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Nancy Faesers Extremismus-Problem

Ihr „Maßnahmenpaket“ gegen Rechtsextremismus begründet die Bundesinnenministerin mit der Behauptung, er sei die „größte Bedrohung“ für die Sicherheit. Allerdings existiert keine einzige Statistik, auf die sich die Politikerin dabei stützen könnte.

IMAGO/photohek

Ihr „Maßnahmenpaket“ gegen Rechtsextremismus, kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an, werde sie bis Ostern vorlegen. Der Plan scheint ihr vor allem dazu zu dienen, das Bundesinnenministerium neu auszurichten: Linken, islamischen und rechten Extremismus will sie künftig offenbar nicht mehr mit gleicher Intensität bekämpfen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus – beziehungsweise „gegen rechts“, wie sie einmal twitterte – soll in naher Zukunft eine absolute Dominanz erhalten.

Ihre dazu immer wieder vorgetragene Begründung lautet: Rechter Extremismus sei die „größte Bedrohung für die innere Sicherheit“. Nur: Einen Beleg für ihre These präsentierte sie bisher nicht. Er wäre auch schwer zu finden. Denn sämtliche offiziellen Zahlen sprechen gegen die Behauptung der Ministerin. Sogar die aus ihrem eigenen Haus, genauso wie die Daten aus dem Justizressort.

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Das beginnt bei der Statistik der Bundesanwaltschaft, die zentral in Fällen des politischen Extremismus ermittelt. Sie leitete 2021 bis Ende Oktober insgesamt 210 Ermittlungsverfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus neu ein. Gegen Linksextremisten brachte sie zehn Verfahren in Gang. Und gegen Rechtsextremisten: fünf. Das vergangene Jahr fiel mit dieser Verteilung nicht aus der Reihe. Im Jahr 2020 leitete die Karsruher Behörde 372 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche islamistische Täter ein, zehn gegen Extremismusverdächtige von rechts, vier gegen mutmaßliche linke Extremisten.

Aus der Statistik des Generalbundesanwalts ergibt sich eine sehr klare Hauptbedrohung: durch islamistische Tatverdächtige und Täter. In vielen Fällen gelang es Sicherheitsbehörden, Terrorplaner noch vor der Tatausführung zu verhaften. Deshalb schlug sich der islamisch motivierte Extremismus in den vergangenen Jahren nicht sehr stark in der Kriminalstatistik nieder – zum Glück. Ein Grund, den militanten Extremismus kleinzureden, wie es Faeser tut, ist das nicht.

Auch die Zahlen des Bundesinnenministeriums selbst bestätigen nicht, was die Ressortchefin gern hätte. Üblicherweise präsentiert das Ministerium die Statistik der „Politisch Motivierten Kriminalität“ (PMK) im späteren Frühjahr für das jeweilige Vorjahr. Im Jahr 2021 jedenfalls war das im Mai der Fall. Für 2021 liegen bisher noch keine Daten vor. Aber für 2020 fallen sie ziemlich eindeutig aus. Auf den allerersten Blick scheinen die PMK-Zahlen das Bild zu bestätigen, das Faeser unermüdlich zeichnet. Aber nur für den, der sie sehr oberflächlich wahrnimmt. Nach der PMK-Statistik verzeichnet die Behörde 2020 insgesamt 23.604 rechts- und 10.971 linksextremistische Straftaten. Aber schon bei der Dynamik sieht es anders aus: Die Zahl der rechtsextremistischen Taten stieg um 5,65 Prozent im Vergleich zu 2019 – die der linksextremistischen doppelt so stark um 11,39 Prozent.

Bundesinnenministerium
Frau Faesers Gespür für Rechtsextremismus
Dazu kommt eine Besonderheit der Rechtslage, die sich in der Statistik niederschlägt. Der größte Teil der rechtsextremistischen Straftaten entfällt auf sogenannte Propagandadelikte – etwa das Schmieren eines Hakenkreuzes. Grundsätzlich gilt auch jede nicht aufgeklärte Hakenkreuzschmiererei als rechtsextreme Tat – unabhängig davon, wer der Täter war. Auf der linksextremen Seite gibt es keine Propagandadelikte: Wer Hammer und Sichel oder den Schriftzug ‚RAF‘ an eine Wand sprüht, begeht bestenfalls Sachbeschädigung.

Von den 23.604 rechtsextremen Taten entfielen 2020 insgesamt 13.659 in die Rubrik Propaganda. In dem sogenannten harten Teil der Statistik, bei den Gewalttaten, liegen Linksextremisten dagegen eindeutig vorn. Hier registrierten die Sicherheitsbehörden 2020 auf Linksaußen-Seite 1.526 Gewaltdelikte, Rechtsaußen 1.092. Die Gegenüberstellung zeigt: Rechtsextremismus ist alles andere als harmlos. Aber eben nicht die größte Bedrohung der inneren Sicherheit.

Obwohl ihr jeder faktische Beleg fehlt, der ihre absolute Fokussierung auf den Rechtsextremismus begründen würde, verteidigt Faeser hartnäckig ihre Sicht, die einzelnen Extremismusbereiche dürften auf keinen Fall gleichermaßen stark bekämpft werden.

Der Illustrierten „Focus“ sagte die ehemalige hessische SPD-Generalsekretärin: „Von mir gibt es keine Gleichsetzung unterschiedlicher Bedrohungen.“ Tatsächlich unterscheiden sich die Bedrohungen in ihrer Qualität ja sogar. Aber: Auch in diesem Gespräch wiederholte sie ihre Behauptung von der übermächtigen rechtsextremistischen Sicherheitsgefährdung.

Die Redakteure von „Focus“ verzichteten darauf, die Ministerin um eine Begründung zu bitten.

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