Tichys Einblick
Sache contra Taktik

Merz: Wahrheit gesagt, Chancen verspielt?

Friedrich Merz ist ins Fadenkreuz der Einwanderungs-Lobby geraten. Er hat es gewagt, zu bezweifeln, dass Deutschland Millionen von Asylsuchenden im Alleingang aufnehmen kann – und muss.

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Überraschung in der Union, Schockstarre bei der SPD, Beißreflexe bei der linksgrünen Opposition: Friedrich Merz ist ins Fadenkreuz der Einwanderungs-Lobby geraten. Er hat es gewagt, zu bezweifeln, dass Deutschland Millionen von Asylsuchenden im Alleingang aufnehmen kann – und muss. Merz wörtlich: „Man kann dieses Grundrecht auf unter Asyl unter den Vorbehalt stellen, der denn da heißt: Das nähere regeln Gesetze.“ Dieser Vorstoß wird Folgen haben.

Nein, nicht von der heutigen AfD kommt die Forderung. Sondern tief aus der Vergangenheit der CDU. Knapp dreieinhalb Legislaturperioden ist es her, dass Merz sein bislang letztes Unios-Parteiamt hatte – und nun, plötzlich, ist er ein heißer Kandidat für den CDU-Vorsitz. Nahtlos knüpft er an die politische Lage von 2005 an, wenn er feststellt, „dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können“. Er kenne, so sagt er, „kaum jemanden, der das ernsthaft bezweifelt“. Für 2005 wäre diese Aussage – in der Rückschau – problemlos zu unterstützen. Aber heute? Was sagen dem Herrn Merz die Namen Orbán und Kurz? Hat er von der Abriegelung der Balkan-Route etwas mitbekommen? Und kennt er den Italiener Salvini, der Schlepper und selbsternannte Retter gleichermaßen von ihren Mittelmeerbooten holt?

Die Schockstarre wich bald einem heftigen Gewitter an Vorwürfen aus der „regierungstreu“ zu nennenden Presse, das hier nicht nochmals zitiert werden muss. Merz beeilte sich, seinen Vorschlag zu präzisieren: „Für alle Interessierten noch einmal zum Mitschreiben: Ich bin für die Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl. Punkt.“ Dann kam das „Aber“: Man müsse bereit sein, einen Gesetzesvorbehalt ins Grundgesetz aufzunehmen, wenn man eine europäische Lösung wolle. Eine europäische Lösung des Asylrechts scheitere, weil Deutschland hier keine klaren Regeln habe. Die Anerkennungsquote bei Asylanträgen liegt, und darauf weist Merz durchaus zu Recht hin, dauerhaft – seit Jahren! – bei deutlich unter zehn Prozent.

Ein letzter Gruß aus Bonn

Merz, der wohl letzte CDU-Politiker mit echtem Stallgeruch der „Bonner Republik“, hatte bereits auf der Regionalkonferenz der CDU in Thüringen mitgeteilt, sei es erforderlich, „dass wir uns mit der Frage beschäftigen, wie das Grundrecht auf Asyl und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken können“. Diese Debatte müsse „in aller Ruhe und Sachlichkeit von der CDU geführt werden“. Deutschland sei das einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen habe. Diese Aussage wird inzwischen von den Freunden ungebremster Einwanderung bestritten, von Skeptikern muslimischer Massenmigration dagegen verteidigt – die Wortwahl ist giftig, in der Sache bleiben die Kombattanten oberflächlich.

Merz’ Aussage zum Grundrecht auf Asyl ist dabei fast schon banal. Was sie so brisant macht, liegt tiefer. Es geht um das politische Gestein, auf dem die Bundesrepublik, die in Bonn ihre Hauptstadt hatte, einst errichtet wurde. Deutschland ist das einzige Land, das nicht nur ein individuelles Asylrecht hat – sondern dieses auch zur Staatsraison erhoben hat. Und diese gewollte politische Richtung wird von der politischen Mehrheit mit den Ereignissen der jüngeren Geschichte des Landes begründet, weil sie vielfachen Leid verursachten, das wiederum Flucht und Vertreibung auslöste. Friedrich Merz hat also eine auf Gefühlen und vergangenen Fakten gründende, subjektive Festlegung angegriffen. An seiner Forderung werden sich notwendigerweise zunächst Widerspruch, dann Argwohn gegen seine Integrität und schließlich seine Verdammung entzünden.

