Tichys Einblick
Der NDR agitiert mit Polit-Kitsch

Sankt Kevin, der Held

Die sechsteilige NDR-Dokumentation "Kevin Kühnert und die SPD" ist nur in dem Sinne eine Dokumentation, als dass sie dokumentiert, wie sehr die Öffentlich-Rechtlichen journalistische Standards der Objektivität gegen die aktivistischen Methoden der Agitation und Propaganda eingetauscht haben.

Kevin Kühnert mit den Dokumentarfilmern Lucas Stratmann und Katharina Schiele beim Filmfest Hamburg am 2.10.2021

IMAGO / CHROMORANGE

Jede Zeit besitzt ihre Heiligen. Es sagt viel über die Zeit aus, wen sie vergöttert. In den säkularen 1.-Mai-Prozessionen wurden ehrfürchtig die Bilder von Marx, Engels und Lenin getragen, dann kamen Stalin, schließlich Mao hinzu, bis man es schließlich wieder bei Marx, Engels und Lenin bewenden ließ. Stalin und Mao büßten recht schnell ihren Heiligenstatus wieder ein. Nach 1990 glaubte man schon, dass die säkulare Heiligenverehrung außer Mode gekommen ist. Aber die Vorstellung von Objektivität war wohl so ein ausgehendes „20.-Jahrhundert-Ding“.

Der NDR finanzierte und produzierte nun eine gar sechsteilige Serie über Kevin Kühnert, eigentlich nicht über Kevin Kühnert, sondern als Apotheose Kevin Kühnerts. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht im Weiteren nicht um den real existierenden Kevin Kühnert, sondern um die Kunstfigur Kevin Kühnert, den Helden der NDR-Hagiographie, und am Rande um die SPD, wie der Titel richtig sagt: „Kevin Kühnert und die SPD“. Selten traf ein Titel genauer zu. Vielleicht ist die SPD auch nur noch eine Juso-Partei. Das müssen sie in der SPD entscheiden, was sie sein wollen.

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Ein Team des NDR begleitete den SPD-Nachwuchspolitiker von 2018 bis zur Bundestagswahl 2021, die den Abschluss bildet. Es entstand mit größerem finanziellen Aufwand eine Dokumentation, die man nur in dem Sinn Dokumentation nennen darf, als dass sie dokumentiert, wie sehr die Öffentlich-Rechtlichen journalistische Standards der Objektivität gegen die aktivistischen Methoden der Agitation und Propaganda eingetauscht haben. Sechs Folgen sind immerhin entstanden, in denen immer wieder Kevin Kühnert und eigentlich nur Kevin Kühnert zu sehen ist, zumeist mit seinem Pressesprecher, sich selbst aufreibend, in der ersten Folge häufig abends oder nachts, einsam, der Held, der Erlöser, Kevin der Denker, Kevin der Stratege, Kevin in den Niederungen der Taktik, der dennoch seine Ziele nicht aufgibt, der an seiner Partei leidet, aber aus schweren Niederlagen aufsteigt und sich nicht beirren lässt, um Deutschland zu retten, um den armen, unter der Knute des Wohlstands des Kapitalismus leidenden Menschen den Weg in den Sozialismus zu offenbaren. Und gegen welche Widerstände hat er nicht alles zu kämpfen, sogar gegen eine übermächtige Andrea Nahles, von der nur bleibt, wie sehr sie sich über die Abstimmung über die Kastration von Ferkeln in der SPD-Fraktion ereifert und beulkt.

Dunkle Farben dominieren im ersten Teil der „Doku“, hässliche Räume, Welten ohne Hoffnung. Kühnert der einsame Held, gern in der Großaufnahme des Gesichts, der selbst unter vielen noch einsam ist, weil ihn eine Mission antreibt, unter Leiden, ohne Schonung seiner selbst, der immer den richtigen Weg weiß und ihn geht – alle Kümmernis der Erde auf seinen jungen Schultern. In der dunklen Welt, die uns die Filmemacher zeigen, ist Kevin Kühnert die einzige Hoffnung. Gern werden Schlagzeilen eingeblendet, am liebsten die der Süddeutschen. Wird überhaupt eine andere Zeitung zitiert?

