Tichys Einblick
Alarmierende neue Datenauswertung

Lockdown und Homeschooling treiben Kinder und Jugendliche in Depressionen und Verzweiflung

Neue Daten zeigen das dramatische Ausmaß der psychischen Folgen des Lockdowns für Kinder und Jugendliche - Suizidpläne, Kontrollverlust, Hilflosigkeit. Doch keinen scheint es so recht zu interessieren.

IMAGO / photothek

Seit die deutschen Schüler mit Beginn des zweiten Lockdowns zurück ins Online-Universum verbannt wurden, kann von einem normalen Schulalltag kaum mehr die Rede sein. Kinder und Jugendliche sitzen seit Monaten allein zuhause und starren frustriert auf ihre Laptops – zumindest dann, wenn nicht grad mal wieder der Server der Online-Lernplattformen abgestürzt ist. Auf die kleine Hoffnung, bald mal wieder mit Freunden und Klassenkameraden zusammen sein zu können, endlich wieder über den Schulhof zu toben oder die ersten Flirtversuche zu wagen, folgte nicht mehr als eine bittere Enttäuschung nach der anderen. Die Schulöffnung wurde erst von Januar auf Februar und dann von Februar auf März verschoben. Heute sitzen die meisten Schüler immer noch zuhause und verzweifeln, während unsere geschätzten Politikvertreter nichts Besseres zu tun haben, als sich gegenseitig Moralkeulen um die Ohren zu hauen.

Heft 03-2021
Tichys Einblick 03-2021: Es reicht.
Wie extrem die psychischen Folgen des nicht enden wollenden Homeschoolings wirklich sind, machten Berliner Jugendliche jetzt selbst deutlich. Wie der Tagesspiegel berichtet veröffentlichte die Schüler-„Initiative Bildungsgerechtigkeit 2021“ erst diese Woche eine Datenauswertung, die belegt, dass Berliner Schüler im Homeschooling massiven Problemen, bis hin zu psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Die Ergebnisse beruhen auf drei verschiedenen Umfragen unter 7.433 Schülern, 16.477 Mitgliedern der Berliner Schulgemeinschaft und 67 Schulsprechern sowie auf 5.368 E-Mails, die einem der Initiatoren und ehemaligen Landesschülersprecher Berlins, Miguel Góngora, seit März letzten Jahres zugeschickt wurden.

Die Bilanz des Fall- und Melderegisters, in dem die Daten zusammengefasst wurden, ist mehr als nur bitter: es gab unter anderem 6 Meldungen von Vergewaltigungen, 67 Fälle physischer Gewalt im häuslichen Umfeld, 24 Fälle von Selbstverletzung, 73 Ankündigungen von Suizidplänen und ganze 2.728 Meldungen von Depressionen aufgrund von Perspektivlosigkeit. Insgesamt beschreiben 79 Prozent der über 7.000 Befragten Schüler einen negativen Einfluss auf ihre Lebensqualität und 73 Prozent ein Gefühl von Kontrollverlust in ihrem Leben. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mich machen solche Zahlen immer noch sprachlos – auch wenn sie mich nicht überraschen.

Was hätte auch anderes passieren sollen? 

Wie soll sich ein Kind oder Jugendlicher auch fühlen, wenn man ihm in den Mainstream-Medien jeden Tag erzählt, dass er seine Oma, den Nachbarn oder die Lehrerin umbringt, wenn er nicht zuhause bleibt? Wenn er also allein aus kindlicher Naivität wirklich glaubt, dass wir von einer tödlichen Seuche bedroht werden? Und selbst wenn man keine Angst vor dem Virus an sich hat, dann sitzt man als Schüler am Ende immer noch allein zuhause, abgeschnitten von seinen Freunden und muss sehen, wie man sich die Zeit vertreibt. Laut der Schülerumfrage machen das 46 Prozent der Kinder und Jugendlichen, indem sie täglich mehr als 8 Stunden am Bildschirm verbringen – eine Zeit, die sie garantiert nicht mit Lernen verbracht haben. Das würde zumindest auch dem Ergebnis einer Studie der DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf entsprechen, dem nach die Computerspielzeiten von Kindern und Jugendlichen während des Lockdowns werktags um bis zu 75 Prozent und die Social-Media-Zeiten um 66 Prozent gestiegen sind. Wen wundert da noch, wenn die derart gestörte Tagesstruktur, auch noch zu Schlafstörungen führt.

Abgesehen von der gähnenden Langeweile, Eintönigkeit und dem Frust, über den Online-Unterricht nichts ordentliches zu lernen, ist der Verlust der Freunde und der sozialen Gruppe – also kurz gesagt die Einsamkeit – für die deutschen Schüler wahrscheinlich das Schlimmste am Homeschooling. Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, kann ich mir jedenfalls nichts schlimmeres vorstellen als von meiner Clique abgeschnitten und mit meiner Familie zuhause eingepfercht zu sein – mit denen stand ich pubertätsbedingt nämlich ziemlich auf Kriegsfuß. Auch so wären sie bei Teenager-Problemen, aber auch nicht grad mein favorisierter Ansprechpartner gewesen. Wenn ich traurig war, weil der süße Typ auf der Nachbarklasse nicht auf mich steht, habe ich das jedenfalls nicht meiner Mama erzählt.

Vergessene Corona-Opfer
Psychisch kranke Kinder leiden besonders unter dem Lockdown
Das gemeinsame Tuscheln auf dem Pausenhof, die vielen kleinen Zankerein und das Schäkern mit den Klassenkameraden kann auf Dauer weder durch Zoomen, Chatten oder Telefonieren ersetzt werden – das kann auch die fürsorglichste Familie nicht ausgleichen. Mal abgesehen davon, dass Mama und Papa wahrscheinlich selbst ziemlich mit der Situation überfordert und dadurch in ihrer Kapazität eingeschränkt sind – arbeiten und gleichzeitig auf die gelangweilten Kinder aufzupassen, stelle ich mir jedenfalls schwierig vor. Wenn alle unter Stress stehen und sich nicht aus dem Weg gehen können, ist das Konfliktpotential extrem hoch. Dass es dann grade in Problemfamilien unter Umständen sogar zu Gewaltausbrüchen kommt, überrascht mich leider auch nicht.

Die Senatsverwaltung sollte also aufhören irgendwelche Stimmungsbilder einzuholen, sondern das Homeschooling beenden und zum Präsenzunterricht zurückkehren – nicht im Wechsel oder nur für Grundschüler, sondern für alle und das möglichst sofort. Die Antwort auf die Frage „Bist du mit deinem Leben zufrieden?“ sollte bei einem Jugendlichen schließlich wirklich nicht lauten: „Nein ich will mein Leben zurück“.

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