Tichys Einblick
Politische und mediale Rechtfertigung

Linksextreme Gewalt: Beim Fall Lina E. fallen die Masken

Nach der Urteilsverkündung randalierte die Antifa. Während das konservative Lager die Bestrafung von Lina E. als zu mild befindet, ist sie vielen Linken zu hart. Die ideologischen Helfershelfer und Verharmloser linksextremer Gewalt in Medien und Politik attestieren der brutalen Selbstjustiz eine hehre Gesinnung.

Hamburg, 31. Mai 2023 - Proteste gegen die Verurteilung von Linksextremistin Lina E.

IMAGO

Bevor eine Revolution stattfindet, so lehrt die Geschichte, versucht die noch amtierende Regierung den Bedürfnissen der Radikalen so weit entgegenzukommen wie möglich. Eine gewisse Parallele zeigte sich am Mittwoch beim Urteil über die Linksextremistin Lina E. Der linke Mob droht auf der Straße. Die Bundesanwaltschaft fordert dagegen acht Jahre Haft. Zuletzt sind es 5 Jahre und 3 Monate, die Richter Hans Schlüter-Staats ihr auferlegt.

Der Richter betont: Lina E. habe sich im Prozess „positiv abgehoben“. Und: Es sei ein „achtenswertes Motiv“, Rechtsextremismus zu bekämpfen. Er sei schließlich die größte Bedrohung im Land. Die 30 Monate Untersuchungshaft werden ihr angerechnet. Die Linksextremistin kann damit rechnen, dass auch das letzte Drittel der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Ihren Haftbefehl setzt Schlüter-Staats aus. Ein linkes Märchen wird wahr. Lina E. kann nach Hause gehen. Der Saal jubelt.

Linke Gewalt "achtenswert"
Linksextreme Lina E. zu 5 Jahren Haft verurteilt - Gelenke zerschmettern ist "achtenswertes Motiv"
Doch das will die Antifaschisten nicht versöhnen. Obwohl man deren Forderungen entgegenkommt, sammeln sich die linksextremen Sympathisanten am Abend. In Berlin, Köln, Leipzig und Bremen attackierten sie Polizisten. In Halle brannten Autos. In Leipzig widersetzten sich Teilnehmer einer Demonstration, die laut Polizei ein „militantes Erscheinungsbild“ aufwies, der Auflösung durch Sicherheitskräfte. Flaschen, Steine und Rauchbomben flogen, vier Polizisten wurden verletzt. In Berlin kam es zu Festnahmen in zweistelliger Höhe, in Bremen nahm die Polizei 70 Personen fest. Das alles nur wenige Tage nach einem Anschlag auf das Privathaus des Justizministers Marco Buschmann.

Lina E. gehörte einer als „Hammergruppe“ bezeichneten Bande an, die insgesamt 13 Menschen angriff. Sie fügte ihnen mit Hämmern schwerste körperliche Verletzungen zu, brach ihnen die Gelenke oder übergoss sie mit Säure. Die Opfer waren Neonazis – oder schlicht „vermeintliche“ Neonazis. Früher Hexenhammer, heute Rechtehammer? Ist das die Form des berüchtigten Kampfes gegen Rechts, den ein Richter begrüßt – wenn die Opfer im Gerichtssaal sind?

Dennoch ist an dem Abend klar, wer auf der richtigen Seite steht, wer nicht. Dass die Linken neuerlich Opfer eines rechts unterwanderten Staates sind. Dass Lina E. nur so hart angefasst werde, weil sie eine Linksextreme sei. Sebastian Hotz, Autor des ZDF Magazin Royale: „Man kann sich vor linksextremer Gewalt recht einfach schützen, indem man z. B. kein Nazi ist.“ Timon Dzienus, Grüne Jugend: „Mit einem völlig übertriebenem und auf fragwürdigen Indizien beruhenden Prozess wird mit aller Härte gegen #LinaE und andere Linke vorgegangen.“ Annika Brockschmidt, Publizistin: „Fassungslosigkeit.“ Julia Schramm, Linkspartei: „Irgendwie so nicht-überraschend wie schockierend, dass eine junge, linke, antifa Frau, die so gar nicht dem entspricht, was die Gesellschaft von ihr erwartet, völlig überzogen bestraft wird. Ein Nazi Mann würde niemals vergleichbar bestraft werden.“

Tweets, die ein Sittenbild ergeben. Ein Böhmermann-Mitarbeiter, der Bundessprecher der Grünen Jugend, eine Journalistin und eine Politikerin der Linkspartei, die früher im Parteivorstand saß. Sie alle verbindet der Gedanke, dass das Vorgehen gegen die Linksextremistin Lina E. zu hart war. Sie rechtfertigen de facto nicht nur die Tat, sondern stellen den Rechtsstaat infrage. Einen Aufschrei gibt es nicht.

