Tichys Einblick
Präsidentschaftswahl in den USA

Meilenstein für den Wiederaufstieg des politischen Konservativismus

In Deutschland wird der Erfolg der Demokraten bei den Wahlen in den USA als ein Sieg über die von Trump begonnene konservative Revolution gefeiert. Die Wahlergebnisse sprechen indes eher dagegen.

imago images / MediaPunch

Unabhängig von der Frage, zu welchen gerichtlichen Ergebnissen die Klagen Donald Trumps gegen den knappen Wahlsieg von Joe Biden führen werden, zeigen erste Analysen der Wahlergebnisse, in welchem Ausmaß es der republikanischen Partei unter der Führung Trumps entgegen allen Umfragen gelungen ist, dem von den Demokraten organisierten Bündnis aus neo-liberalen Globalisierungs-Gewinnern und (linken) Progressisten ein Bündnis aus protektionistischen Globalisierungs-Verlierern und (rechten) Konservativen entgegenzusetzen.

Die beiden Bündnisse haben sich spätestens mit dem Wahlkampf zu zwei Lagern formiert, deren Zusammensetzung jeweils von derjenigen der bisherigen Lager der Demokraten und der Republikaner deutlich abweicht. Beide rekrutieren als klassische Volksparteien ihre Wähler zwar weiterhin sowohl aus der Oberschicht, der Mittelschicht und der Unterschicht; während die Demokraten bislang jedoch vor allem die Wähler der Unterschicht und der unteren Mittelschicht repräsentierten, die Republikaner dafür mehr die Wähler der oberen Mittelschicht und der Oberschicht, hat sich dies inzwischen deutlich verändert.

So berichtet etwa die Neue Züricher Zeitung (NZZ) am 7. November anhand erster sozio-demografischer Wahlanalysen: „Biden konnte im Vergleich zu Hillary Clinton vor allem in Counties mit hohem Akademikeranteil zulegen, Trump punktete eher bei Menschen ohne Hochschulbildung, die er schon vor der Wahl zu seiner Basis zählen konnte. Ab einem Akademikeranteil von ungefähr 25 Prozent konnte Biden tendenziell zulegen. Ähnliches zeigt sich beim Haushaltseinkommen: Je mehr die Menschen in einem County verdienen, desto grösser war tendenziell die Veränderung des Wahlverhaltens in Richtung Demokraten. Ab einem Median-Haushaltseinkommen von leicht über 50.000 Dollar wanderte ein County statistisch gesehen eher Richtung Biden. Ab einem mittleren Haushaltseinkommen von über 100.000 Dollar ist in den meisten Counties eine deutliche Tendenz in Richtung Biden zu erkennen, eine Ausnahme bildet aber etwa das Nassau County im Gliedstaat New York, das zu Trump tendiert.“

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Während die demokratische Partei zunehmend zu einer Partei der akademisch qualifizierten, wohlhabenderen Schichten der US-Gesellschaft mutiert, entwickeln sich die Republikaner zusehends zu einer Partei der gering qualifizierten, ärmeren Schichten der US-Gesellschaft. Da der wirtschaftliche Reichtum sich vorwiegend in den urbanen Zentren des Landes konzentriert, verfügen die Demokraten vor allem dort über ihre Mehrheiten, die Republikaner hingegen in den ländlichen Regionen, die vom wirtschaftlichen Wohlstand abgehängt sind. Die Demokraten reussieren damit zunehmend bei den von David Goodhard als kosmopolitische „Anywheres“ charakterisierten urbanen Eliten, die Republikaner hingegen beim ländlichen Fußvolk der heimatverbunden „Somewheres“.

Neigen die „Anywheres“ in hohem Maße einer weiteren, teils militant-radikalen Überwindung und Auflösung traditioneller Werte und Normen der amerikanischen Gesellschaft zu, werden diese Werte und Normen von den „Somewheres“ weiter hochgehalten und teils ebenso militant-radikal verteidigt. Die Gräben zwischen den beiden Lagern verlaufen deswegen keineswegs nur entlang gegensätzlicher wirtschaftlicher Interessenlagen, sondern zunehmend auch entlang gegensätzlicher sozio-kultureller Einstellungen und Lebensweisen. Das verleiht dem Konflikt immer mehr Schärfe.

Im Bereich der Kultur, der Medien und der (Hoch-)Schulen ist es dem links-progressiven Teil der „Anywheres“ in den letzten Jahrzenten gelungen, Schlüsselpositionen zu besetzen und über weite Strecken die ideologische Vorherrschaft zu erringen. Die Wirtschaft blieb davon lange Zeit weitgehend unberührt und störte sich deswegen an dem Vormarsch der links-progressiven Ideologie nicht weiter. Spätestens mit dem Aufkommen der New Economy und ihres Globalismus in Gestalt des WorldWideWeb änderte sich dies jedoch dergestalt, daß der linke Progressivismus nun auch in die Unternehmen Einzug hielt und dort zum Leitbild einer neuen Schicht von Unternehmern, Führungskräften und Angestellten wurde. Sie bildet zusammen mit den links-progressiven Kräften aus dem Kultur-, Medien- und (Hochschul-)Bereich gleichsam die Avantgarde der „Anywheres“, die so nicht mehr nur im kulturellen Überbau der Gesellschaft, sondern auch in deren wirtschaftlichen Unterbau stark präsent ist.

