Tichys Einblick
Mit einem rosa Pappschild gegen Merkel

Wie Merkel spaltet

Die Redaktion diskutierte, ob sie das einsame Pappschild gegen Merkel und was es auslöst, zum Thema machen soll. Denn schon folgen welche dem Schild, die keine Alternative zu Merkel sein können. Den Ausschlag für die Veröffentlichung gab ein Satz: Wegschaujournalismus machen wir nicht, den machen schon die einst Investigativen.

Eine Frau geht durch Hamburg und demonstriert mit einem Pappschild. Das ist noch nichts Ungewöhnliches. Es gibt so viel Böses, Befremdliches gegen das man sich in Fußgängerzonen zur Wehr setzt: Tierversuche, Pelzmäntel, Frauenrechte, Rechte von Männern mit Kind ohne Frau, Falun Gong, mehr Geld für Pflege und Schulen, gegen Dieselmotoren, neuerdings auch gegen Windräder.

Eine Frau mit Pappschild wäre wie gesagt nichts Besonderes, auch wenn es wie in diesem Fall mädchenhaft Pink ist. Wenn da nicht drauf stünde in schwarzen Lettern: „Merkel muss weg“.

Eigentlich ist das auch nichts besonderes. Außerhalb Chinas kann man eigentlich auch gegen den Regierungschef demonstrieren, in den USA sollen das sehr viele derzeit machen und früher waren Schröder, Schmidt oder Kohl nicht auch nur geliebt.

Und jetzt also in Hamburg mit Pappschild. In der teuren Fußgängerzone. In der Edelfressmeile.

Uta Ogilvie könnte sicher auch etwas Schwerverkäufliches an den Mann bringen. Die Stimme dafür hat sie jedenfalls. Und wer mit ihr ins Gespräch kommt, der verweilt gern länger. Kennen Sie das? Wenn man vom Hundertsten ins Tausendste kommt?

Frau Ogilvie ist Mutter von zwei Kindern, verheiratet, der Familie geht es gut, man wohnt gepflegt etwas außerhalb Hamburgs, dort, wo man meinen könnte, die Probleme der Welt, ja sogar die des Landes wären weiter entfernt als am Berliner Alexanderplatz oder in den Kiezen der Hansestadt. Irgendwann entdeckte sie den Buddhismus für sich, auch das erzählt sie gerne.

Manch einer würde damit hinter dem Berg halten. Religion als Privatsache verstehen – schon aus Selbstschutz, um nicht jedes Mal neu zu erklären, warum, weshalb und wieso. Uta Ogilvie aber sucht die Auseinandersetzung, sehnt sich fast danach. Sie gehört wohl zu jenen, die daran wachsen, die sich im Gespräch weiterentwickeln wollen, in der Auseinandersetzung darüber, was sie selbst und andere so umtreibt. Dafür ist sie neuerdings sogar bereit, auf die Straße zu gehen.

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Nun gehen traditionell mehrheitlich jene Bürger mit Pappschildern vor die Tür, die etwas für sich einfordern, etwas, dass man ihnen bisher partout verwehrt. Uta Ogilvie allerdings hat eigentlich alles, scheint glücklich, so wie es ist. Was sie vor die Tür treibt, ist die Sorge, dass sich daran etwas ändert. Man könnte es prophylaktisches Demonstrieren nennen. Ihre Botschaft hat sie mit schwarzer Farbe auf eine große altrosa Pappe gemalt und an eine Latte getackert, die sie mit der Faust fest umklammert hält, als wollte man sie ihr wegnehmen. Das Plakat ist zusätzlich in Plastikfolie verschweißt. Sie rechnet also mit Unwetter, will sich davon aber nicht abhalten lassen. Ihre Botschaft: „Merkel muss weg“ – eine Gesprächsaufforderung.

Zunächst ging sie alleine durch Hamburg, dann folgten ihr bald bis zu fünfzig Mitstreiter, denen gefiel, was sie da von einer ihrer Meinung nach couragierten Frau vorgeführt bekamen. Die sich fragten, warum ihnen nicht auch schon mal eingefallen ist, was doch eigentlich nahe liegt, wenn die täglichen Nachrichten aus Berlin viel zu viel Adrenalin produzieren. Demokratie geht ja eigentlich so.

So einfach? Eine macht den Anfang, andere folgen? Ja, so können Bewegungen entstehen, das weiß man. Aber an Dresden will Ogilvie dabei auf Nachfrage nicht gedacht haben, nicht an diese ganzen Nachfolgeorganisationen, die bundesweit den Dresdnern folgten, die im Westen nie recht aus den Strümpfen kamen, aber immer auch „Merkel muss weg“ im Paket dabei haben und noch ein paar viel aggressivere Botschaften. Aber so einfach ist es nicht mehr. Die Betrachtungsweise ist vorgegeben. Ein Pappschild ist nicht einfach ein Pappschild. So angespannt ist die Stimmung, dass sich zwei Marschkolonnen bilden. Eine hinter dem Schild, eine frontal dagegen, und es wird genau beobachtet, wer wo mitgeht.

