aus, insbesondere über die Aktivistin Masih Alinejad, die diese Bewegung aus dem Exil heraus in Amerika anführt und sich um die Aufmerksamkeit der Medien im Westen bemüht. „Die Protestaktionen der iranischstämmigen US-Aktivistin Masih Alinejad stehen für westliche Ideologien.“ Sie verglich damals das Ablegen des Kopftuchs im Iran mit der Wirkung, die es hätte, wenn hierzulande Nonnen ihre Kopfbedeckung abnehmen würden. Als müssten Nonnen fürchten, dafür um Leib und Leben gebracht zu werden. „Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht. Frauen im Iran können nicht genießen, wie ihnen der Wind durch die Haare weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen.“
Das Problem, das sie damals so verharmlost hat, hat nun eine 22-jährige Frau das Leben gekostet und bei den Proteststürmen im Anschluss weitere junge Frauen und Männer – es gipfelte zuletzt in Schüssen der Mullah-Polizei auf Studenten der Universität, während die ganze Welt dabei zusehen muss und die deutsche Politik nach dem Tippen eines auf der Empörungsskala im sanftgrünroten Bereich liegenden Tweets die Hände danach artig wieder in den Schoß legt.
Brennt das Kopftuch als Symbol?
Trotzdem stellen sich hierzulande Frauen hin und analysieren die Proteste wie eine Deutschlehrerin Schiller – so verdreht, dass am Ende das rauskommt, was sie selbst darin lesen wollen. Mit Religion oder gar mit dem Islam hat da nichts zu tun. Nichts hat mit nichts zu tun. Selbst wenn die Frauen im Iran es anders sagen.
Das iranische Regime hat wieder einmal gezeigt, was Islamisten am meisten fürchten: Frauen, die ihre Rechte einfordern. Doch ausgerechnet aus dem Land, das trotz gesetzlicher garantierter Gleichberechtigung immer noch den Kampf des Feminismus weiterführt, können diese Frauen keine Hilfe erwarten.