Tichys Einblick
Posse um den Nachtragshaushalt

Experten basteln den Nachtragshaushalt für die Ampel zurecht

Die Experten im Haushaltsausschuss reden den Nachtragshaushalt schön – obwohl sie die rückwirkend erklärte Notlage kritisch sehen. Nur der Bundesrechnungshof findet klare Worte und kommt seiner Arbeit nach.

IMAGO / Bernd Elmenthaler
Der Nachtragshaushalt 2023, der nur in Kraft treten kann, wenn man die Notlage für 2023 rückwirkend anerkennt, harrt noch seines Beschlusses durch den Bundestag. Nachdem am 5. Dezember im Haushaltsausschuss eine Expertenanhörung über den Nachtragshaushalt 2023 stattgefunden hat, soll der Nachtragshaushalt für 2023 am 14. Dezember im Bundestag debattiert werden. Im Grunde steht die Bundesregierung ohne eine gültigen Haushalt für das Jahr 2023 und für das Jahr 2024 dar, denn die Ampel konnte sich noch nicht auf die Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2024 einigen.

Vielleicht wird es ja den Dreien von der Zankstelle im Dezember 2024 gelingen, dem Parlament den Bundeshaushalt 2024 als Nachtragshaushalt vorzulegen. Ist auch viel einfacher. Statt zu sagen, das sind die Positionen für den Haushalt, für die wir die Summe x ausgeben und Kredite in einer Höhe von y aufnehmen möchten, dem Parlament mitzuteilen, wir haben für die Positionen die Summen xy ausgegeben – und dafür Kredite in der Höhe z aufgenommen, für die wir rückwirkend die Notlage ausrufen.

Der Nachtragshaushalt wird mit der rückwirkenden Ausrufung der Notlage wohl auf Druck einiger Ministerpräsidenten der CDU von der Unionsfraktion gebilligt werden. Damit hat die Union ihre Rolle als Opposition, die sie kurz einmal eingenommen hatte, fluchtartig wieder verlassen. Auch im Haushaltsausschuss des Bundestages am 5. Dezember hat sich die Mehrheit der Experten für den Nachtragshaushalt und damit für die rückwirkende Erklärung der Notlage ausgesprochen. Man reibt sich die Augen darüber, wie ein offensichtlich verfassungswidriges Vorhaben von den Experten in den Bereich des noch Möglichen gebogen wird.

Besonders hübsch ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Finanz- und Steuerrechtlers Professor Dr. Hanno Kube von der Universität Heidelberg, der ausführte, dass „die spät im Haushaltsjahr 2023 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Ausnahmesituation führte“, weshalb er „die Vorgehensweise in diesem besonderen Ausnahmefall für vertretbar“ hält.

Diesen Gedanken bewundere man einmal in seiner ganzen Schiefheit: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte eine „Ausnahmesituation“ hervorgerufen, nicht etwa die verfassungswidrige Praxis der Ampel, nein, das Urteil darüber. Ein Verfassungsbruch ist also „vertretbar“, wenn er erst sehr spät als Verfassungsbruch gerichtlich festgestellt wird? Das ist schon eine kuriose Rechtsaufassung, die, denkt man sie zu Ende, nur eine Ahndung zuließe, wenn diese vor der Tat erfolgte. Stimmt, der Ermordete wird dadurch auch nicht mehr lebendig, wenn der Mörder verurteilt wird.

Die Idee, dem erneuten Bruch des Grundgesetzes zuzustimmen, weil der erste Bruch erst spät gerichtlich geahndet wurde, heißt aber, die Rechtsordnung ad acta zu legen. Hier werden Ursache und Wirkung vertauscht und vor allem ein erneuter Verfassungsbruch sogar noch dadurch legitimiert, dass der erste stattgefunden und gerichtlich sanktioniert wurde. Dass Kube als Gründe für die Notlage den Ukrainekrieg und bedingt die Bewältigung der Flutkatstrophe an der Ahr für vertretbar hält, ist absurd, weil erstens sich Deutschland nicht im Krieg mit Russland befindet. Und zweitens die „Energiepreisschocks“ wissentlich und willentlich von der Bundesregierung hervorgerufen worden sind und sich deshalb nicht der Planbarkeit entzogen haben, sondern von einer verantwortlichen Politik hätten eingeplant und auch gesteuert werden können. Die juristische Begründung ist faktisch unhaltbar, denn es waren der deutsche Wirtschaftsminister und die deutsche Außenministerin, die öffentlich erklärt hatten, dass sie kein russisches Erdöl und kein russisches Erdgas mehr abnehmen wollen, ohne dass sie über Alternativen verfügten. Sie haben dadurch die Mangellage, sprich die „Energiepreisschocks“ provoziert.

Die Experten haben jedenfalls eine wahre Meisterleistung in Sophistik vollbracht: Sie haben ungewollt eingestanden, dass die rückwirkende Ausrufung der Notlage für 2023 problematisch ist, sie aber nicht als grundgesetzwidrig eingestuft werden darf, weil sonst der Nachtragshaushalt nicht verabschiedet werden kann und daraus eine Haushaltskrise, aus der Haushaltkrise eine Regierungskrise, und aus der Regierungskrise eine Staatskrise entstehen könnte. Die Bundesregierung sei „erkennbar bemüht, sich aus dem Urteil ergebende Vorgaben zu erfüllen“, sagte der Finanzjurist Prof. Dr. Alexander Thiele von der BSP Business and Law School Berlin.