Der Widerspruch ist schon da, der Argwohn mehrt sich. Auf die Verdammung der Merz-Thesen werden wir wohl nicht allzu lange warten müssen. Interessant ist dabei mitnichten, was aus dem linken Spektrum kommt, wo der Hass auf das eigene längst dazu geführt hat, dass die Antifa-Parole „Deutschland verrecke“ zum guten Ton geworden ist. Bei den Grünen wird dieser Kampfruf rhetorisch bemäntelt, aber es wird exakt so gedacht – Grüße an den „Mescalero“. Bei der Partei mit dem SED-Genom, der Linken, wird die Auflösung der deutschen Nation zugunsten der Installierung eines beliebigen Siedlungsgebietes auf ehemals deutschem Boden mit Lenin’scher Pose gefordert. Bei der SPD schließlich wird das „Deutschland verrecke!“ aus dem Bundestagsbüro der Parteivorsitzenden heraus mutmaßlich betrieben, denn dort sitzt die ehemalige SED-Nachwuchsfunktionärin Angela Marquardt, die heutzutage die Antifa gegen die Demonstrationen besorgter Bürger zuhilfeholen möchte – als eine Art „Prügeltruppe gegen Rechts“. Wobei Agitatoren wie sie natürlich nicht an mögliche Parallelen zwischen Antifa und SA denken – was an fehlender Distanz hierhin wie dorthin liegen mag. Wie gesagt: Kritik aus dem linken Spektrum war zu erwarten. Das ist nicht überraschend.

Interessant ist, was aus der CDU kommt

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, spricht sich vehement gegen eine Änderung des Asylrechts – und damit direkt gegen Merz – aus: „Eine Begrenzung der Asylzahlen erreichen wir nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes, sondern indem wir Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsam mit unseren Partnern an einem solidarischen Asylsystem arbeiten“, sagte sie der Rheinischen Post. Und jetzt kommt sie, die Sache mit der Staatsraison: „Unsere Geschichte mahnt uns, das Grundrecht auf Asyl nicht in Frage zu stellen.“ Damit hat Widmann-Mauz in der CDU ihre Zuhörer, denn diese Volkspartei, ist, wenn sie denn noch so genannt werden darf, definitiv nicht konservativ. Sie war es nie. In ihr steckt die alte Zentrumspartei, die aber mit dem katholischen Milieu, das in Deutschland beängstigend stark auf dem absteigenden Ast ist, immer mehr verkümmert.

Doch die Zahl der Merz-Befürworter ist dabei nicht einmal zu verachten: Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht gehört ebenso dazu wie die Mittelstandsvereinigung der CDU in Leipzig, und die Werte-Union ist sowieso dabei. Doch das wird nicht reichen. Merkel möchte ihr „System“ durch Annegret Kramp-Karrenbauer prolongieren. Sie hat ihre Steine auf dem Spielbrett der Macht gesetzt. Und sie könnte ihr Spiel einmal mehr gewinnen. Sekundiert wird sie von einem Armin Laschet, der nicht müde wird, vor einem „Rechtsruck in der CDU“ zu warnen. Und von einem Daniel Günther, der lieber mit den legitimen SED-Enkeln von der Linken formell koalieren möchte, als einen themenbezogene Zusammenarbeit mit der AfD auch nur in Erwägung zu ziehen.

Die „Merz-Gefallenen“

Zurück zur Asyldebatte, die Merz angestoßen hat. Bei genauerer Betrachtung seiner nur scheinbar klaren Ankündigungen wird klar, dass er auf eine faktische Änderung des Asylrechts schielt, sich – und der CDU! – aber kaum zutraut, das selbst zu bewerkstelligen. Vielleicht hat er also doch verstanden, wie es um Europa und Deutschland heute steht? Nachdem von den Visegrad-Staaten über Österreich bis nach Italien eine asylkritische Haltung im Vormarsch, liegt der Verdacht nahe, dass nach seiner Meinung die EU-Partner das regeln sollen, was er seinem Land heute nicht – nicht mehr – zutraut. Merz hat damit eine Wahrheit ausgesprochen, aber die Kritik bei Freund und Feind wird dafür sorgen, dass er nicht in die Verlegenheit kommen wird, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Doch Merz und „AKK“ sind nicht die einzigen Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Da ist noch Juniorbundesminister, Jens Spahn. Er scheint aussichtslos. Aber das ist falsch. Der ist so sehr zu früh dran wie Merz zu spät. Aber die beiden werden, wenn es denn knapp zu werden droht, sich auf dem CDU-Parteitag gegenseitig die entscheidenden Stimmen aus dem konservativen CDU-Flügel abspenstig machen. Vor diesem – durchaus wahrscheinlichen – Hintergrundszenario ist die Prognose klar: AKK wird’s machen. Die Sehnsucht nach einer konservativen Partei hierzulande, die diesen Namen auch verdient, wird sich abermals ein neues Ziel suchen müssen. Die Frage, ob das die AfD sein kann, ist im übrigen völlig offen. Von Merz aber wird wahrscheinlich keiner mehr reden. Und die heutigen Befürworter des nach anderthalb Jahrzehnten überraschend wiederauferstandenen Fraktionsvorsitzenden werden die „Merz-Gefallenen“ der CDU sein. Noch bevor das Jahr 2018 sich neigt.