Tichys Einblick
Nachruf auf einen großen Rheinbundromantiker

Martin Schulz, der Phaethon aus Würselen

Eine alte Partei wie die SPD kann nicht ohne Kampf untergehen, genauso wenig wie ein altes Reich. Schulz hat immerhin dafür gesorgt, dass die CDU mit in den Abgrund gerissen wird, sollte der jetzige Niedergang wirklich der Anfang vom Ende der SPD sein.

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Nur wenige Parteivorsitzende der SPD oder einer anderen etablierten Partei waren in den vergangenen Jahrzehnten so kurz im Amt wie Martin Schulz. Am 19. März 2017 zum Parteivorsitzenden gewählt, hat er schon jetzt, weniger als ein Jahr später, den Rückzug aus dem Amt angekündigt. Aus dem Halbschatten der Brüsseler Hinterzimmer stieg er kometenhaft am Himmel der deutschen Politik auf, zog seine Bahn und verschwindet jetzt wieder in der ewigen Dunkelheit. Man könnte in ihm daher leicht einen Gescheiterten sehen. Aber damit würde man ihm Unrecht tun.

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Wenige Politiker haben in einer so kurzen Zeit die politische Landschaft so tiefgreifend verändert wie der große Würselner; sein Schicksal zeigt, dass man auch aus der Niederlage noch einen entscheidenden Sieg machen kann. Bei den Römern gab es ein „devotio ad inferos“ genanntes Ritual, das im Fall einer drohenden militärischen Niederlage die letzte Rettung darstellte. Einer der kommandierenden Konsuln weihte sein Leben und das der Feinde feierlich den Göttern der Unterwelt und ritt dann in die Schlacht. Wenn er starb, so riss er das feindliche Heer mit sich in den Tod. Eben dies ist auch Schulz nach seiner allerdings spektakulären Wahlniederlage in der Bundestagswahl gelungen, denn der eigentliche Sieger der Koalitionsverhandlungen ist die SPD, die nicht nur fast alle Ministerien von zentraler Bedeutung für sich mit Erfolg beansprucht, sondern ihre finanz-, sozial- und europapolitischen Vorstellungen fast auf ganzer Linie durchgesetzt hat.

Selbst in der Flüchtlingspolitik, die eigentlich zumindest für das Überleben der CSU in Bayern von enormer Bedeutung wäre, hat es keinerlei grundlegende Veränderung gegeben. Weder kommt es zu einer Straffung der Verfahren, noch gibt es ernsthaft Versuche, Deutschland als Zielland weniger attraktiv zu machen. Alles wird so weiter laufen wie bisher.

Eine europäische Vision

Man mag sich fragen, ob die SPD selber davon auf Dauer wirklich profitieren wird, aber dass sie der Union eine tödliche Wunde beigebracht hat, das ist kaum zu bezweifeln. Sicherlich, die Ausgangslage war gar so schlecht nicht, denn die CDU hat kein klares politisches Profil mehr, dafür hat Merkel in den letzten 15 Jahren gesorgt. Merkel selber wird es vermutlich sogar begrüßen, dass die SPD auch noch das Finanzministerium für sich beansprucht hat, denn ein CDU-Finanzminister – falls es nicht wirklich der biedere Altmaier geworden wäre – hätte für sie vielleicht doch zum Rivalen werden können. Das hingegen wird eine Julia Klöckner als Schutzherrin der Bauernhöfe und Schweinemäster für sie nie und eine alternde Ursula von der Leyen, die weiter die Bundeswehr abwickeln darf, erst recht nicht.

Aber man würde Schulz Unrecht tun, wenn man meinte, er habe sich an der CDU nur für die Niederlage bei den Wahlen rächen wollen. Nein, Schulz hatte klare politische Zielvorstellungen, womit er sich im übrigen von Merkel unterscheidet.

Schon Anfang Dezember verkündete er, er kämpfe vor allem für die Vereinigten Staaten von Europa, die er bis 2025 schaffen wolle, also in den nächsten sieben Jahren. In der Tat scheint in diesem Traum der Schlüssel für das gesamte politische Handeln von Schulz zu liegen, auch für seine wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen. Schulz war, das muss man annehmen, von einer tiefen Sehnsucht erfüllt. Er sehnte sich zurück nach einer Zeit, in der Deutschland sich in Europa und in der Welt politisch klein machen konnte.