Das ist falsch, denn die rückwirkende Ausrufung der Notlage stellt das Gegenteil davon dar, die „sich aus dem Urteil ergebende Vorgaben zu erfüllen“, denn die rückwirkende Ausrufung der Notlage ist ebenfalls verfassungswidrig. Wie lässt sich ein Verfassungsbruch durch einen neuerlichen Verfassungsbruch heilen? Man spürt den Willen, das Chaos, das die Ampel angerichtet hat, zu begrenzen, indem man Argumente für den Nachtragshaushalt mühselig ziseliert, umso mehr, wenn die Experten überwiegend zu der Auffassung kommen, „dass sich für den Bundeshaushalt 2024 nur noch schwer eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse mit einer Notlage begründen lassen werde“.

Doch auch hier wird wieder ein Scheunentor geöffnet, wenn Prof. Dr. Dr. Armin Steinbach von der Wirtschaftshochschule HEC Paris allenfalls „streng begrenzt“ für die Ukrainehilfe sich eine Ausnahme vorstellen könne. Die Ukrainehilfe kann allerdings keine Notlage begründen, weil sich Deutschland erstens nicht im Krieg mit Russland befindet und daher der Staat in der Lage ist, souverän das Volumen seiner Hilfeleistung zu bestimmen, und sich zweitens der deutsche Staat nicht über die Grenzen, die die Schuldenbremse setzt, für eine ausländische Macht verschulden darf. Er kann nur geben, was er erübrigen kann. Auch wenn das Robert Habeck und vor allem Annalena Baerbock anders sehen, aber der deutsche Staat steht im Dienst der deutschen und nicht der ukrainischen Bürger.

Der Bundesrechnungshof bleibt seiner Aufgabe vollkommen treu und schätzt klar und deutlich in seiner Stellungnahme (liegt TE vor) ein: „Aus Sicht des Bundesrechnungshofs bleibt der Bundeshaushalt 2023 auch unter Berücksichtigung der Entwürfe eines Nachtragshaushaltsgesetzes 2023 und eines Notlagenbeschlusses aus den o.a. Gründen verfassungsrechtlich äußerst problematisch.“ Und er fügt hinzu, „dass eine rückwirkende Legitimation bereits getroffener Entscheidungen sowohl im Hinblick auf den vorgesehenen Nachtragshaushalt als auch den vorgesehenen Notlagenbeschluss nach Auffassung des Bundesrechnungshofs mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen könnte.“

Der Notlagenbeschluss solle nicht nur „die Notlage transparent beschreiben, sondern hat auch eine Warn- und vor allem auch Prüffunktion für den Haushaltsgesetzgeber im Hinblick auf die Überschreitung der Kreditobergrenze.“

So kommt er zu dem Schluss, dass vor dem Eintreten der Notlage nach dem Eintreten der Notlage zu warnen, zumindest absurd ist: „Vor bereits geschaffenen Fakten kann nicht mehr gewarnt werden und auch die Prüfung der Erforderlichkeit der Kreditaufnahme durch das Parlament lief von vornherein ins Leere.“ Doch das ist für den Bundesrechnungshof das wichtigste, für diese Regierung, wie bereits für die Merkel-Administration das unwichtigste Argument, dass dem Deutschen Bundestag das Budgetrecht zukomme, dass die Entscheidung über den Haushalt das vornehmste, das Königsrecht des Parlaments ist. Das können die Parlamentarier jedoch nur ausüben, wenn sie im Vorhinein informiert und nicht im Nachhinein erst benachrichtigt werden.

Deutlich formuliert der Bundesrechnungshof: „Beim parlamentarischen Budgetrecht geht es somit nicht um das bloße nachträgliche ‚Absegnen‘ bereits durch die Regierung geschaffener Haushaltsfakten, sondern um die letztentscheidende parlamentarische Gestaltungshoheit.“

„Jedenfalls ist aber nach diesseitiger Einschätzung nicht auszuschließen, dass die mit dem Nachtragshaushalt 2023 vorgesehenen rückwirkenden Ermächtigungen mit dem Budgetrecht des Parlaments in Konflikt stehen könnten und von daher ein verfassungsrechtliches Risiko in sich tragen.“

Der Bundesrechnungshof kommt zu dem Schluss: „Umso mehr ist nach Auffassung des Bundesrechnungshofs nunmehr sicherzustellen, dass die Planung des Haushalts 2024 über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben sein sollte.“

Doch das sind sie mit dem heutigen Tag nicht mehr. Der haushälterische Grundsatz der Jährlichkeit wird wohl nicht mehr einzuhalten sein. Große Zweifel, dass der Haushalt 2024 „über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben“ sein wird, sind spätestens mit dem heutigen Tag mehr als angebracht.

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