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Gegen den Vormarsch der „Anywheres“, die unbeirrt sowohl den weiteren Ausbau ihrer kulturellen wie auch ihrer wirtschaftlichen Hegemonie vorantreiben, haben sich in den letzten Jahren in fast allen westlichen Industriestaaten politische Gegenbewegungen formiert. Sie versuchen mit mehr oder weniger Erfolg die wirtschaftlichen Interessen der „Somewheres“ zu verteidigen und deren kulturellen Werte und Lebensformen durch einen neuen Konservativismus zu bewahren. Dazu gründeten sie, wie etwa in Frankreich, Deutschland und den skandinavischen Ländern, häufig neue Parteien, da die bestehenden konservativen Parteien sich zeitgeistkonform verstärkt den „Anywheres“ zuwandten und in weiten Teilen deren Ideologie übernahmen. Dort, wo dies bislang geschehen ist, stoßen die neuen Parteien naturgemäß auf den geballten Widerstand aller etablierten Parteien, die das Aufkommen eines neuen Konservativismus mit allen Mitteln zu unterbinden versuchen.

Donald Trump hat einen anderen Weg beschritten, als er sich im Jahr 2015 entschloß, sich um die Kandidatur der Republikaner für die Präsidentschaft zu bewerben und sich nach einer gewonnenen Wahl in seiner Antrittsrede vom Januar 2016 mit folgenden Worten gleichsam zum Anführer einer konservativen Revolution im Interesse der „Somewheres“ zu küren.

„Zu lange hat eine kleine Gruppe die Vorteile der Regierung genossen, während das Volk die Kosten zu tragen hatte. Washington florierte, aber das Volk hatte keinen Anteil an diesem Reichtum. Politikern ging es immer besser, aber die Arbeitsplätze verschwanden und die Fabriken schlossen. Das Establishment schützte sich selbst aber nicht die Bürger dieses Landes. Ihre Siege waren nicht eure Siege. Ihre Triumphe waren nicht eure Triumphe. Und während sie in der Hauptstadt der Nation feierten, hatten die bedrängten Familien überall in unserem Land wenig zu feiern. All das ändert sich von genau diesem Moment an und genau von diesem Ort aus, denn dieser Moment ist Ihr Moment.“

Mit dieser offenen Kriegserklärung an die „Anywheres“ hat Trump den Startschuss für all die Auseinandersetzungen nicht nur um seine Politik, sondern auch um seine Person gegeben, die die vier Jahre seiner Präsidentschaft prägten. Spätestens nach dieser Rede war seinen Gegnern klar, dass im Weißen Haus nun ein Konservativer residierte, der nicht nur ihr Gegner, sondern ihr Feind ist. Zum Wesen des politischen Feindes gehört es laut Carl Schmitt, „dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ Diese Wesensbeschreibung deckt sich weitgehend mit all dem, was sich während der Präsidentschaft von Trump zwischen der republikanischen und der demokratischen Partei zutrug.

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Die damit einhergehende Zuspitzung der innenpolitischen Konfliktlage bewirkte eine immense Politisierung der amerikanischen Gesellschaft. Sie mündete schließlich in einen beträchtlichen Anstieg der Wahlbeteiligung, als es um die Frage ging, ob Trump die von ihm begonnene konservative Revolution aus dem Weißen Haus heraus fortsetzen soll oder nicht. Beiden Parteien gelang es, mit jeweils rund siebzig Millionen Wählern so viele Anhänger zu mobilisieren und hinter sich zu bringen wie nie zuvor. Das ist fraglos ein großer Erfolg für Biden und die Demokraten, ebenso aber auch für Trump und die Republikaner. Letzteren ist es gelungen, unter dem Motto „America first“ ein neo-konservatives Bündnis zwischen unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen zu schmieden, das sich ebenso gegen die Auswüchse des wirtschaftlichen Neo-Liberalismus wie die Auswüchse des linken Progressivismus richtet, die sich unter anderem in De-Industrialisierung, illegaler Einwanderung, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, Identitätspolitik und Cancel Culture niederschlagen.

Trumps brachial begonnene konservative Revolution ist deswegen mit der Wahl Bidens keineswegs beendet, sondern in eine neue Phase getreten. In ihr wird sich zeigen, ob und wie es den Republikanern gelingt, ihr neues Bündnis aus Angehörigen der weißen Unterschicht sowie der traditionellen Mittel- und Oberschicht zu stabilisieren und weiter in Richtung farbiger Bevölkerungsgruppen auszubauen. Rund die Hälfte der Wählerschaft der USA votierte bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl für eine Partei, die spätestens seit Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 offen für eine neo-konservative Wende in ihrem Land kämpft. Ihr steht in Gestalt der Demokraten eine Partei gegenüber, die im Auftrag ihrer Wähler eine solche Wende im Land unter allen Umständen verhindern möchte.

Die Zeichen der Zeit in den USA stehen von daher, jenseits aller Rufe nach einem parteipolitischen Appeasement, alles andere als auf Ausgleich oder gar Versöhnung, sondern auf Fortführung eines Machtkampfes zweier politischer und sozio-kultureller Lager, der mit der Abwahl Trumps nicht geendet, sondern wohl erst richtig begonnen hat. Je nachdem, wie er sich weiter entwickelt, kann sich die diesjährige Präsidentschaftswahl als ein Meilenstein für den Wiederaufstieg des Konservativismus nicht nur in den USA entpuppen.

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