Tichys Einblick
Gute Lobbys, schlechte Lobbys

Lobbycontrol: Vetternwirtschaft bei Graichens kein Problem

Gute Lobbys, schlechte Lobbys: Wer Lobby ist, das bestimmt Lobbycontrol. Ob Jennifer Morgan im Außenministerium oder jetzt die Graichen-Clique – die Organisation hat erhebliche ideologische Schlagseite, wenn es um Grüne geht.

IMAGO / Metodi Popow

Als „verdienstvoll“ bezeichnet Welt-Redakteur Daniel Wetzel die NGO Lobbycontrol in einem Artikel – bevor er sie wegen einer vor Fehlern strotzenden Studie in der Luft zerfetzt. Die Anekdote zeigt zweierlei. In vielen Medien gilt Lobbycontrol als seriöser Ansprechpartner in Lobbyfragen. Wer Lobbycontrol heißt, muss es ja wissen. Andererseits ist ihre ideologische Schlagseite bekannt. Böse sind die CDU, die Gasmafia und Großkonzerne. Wer für Klimaschutz streitet, kommt dagegen mit einem grünen Auge davon.

Das neueste Kapitel in diesem Fall: die Familien-Connection des Graichen-Kellner-Clans im Bundeswirtschaftsministerium. Altbekannt, dennoch aufgewärmt. Patrick Graichen ist Staatssekretär, sein Schwager Michael Kellner Parlamentarischer Staatssekretär. Schwester Verena Graichen und Bruder Jakob Graichen sind beim Öko-Institut, das Aufträge vom Ministerium erhält und vergütet wird. Eigentlich gilt, ähnlich wie bei den Journalisten auf Staatslohn: Schon der Anschein von Vetternwirtschaft ist problematisch.

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Mittlerweile haben eine ganze Reihe von Medien dieses Problem – nach anderthalb Jahren – erkannt, die CSU schäumt und plötzlich sind die Connections nicht mehr so unproblematisch. Dass an Graichen noch ein ganz anderes Netz hängt, haben die Berichterstatter des Massestroms bisher noch nicht entdeckt. Aber ein Anfang ist getan. Und damit kommt Lobbycontrol ins Spiel.

Denn immer noch hat diese Organisation für eine Vielzahl von Sendern und Zeitungen einen unumstößlichen Ruf. Ob bei öffentlich-rechtlichen Medien wie bei nicht-öffentlich-rechtlichen Medien. Und so kommen etwa bei Tagesspiegel oder MDR auch die Vertreter von Lobbycontrol zu Wort. Zitat Tagesspiegel:

Christina Deckwirth vom Verein „Lobby Control“ hält es generell für möglich, familiäre und berufliche Beziehungen auseinanderzuhalten. „Es muss sichergestellt werden, dass Herr Graichen und Herr Kellner mit der Auftragsvergabe an das Öko-Institut nicht befasst sind“, sagt sie.

Das sollte nicht zu sehr verwundern. Denn in einem Interview hat Deckwirth zur selben Causa schon etwas sehr Ähnliches gesagt. Angesprochen auf die Connection („Wie kritisch sehen Sie das?“) sagt sie gegenüber Table Berlin:

„Grundsätzlich weniger kritisch als die umgekehrten Wechsel aus der Politik auf Lobbyposten. Als Jörg Kukies von Goldman Sachs ins Finanzministerium gewechselt ist, haben wir das nicht so stark kritisiert wie umgekehrte Wechsel in Lobbyjobs hinein. Denn in diesem Fall besteht immer die Gefahr, dass Kontakte und Erfahrungen aus dem Amt sozusagen ‚vergoldet‘ werden. Zudem ist es aus unserer Sicht schon ein Unterschied, ob man zuvor Gemeinwohlinteressen vertreten hat oder die Interessen eines Wirtschaftsunternehmens.“

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Die Staatssekretäre der Agora
Es gibt nur einen Haken an der Sache. Patrick Graichen ist als Referent des Bundesumweltministeriums bereits zum Vize-Direktor der Agora ernannt und anschließend, nach Ernennung zum Direktor als Beamter „beurlaubt“ worden. Er ist also sogar doppelter Seitenwechsler: Referent im BMU, dann Agora, dann Staatssekretär im BMWK. Die Behauptung, Graichen arbeite für das „Gemeinwohl“, ist aus vielerlei Gründen eine Ablenkungsstrategie. Ein Think-Tank ist kein gemeinnütziger Verein, und nur, weil Deckwirth sich mit den Zielen der Agora vielleicht identifizieren mag, bleibt eine Lobby eine Lobby. Statt prinzipiell die Einflussnahme von Konzernen und NGOs zu hinterfragen, werden nur die hinterfragt, die ins eigene ideologische Schema passen. Einer allgemeingültigen Definition hält eine solche Willkür nicht stand.