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In weltpolitischen Fragen folgte man den USA, in Europa agierte man in der Regel als Juniorpartner Frankreichs, jedenfalls innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Man muss zugeben, dass es Deutschland, genau genommen Westdeutschland, dabei so schlecht in den Jahren vor 1989 nicht ging. Wirtschaftlich gedieh das Land, und das Leben im Schatten anderer, größerer Mächte brachte auch eine erhebliche Entlastung, man musste wenig Verantwortung übernehmen. Zugleich konnte man gründlich jene Epoche vergessen, in der Deutschland versucht hatte, doch einmal als Großmacht aufzutreten, zwischen 1870 und 1945, denn diese Großmachtträume hatten tatsächlich in den Abgrund geführt und die zivilisatorischen Errungenschaften von Jahrhunderten in einem Meer von Blut ertränkt. Man war daher in Deutschland nach 1945 meist froh, machtpolitisch nun wieder bedeutungslos zu sein.

Die Sehnsucht nach diesen idyllischen Zeiten erfüllte Schulz ganz offenbar. Nicht, dass irgendein europäisches Land heute noch irgendwie als wirkliche Großmacht auftreten könnte, aber es stellt sich natürlich schon die Frage, ob man innerhalb der EU eine eigene Politik verfolgt oder sich nur einfach als Partner minderen Ranges sieht, der seine Interessen nur allzu gern für die gemeinsame Sache, eben die Vereinigten Staaten von Europa, zum Opfer bringt. Die Führung bei der Verwirklichung dieser Pläne war dabei aus der Sicht von Schulz eindeutig Frankreich zugedacht, das ja auch in der Europäischen Gemeinschaft ursprünglich die politische Hegemonialmacht war.

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Schulz erhoffte sich offenbar von dieser Anlehnung an Frankreich eine Rückkehr zu jenen seligen Zeiten, als man spezifisch deutsche Interessen innerhalb Europas meist gar nicht erst offen artikulierte, aber in den entscheidenden wirtschaftlichen Fragen doch meist auf seine Rechnung kam, denn schlecht ging es der Bonner Republik ja nicht. Im Grunde genommen träumte Schulz von einem neuen deutschen Rheinbund (ähnlich dem Rheinbund von 1806), der unter dem Schutz des glamourösen französischen Präsidenten steht, der sich ja in der Tat fast wie ein neuer Napoleon inszeniert. Für ihn als überzeugten Rheinländer mag ein solcher Traum besonders naheliegen, wobei er damit vielleicht gar nicht so weit von der Gedankenwelt Helmut Kohls entfernt ist, dem wir ja immerhin den Euro mit all seinen Problemen verdanken. Die Berliner Republik, die einige Jahre lang auf gefährliche Weise die Züge eines echten Nationalstaates annahm, soll wieder das werden, was die Bonner Republik einmal fast war, und auf jeden Fall durch und durch postnational.

Dagegen wäre vielleicht nicht einmal gar so viel einzuwenden, wenn man zu den Zuständen vor 1989 wirklich zurückkehren könnte. Nur eben das wird kaum gelingen. Denn vor 1989 konnte die Bundesrepublik ungestört ihre Wirtschaftspolitik verfolgen, die sich dadurch auszeichnete, dass sie gerade mittelständischen Betrieben viel Freiheit ließ, dies aber mit einem starken Sozialstaat verband, also im besten Sinne des Wortes den Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft folgte. Wenn man davon absieht, dass der deutsche Sozialstaat in der herkömmlichen Form ohnehin in 10 oder 15 Jahren kaum noch finanzierbar sein wird, ein Problem, das sich durch die weitere Masseneinwanderung von wenig qualifizierten Arbeitskräften vermutlich dramatisch verschärfen wird, ist es überdies eine Illusion zu glauben, in Europa könnten in Zukunft noch unterschiedliche wirtschaftspolitische Modelle miteinander konkurrieren. Eine solche Konkurrenz wird die Währungsgemeinschaft des Euro, deren Schicksal ohnehin weiter auf der Kippe steht, endgültig zerreissen.