Uta Ogilvie macht einfach. Und sie macht es spontan zum ersten Mal, sie macht es jetzt immer Montag und lockte damit natürlich auch jene aus dem Off, die „Merkel muss weg“ heute automatisch für eine rechtsradikale Forderung halten. Linke und linksradikale Gruppen rufen bereits zum Protest auf, wenn es am kommenden Montag wieder mit der altrosa Pappe losgehen soll. Und diese organisierten, nicht spontanen Gegendemonstrationen haben schnell gescannt, wer da bei Ogilvie, wer bei der Dame mit der dunkelroten, fast existentialistisch anmutenden Baskenmütze, auch mitmarschiert: Ein ehemaliger Sicherheitsmann von Ronald Schill soll dazu gestoßen sein, ein ehemaliger Türsteher, der mit den Identitäteren in Verbindung gebracht wird, der ihnen Selbstverteidigungskurse gegeben haben soll. Einfach irgendwo mitmarschieren, das geht nicht mehr. Die Gesichtserkennung läuft. Vermutet wird Pegida, klar, der Export aus Dresden wurde immer wieder mal versucht, hat aber nicht geklappt. Vielleicht jetzt?

Die Polizei warnt. Am kommenden Montag könnten es 150 Demonstranten sein. Und 1.500 Gegendemonstranten von der linksradikalen Schlägerorganisation „Antifa“. Manche fürchten eine kleines G-20-Desaster wegen des Pappschilds in Pink.

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Schnell steigen auch die üblichen Verdächtigen auf den fahrenden Zug auf. Oder neutraler ausgedrückt: All jene, denen das Wirken Angela Merkels als Bundeskanzlerin zum täglichen Ärgernis geworden ist, die sich darüber radikalisiert haben. Man könnte es fast naiv unpolitisch nennen, was Uta Ogilvie da macht, wenn sie sich weigert, jeden einzelnen, der ihr folgt, auf seine Gesinnung zu scannen. Verbieten könne sie eh niemanden, ihr zu folgen, und wer wissen wolle, warum sie demonstriert, der müsse sie nur fragen. Sie freuen sich, weil Ogilvie so gar keine politische Geschichte hat, so sichtbar aus der Mitte des Bürgertums kommt.

So hat Uta Ogilvie plötzlich etwas in Gang gesetzt, wie es nur im Deutschland 2018 möglich ist. Merkel bildet eine Koalition, viele regen sich darüber auf. Ganze Organisationen der CDU fordern einen Neuanfang. Im Fernsehen, in Presseerklärungen, wortreich. Allerdings nicht auf der Straße mit Pappe, Pink und nur drei Worten in schwarz.

Hat Frau Ogilvie die falschen Freunde?

Nun vermitteln ihr die starken Jungs, die sich ihr angeschlossen haben, auch ein Gefühl von Sicherheit. Denn die angekündigten Gegenmaßnahmen der radikalen Linken für Frau Merkel nimmt sie mittlerweile durchaus ernst, aber es schreckt sie noch nicht. Sie nennt die starken Männer an ihrer Seite fast ein bisschen zu mütterlich „ihre Burschen“. Seiten wie PI-News und weitere aus diesem Spektrum sind längst auf den Zug aufgesprungen. Hamburg wird im Internet zum Fanal hochgeschrieben. Sicher hätte sie irritiert, was sie da zu lesen bekam, was das für Seiten sein sollen, aber ihr Anliegen deshalb ad acta zu legen, käme ihr nicht in den Sinn. Sie weiß natürlich: „Hätte ich das alles im Vorfeld so voraussehen können, als ich mit meinem einsamen Plakat loszog, womöglich wäre ich nie vom Sofa runtergekommen.“

Als „Enfant terrible“ will sie sich verstanden wissen. Als „schreckliches Kind“. Oder besser: jemand, der es sich gestattet, auch mit fast vierzig noch eine Naivität an den Tag zu legen, so naiv zu sein, allein auf weitem Flur zu fordern, was doch schon so viele ihrer Meinung nach denken würden: „Merkel muss weg.“ Ist das naiv oder politisch? In politischen Zeiten gilt, was man früher achselzuckend zur Seite getan hätte, plötzlich sehr politisch. Die Fronten verkehren sich. Wer hätte gedacht, dass linksradikale Schlägertrupps für eine CDU-Kanzerlin marschieren? Dass typische CDU-Wähler gegen ihre Kanzlerin demonstrieren? Dass freudig neue Kreise dazu stoßen, die solche Schilder instrumentalisieren? Wie zerrissen Deutschland ist – hinter dem Pink-Schild spürt man es. Für den Rest sorgen die linken Kritiker, die dagegen demonstrieren, dass Andere für etwas Anderes demonstrieren. Denn es darf doch nur eine Demonstration geben, eine linke, in der Demokratie, oder?