Später sagt Deckwirth, dass auch Graichen bei Anliegen von Umweltverbänden „in Bezug auf Gas“ gemauert habe. Das ist für sie Ausweis genug, dass Graichen kein Ansprechpartner für Umweltverbände ist. Ein Strohmann: Niemand hat je behauptet, die Agora sei offen für Umweltverbände. Klima- und Umweltschutz sind zwei Paar Schuhe. Der Vorwurf lautet, dass Graichen Politik im Sinne seiner Lobby macht. Nur, weil jemand das eigene Steckenpferd nicht mag, ist das kein Beweis dafür, dass er unabhängig sei. Wieder eine willkürliche und subjektive Konstruktion.

Dennoch wird solchen Argumenten Relevanz beigemessen. Woher Lobbycontrol diese nimmt, bleibt schleierhaft. Denn es ist nur einer von mehreren Fällen, in denen die NGO vor allem dazu dient, das Fehlverhalten der einen Seite zu benennen und das Fehlverhalten der eigenen Seite zu bemänteln.

Stichwort Jennifer Morgan. Als die ehemalige Greenpeace-Chefin ins Außenministerium zieht, bleibt Lobbycontrol nur Achselzucken übrig. Man muss sich die Argumentation vor Augen führen. Sie sagt viel mehr über Lobbycontrol und ihr Verhältnis zu „guten“ und „schlechten“ Lobbys aus als den Wechsel Morgans ins Amt des Staatssekretärs:

„Mit der Personalie Jennifer Morgan sendet die Außenministerin das Signal, dass konsequenter Klimaschutz künftig oberste Priorität hat, was bisherigen Ankündigungen der Grünen entspricht. Als LobbyControl haben wir auch in der Vergangenheit betont, dass es möglich sein muss, Fachleute von außen in die Ministerien zu holen. Bei Wechseln aus der Politik hinaus brauchen wir dagegen strengere Regeln. Man kann einen solchen Wechsel von einer Organisation, die sich für ideelle Ziele einsetzt, auch nicht gleichsetzen mit einem Wechsel aus Verbänden, die vorrangig eigene wirtschaftliche Interessen vertreten. Klar ist aber auch, dass Morgan künftig die Positionen der Bundesregierung vertreten muss und nicht die von Greenpeace.“

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Wer sich für „Ideelle Ziele“ einsetzt, steht nicht unter Verdacht. Da ist es wieder, das Gemeinwohl. Nur ist die Definition dessen, was ideelle Ziele sind, wieder einmal: höchst subjektiv. Die Idee, dass das Beamtenrecht, Unabhängigkeit, gegenseitige Kontrolle, also kurz: die Korrekturmaßnahmen der Republik, außer Kraft gesetzt werden können, wenn die Person moralisch gut handelt, widerspricht jeder staatlichen Ordnung, die Korruption und Abhängigkeiten ausschließen muss.

Lobbycontrol hat mehrfach betont, dass ein Wechsel aus Lobbys in die Politik nicht so scharf kritisiert würde, man bei einem Wechsel aus der Politik in die Lobby jedoch deutlich kritischer sei. Benutzen wir die Suchfunktion auf der Webseite. Treffer für Ramona Pop, die ehemalige Berliner Wirtschaftssenatorin, die heute Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes ist? 0 Ergebnisse. Treffer für Yasmina Fahimi, Staatssekretärin im Arbeitsministerium, zuletzt Bundestagsabgeordnete, die heute Vorsitzende des DGB ist? 0 Ergebnisse. Treffer für Rainer Baake, zweimaliger Staatssekretär, Agora-Gründer und ehemaliger DUH-Geschäftsführer? 0 Treffer.

Man könnte an dieser Stelle darauf verweisen, dass die bis zum November 2020 im Vorsitz von Lobbycontrol sitzende Heike Dierbach bei Greenpeace war. Man könnte anmerken, dass Mitgründer Arne Semsrott der Bruder des Abgeordneten im EU-Parlament Nico Semsrott ist, der mit der PARTEI einzog und heute Mitglied der Grünen Fraktionsgruppe ist. Aber das alles sind nur Details, weil die ideologische Ausrichtung der Organisation in jeder Meldung deutlich wird.

Lobbycontrol behauptet von sich selbst, über Denkfabriken aufzuklären. Die Agora Energiwende wird nur in einem einzigen Artikel auf ihrer Seite erwähnt, wenn man die Suchfunktion benutzt: und zwar als Stichwortgeber gegen die vermeintlichen Machenschaften der Gaslobby. Denn bei Lobbycontrol verhält es sich eben wie beim berühmten Zitronenfalter. Manche glauben wirklich, dass Lobbycontrol Lobbies kontrolliert. In Wirklichkeit kontrolliert die NGO, wer Lobby ist und wer nicht.

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