Erzählt im Sinne des Erzählens wird in dem Film nichts, gar nichts. Es wird nur die Passion des Kevin Kühnert bebildert, wieder und immer wieder und eigentlich nur. Eine Passion allerdings ohne Kreuz, es ist ja eine säkulare Hagiographie. So wird der Film im eigentlichen Sinne zu einer Folge animierter Porträtfotografien. Um das auszuhalten, muss man schon viel Glaubenswillen mitbringen. Ganz verliebt sind die Kameraleute in Kühnerts Gesicht, nicht genug können sie davon bekommen, nicht detailliert, nicht groß genug können sie es fotografieren, als bestünde darin der Sinn des Films. Die SPD hingegen kommt eigentlich nicht vor. Immer wieder der einsame Held, immer wieder in Düsternis, durch die er sich kämpft, unterlegt mit einer melodramatischen Musik, mit dem Tremolo der Bedeutungshuberei, die fehlende Bedeutung ersetzen soll, uns aber stattdessen die Botschaft des schweren Weges einhämmert. Dramaturgie ist für die Film-Autoren ein Fremdwort.

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Im Look zwar moderner scheint dennoch die Tradition des Personenkults durch. Kritik wagen die Macher nicht, Distanz fehlt völlig, Widersprüche im Protagonisten werden nicht gezeigt, eine andere Erzählweise als die Heiligenlegende wird nicht einmal zitiert, geschweige denn gewagt. Man erlebt Kühnert nicht als Menschen, sondern als Projektion von Kevin Kühnert, als das, was die Macher des Films in ihm sehen wollen, als das, was die Macher des Films möchten, was der Zuschauer – und hier wird es inakzeptabel für eine öffentlich-rechtliche Produktion – in Kevin Kühnert gefälligst zu sehen hat. Auch dem Zuschauer wird die kritische Distanz verwehrt, er hat nur die Chance der Übereinstimmung oder der Ablehnung. Wie im sozialistischen Realismus setzen die Macher auf eine Ästhetik des positiven Helden. Es ist genau diese Distanzlosigkeit, die auf Objektivität zugunsten des aktivistischen Journalismus verzichtet, die den Film ästhetisch misslingen lässt. Die Macher sind Gefangene ihres Gegenstandes. Mit Kevin Kühnert, das suggerieren sie und glauben es wohl auch selbst, bricht die neue Zeit an.

Wer wollte sich schon von den ehrfürchtigen Kommentaren aus dem Off – Kevin Kühnert, der Mann mit dem meisten Charisma in der SPD, oder: Kevin Kühnert Kanzlerkandidat, oder: der Mann, durch den sich das Leben der SPD verändert hat, wie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr – nicht beeindrucken lassen. Allzu gern kitschen die Macher des Films auch damit, dass sie aus dem Off zwitschern und wispern lassen: Kevin Kühnert, Kevin Kühnert, Kevin Kühnert, Kevin Kühnert, Kevin Kühnert – als würde nach ihm, nach dem Erlöser, von allen Seiten gerufen. Die ganze Welt will Kevin Kühnert haben. Er ist der Mann der Stunde. Das will uns die „Doku“ eintrichtern. Warum er das sein sollte, wird dem Zuschauer allerdings nicht erzählt. Die Filmbilder, die tremolierende, melodramatische Musik in ihrem talmihaften Pathos, die ikonische Inszenierung der Hauptfigur, denn sie wird durch die Auswahl und den Schnitt des Films inszeniert, geraten umso agitatorischer, umso mehr sie Realität behaupten müssen, die allerdings nicht erzählt wird – vielleicht, weil sie in der Wirklichkeit nicht existiert.

Der NDR hatte die Chance, mit der „Doku“ den Politiker Kevin Kühnert, seine Herkunft, seinen Werdegang, das, was ihn antreibt, zu zeigen, einen jungen Politiker, der sich in den Wirren unserer Zeit zurechtfinden muss und der die Welt verbessern will. Welt kommt im Film nicht vor. Von all dem schweigt die Doku. Es hätte anders eine Dokumentation werden können. Aber vielleicht ist Objektivität aus der Mode gekommen, eben nur noch so ein ausgehendes 20.-Jahrhundert-Ding.