Frankreich als Modell für Schulzens Europa

Gerade deshalb hat Frankreich auch stets eine gemeinsame Wirtschaftsregierung in der Eurozone verlangt. Macron möchte letzten Endes ein allerdings reformiertes französisches Wirtschaftsmodell auf ganz Europa übertragen, so wie in den vergangenen Jahren Deutschland in aller Regel erfolglos versucht hat, sein Wirtschaftsmodell den südeuropäischen Ländern schmackhaft zu machen; auf Länder wie Griechenland wurde ja auch ein erheblicher Druck ausgeübt. Jetzt wird ein anderes Modell sich durchsetzen: Ein starker Staat, respektive in Zukunft dann auch eine mächtige EU-Kommission als echte, wenn auch nicht wirklich demokratisch legitimierte europäische Regierung fördert die Wirtschaft in einer engen Partnerschaft mit einigen großen Firmen und Lobby-Gruppen durch Subventionen, gegebenenfalls aber auch durch protektionistische Maßnahmen.

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Sicherlich, Macron weiß, dass in Frankreich selbst dieses Modell, das die Unternehmen zur Zeit zu sehr belastet, reformiert werden muss, und dies wird er auch tun, aber dennoch sind seine wirtschaftlichen Vorstellungen sicherlich nicht die eines klassischen Liberalen oder eines deutschen Marktwirtschaftlers, dafür ist sein Glaube an den starken Staat zu groß. Am Ende steht Macron doch in der Tradition Colberts und des Merkantilismus. Durch das Ausscheiden Englands aus der EU sind die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser Vorstellungen in der EU sehr viel günstiger geworden. Dazu kommt jetzt die Ausschaltung der CDU in Deutschland als ernstzunehmende Kraft in allen wirtschaftspolitischen Fragen. Dieser Niedergang der CDU ist zwar auch eine Folge der Einführung des Euro, dessen Handlungszwänge – unter anderem eine eben doch fast uneingeschränkte Solidarhaftung zwischen den einzelnen Euroländern – sich mit marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht dauerhaft vereinen lassen, aber den Todesstoß hat der CDU der viel geschmähte Mann aus Würselen versetzt.

Für die SPD bietet dieser Sieg den großen Vorteil, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen – eine immer höhere Steuerquote, eine langsame steuerpolitische Liquidation des Mittelstandes und eine starke Lenkung der Wirtschaft über diverse Eingriffe – durchsetzen zu können, obwohl es im Bundestag, in dem die linken Parteien nur noch eine Minderheit der Abgeordneten stellen, auf absehbare Zeit für eine solche Politik eigentlich keine Mehrheit mehr gegeben hätte. Schade ist, dass in dem zukünftigen europäischen Subventionsparadies, das Juncker und andere planen, das meiste Geld nach Süden und vielleicht noch nach Frankreich fließen wird, aber, jedenfalls fürs Erste, meist aus deutschen Kassen kommt. Schade auch, dass das wirtschaftspolitische Modell, das bislang das Fundament des deutschen Wohlstandes bot, zerstört wird, aber alles hat seinen Preis, auch der Euro und die Vereinigten Staaten von Europa. Und eine alte Partei wie die SPD kann nicht ohne Kampf untergehen, genauso wenig wie ein altes Reich. Schulz hat immerhin dafür gesorgt, dass die CDU mit in den Abgrund gerissen wird, sollte der jetzige Niedergang wirklich der Anfang vom Ende der SPD sein. Das ist dann eben doch ein großer Sieg, den der oft unterschätzte Mann aus Würselen in seiner kurzen Karriere in Berlin errungen hat. Wenige, außer vielleicht Juncker und Macron, werden ihm sein heroisches Opfer zu danken wissen, aber er hat, obwohl äußerlich gescheitert, sehr viel mehr vollbracht als manch ein anderer Politiker, der sich zwar jahrelang im Amt hält, aber nur still den Niedergang verwaltet. Schulz hat Deutschland dauerhaft verändert.


Roland Asch