Tichys Einblick
Nach der Razzia

Im April war schon mal fast Putsch und dann kam Omi mit dem Jute-Beutel dazu

Die „Vereinten Patrioten“ sollen den Umsturz und die Entführung von Karl Lauterbach (SPD) vorbereitet haben. Seit April sitzt der Kern in Untersuchungshaft – um ihren Prozess wurde es nach der Razzia erstaunlich still.

IMAGO / Chris Emil Janßen
Ein halbes Jahr dürfen die Ermittlungsbehörden einen Verdächtigen in Untersuchungshaft halten. Schon dafür müssen Gründe vorliegen, zum Beispiel Fluchtgefahr oder die Möglichkeit, dass der Verdächtige Beweise beseitigt oder Zeugen einschüchtert. Erweist sich die Ermittlung als schwierig, kann die Untersuchungshaft auf ein volles Jahr ausgedehnt werden. Danach ist Schluss. Egal, wie kompliziert eine Ermittlung ist, und warum sie sich verzögert.
Der harte Kern der „Vereinten Patrioten“ sitzt bereits in der Verlängerung der Untersuchungshaft. Zumindest hat das die Tagesschau berichtet. Den „Vereinten Patrioten“ wird vorgeworfen, sie hätten Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführen und einen Staatsstreich einleiten wollen, dabei seien sie sogar zu Morden am Sicherheitspersonal bereit gewesen. Entführung, Hochverrat und Mordabsicht. Schwerwiegendere Vorwürfe kann es eigentlich kaum geben. Dafür ist es erstaunlich ruhig geworden um die „extremistische Chatgruppe“, wie sie der SWR im April bezeichnet hat.
"Staatsstreich"
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Laut einem Spiegel-Bericht aus dem Juli habe einer der Beschuldigten ein Geständnis abgelegt. Warum zieht sich dann der Prozess gegen die mutmaßlichen Hochverräter hin? TE wollte das von der Generalbundesanwaltschaft wissen. Doch die beantwortete die Anfrage mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht. Der Generalbundesanwalt Peter Frank verfolgt dieser Tage eine interessante Medienpolitik. Manche Medien unterstellen ihm, Journalisten zur Großrazzia am vergangenen Mittwoch eingeladen zu haben. Er dementiert das. Doch dafür waren erstaunlich viele Kamerateams zur richtigen Zeit an den richtigen Orten und manche Medien bemerkenswert früh gut informiert. Aber aus dem Büro des Generalbundesanwalts sollen sie nicht versorgt worden sein.
Eine große Razzia gab es bereits im April. Vier Männer wurden dabei verhaftet. Die Medien nannten die Gruppe „Vereinte Patrioten“. Die radikalen Chatter sollen das Ziel verfolgt haben, Lauterbach in einer Talkshow entführen, Sprengstoff-Attentate durchführen und einen Blackout herbeiführen zu wollen, um dann ungestört einen Staatsstreich durchführen zu können. Vier Männer zwischen 40 und 60 Jahre alt wurden damals verhaftet. Zu einem fünften gab es nur spärliche Informationen. Er soll laut SWR in eine Psychiatrie eingewiesen worden sein. Zur Chatgruppe hätten demnach rund 70 Teilnehmer gehört, die sich aber nicht alle strafbar gemacht hätten. Bei einem der Beschuldigten fanden die Behörden nach eigenen Angaben eine Kalaschnikow, bei einem anderen ein „regelrechtes Waffenlager“.
Auf die Spur kamen die Behörden den revolutionären Chattern laut Tagesschau durch einen verdeckten Ermittler des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz. Bevor der Generalbundesanwalt den Fall übernahm, war der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) entsprechend federführend. Den hielt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) damals noch im Amt, obwohl sein Versagen in der Ahrflut schon deutlich wurde. Als Innenminister musste Lewentz zurücktreten, der SPD Rheinland-Pfalz sitzt er immer noch vor. Lewentz‘ verdeckter Ermittler war laut einem veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs „im unmittelbaren Umfeld der Beschuldigten“ eingesetzt. Demnach hätte die Gruppe Lauterbach von Kämpfern aus einer Talkshow entführen lassen – vor laufenden Kameras. Die Tagesschau berichtet von „etlichen Schusswaffen“, die bei den Verdächtigen gefunden worden seien – konkreter wird es im Zusammenhang mit Großrazzien selten.
Großrazzia in der Reichsbürger-Szene
Was heißt hier eigentlich „Staatsstreich“
Anfang Oktober habe ein zweiter Verdächtiger ein weiteres Geständnis abgegeben, berichtet die Tagesschau. Zu den Plänen der revolutionären Chatter habe es gehört, die Bevölkerung mit einem Doppelgänger des Kanzlers oder des Bundespräsidenten zu täuschen. Außerdem hätten umstürzlerische Chatter mit dem Schiff nach Petersburg fahren und sich dort verhaften lassen wollen. So wollten sie ins Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kommen. Ihr erstes Treffen hätten sie am 11. Dezember vor einem Jahr gehabt – an einer rheinland-pfälzischen Grillhütte – ohne Wladimir Putin.
Gegenüber der Tagesschau äußerte sich der Bundesgerichtshof Ende November, dass an der Anklageschrift noch gearbeitet werde. Zwischenzeitlich wurde im Oktober der Kopf der Gruppe verhaftet. Eine 75 Jahre alte Theologin. Die Füße des Kopfes sind auf Gehhilfen angewiesen. Sie soll dem administrativen Arm vorgestanden haben. Einen militärischen Arm soll es auch gegeben haben. Wie sich die fünf Verdächtigen auf die verschiedenen Arme aufgeteilt haben, ist nicht bekannt.
Laut Bild hatte ein Ex-Soldat Kontakt zu den „Vereinten Patrioten“. Er wurde nun bei der Großrazzia am Mittwoch verhaftet. Demnach habe er auch schon im April im Fokus der Ermittlung gestanden. Über ihn seien die Behörden dem Reichsbürger-Staatsstreich auf die Spur gekommen. Zwei große Razzien. Mehrere Verhaftungen. Der Verdacht auf Mord, Entführung und Hochverrat. Die folgenden Prozesse dürften spektakulär werden. Nur werden „etliche Schusswaffen“ oder „regelrechtes Waffenlager“ dann als Angabe nicht mehr präzise genug sein.
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