Aber wird sie sich gegen die Vereinnahmung zur Wehr setzen können, die es auch gibt? Will sie das überhaupt? Gegen wen wird sie sich abgrenzen, wo ihre rote Linie ziehen? Überlegungen, die noch anstehen und die über Sein oder Verfolgung entscheiden werden. Die sie aber erst dann auf ihre Tagesordnung setzen will, wenn sie es für nötig hält. Noch stecke das doch alles erst in den Kinderschuhen, ein Vortasten, ein Experiment auch für sie. Ihr persönliches Demokratie-Experiment. Eigentlich ist das erlaubt. An den Schulen wird es als erwünscht gelehrt. Aber die Gegendemonstration wird schnell sein, und die falschen Freunde kommen in Scharen, die wahren Freunde zögern, wie Bürger eben zögern, die nicht so demonstrationserfahren sind. Allerdings gehen in politischen Zeiten manche Prozesse sehr schnell.

Aber wir wollen auch wissen: Was genau stört Uta Ogilvie an Angela Merkel? Sie betont zunächst mehrfach, keiner Partei oder Organisation anzugehören. Aber sie positioniert sich: gegen die Energiewende, gegen die Eurorettungspolitik, gegen die Massenzuwanderung, sogar gegen die Verkehrswende – für Uta Ogilvie alles auf dem Mist von Frau Merkel gewachsen und unbezahlbar geworden. Dafür reiche einfache Mathematik. Auf TE hat sie kluge Artikel geschrieben zur Konjunktur in den USA und zur Energiepreisentwicklung.

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Besonders schlimm findet sie, dass die offene Diskussion, dass der Dialog über die dringendsten Probleme des Landes abgerissen sei. Auch dagegen will sie ein Zeichen setzen. Öffentlich gegen Merkel. „Wer sich gegen offene Grenzen ausspricht, ist nicht in erster Linie ein Ausländerfeind, sondern ein Realist mit Mathematikkenntnissen. Weil ich mich für einen solchen Realisten halte, habe ich mich entschlossen, auf die Straße zu gehen. Dieser moralische und finanzielle Dammbruch muss gestoppt werden. Ich freue mich über jeden, der mich dabei unterstützt.“

Ob sie sich wirklich über jeden freuen kann, muss man verneinen. Geplant jedenfalls ist, am kommenden Montag, dem 12. Februar um 19 Uhr wieder am Hamburger Jungfernstieg zu starten. Die Gegenbewegung ist ebenfalls längst angelaufen. Radikale Linke und Linke haben bereits festgestellt, dass mittlerweile schon Pegida, Lutz Bachmann und PI-News die Demo bejubeln, man freut sich deshalb auf Zuwachs der Teilnehmerzahlen und rüstet sich entsprechend.

Wie das alles weitergehen wird, keiner kann das jetzt mit Gewissheit sagen. Zu eingeschliffen sind die Mechanismen, die solche Demonstrationen nach sich ziehen. Die Polizei scheint routiniert genug, Eskalationen vermeiden zu helfen, solange sie klein genug bleiben. Eskalationen möchte auch Uta Ogilvie keine. Sie möchte nur etwas gegen diese Kanzlerin unternehmen. Sie möchte demonstrieren, dass sie mit den Verhältnissen so unzufrieden ist, dass sie bereit ist, dafür das heimische Sofa zu verlassen, ein Pappschild zu malen und etwas anzustoßen. Was das sein wird, darüber ist sich auch Frau Ogilivie bisher im Unklaren. Sie tut es einfach. „Alles besser, als nichts zu machen.“, sagt sie, das sei sie ihren Kindern doch schuldig.

Deutschland im Winter 2018 während der Regierungsbildung ist ein raues Gelände. Und selbst wenn sich nun sogar in der CDU Widerstand gegen Merkel rühren soll, vorbei ist der falsche Weg in der Republik noch lange nicht, auch nicht nach Merkel.

Uta Ogilvie ist nicht die erste und nicht die letzte, die der politmediale Komplex in seiner Merkel-Hörigkeit an Verzweifelten, Unpolitischen, Politisch Enttäuschten und anderen Gutwilligen in die Nähe von Falschen treiben wird – von den Identitären bis zur Antifa. Deutschland wird gespalten. Immer weiter.