Es sind akzeptierte Meinungen in einer Republik, in der noch keine politische, jedoch längst eine moralische Revolution stattgefunden hat. Linke, die immer wieder behaupten, Menschenrechte zu schützen, definieren zugleich, wer dieser Menschenrechte würdig ist. Sie wiederholen das Mantra, rechtsextreme Gewalt richte sich gegen Menschen, linksextreme Gewalt lediglich gegen Objekte. Vielleicht enthält dieses Mantra einen wahren Kern. Denn wer „Nazi“ ist, der ist in ihren Augen ein Objekt. Freiwild. Vogelfrei.

Der Anlass, das Leben eines Individuums zu zermalmen, kann dabei nichtig sein. So im Falle eines Kanalarbeiters aus Connewitz. Die Gruppe überfiel ihn bei der Arbeit. Die Linksextremisten brachen ihm das Jochbein. Er erlitt mehrfachen Schädelbruch. Tobias N. machte den Fehler, eine Mütze aus einem rechten Modelabel zu tragen. Dafür muss er bis heute eine Metallplatte im Gesicht tragen. Er könnte sonst erblinden. Seine Arbeit hat er verloren, aus Angst den Wohnort gewechselt. Vor Gericht sagte er, dass er sich bereits seit langer Zeit von der rechten Szene gelöst habe.

Am Abend der Urteilsverkündung folgte nicht der berühmt-berüchtigte „Aufstand der Anständigen“. Es randalierte die Antifa. Man ist niemals links genug. Während das konservative Lager in der Bestrafung ein viel zu mildes Urteil erkennt, war es den Linken noch zu hart. Die gute Gesinnung ist Ausweis des Siegers in der Geschichte. Die ideologischen Helfershelfer in Medien und Politik spulen ein ähnliches Programm bei Klimaextremisten ab. Oder man verweist wie die ZDF-Moderatorin Dunya Hayali einfach mal auf die Ermordung Walter Lübckes. Whataboutism auf öffentlich-rechtlich.

Der Theologe und TE-Autor Achijah Zorn hat durchaus richtig angemerkt: „Was ist, wenn die Demokratie von der Mitte her erodiert?“ Ist es wirklich so, dass in Deutschland die Ränder stärker werden – oder beobachten wir seit Jahren nicht vielmehr in integralen Bestandteilen von Staat und Gesellschaft eine deutliche ideologische Verschiebung, an deren Ende linksextreme Gewalt den Status eines Kavaliersdeliktes erhält? Die Nonchalance zeigte sich bereits beim Achselzucken, teils bei der Idealisierung von Leuten, die wissentlich einen Verkehrskollaps in den Metropolen des Landes auf sich nehmen. Linksradikale Sabotage in neuem Gewand – aber nun akzeptiert. „Achtenswerte Motive“ – auch hier.

Was in dieser Republik stattfindet, ist mehr als nur die Rückabwicklung eines historischen Konsenses. Es ist ein Rückschritt hinter den ursprünglich abendländischen Gedanken des Menschen als Ebenbild Gottes, das Jahrhunderte brauchte, um sich in dieser Form durchzusetzen. Gleich wie schlecht ein Mensch ist, gleich was er denkt. Als Individuum besitzt er gewisse unveräußerliche Rechte. Dazu gehört das Recht auf Leben und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, der 1945 kein Ende fand, sondern in Stalins Gulags und Maos Kulturrevolution dämonisch frisch blieb, will auch das 21. Jahrhundert nicht loslassen.

Wenn der Fall Lina E. demnach etwas offenbart, dann neuerlich das wahre Gesicht hinter all jenen, die Andersdenkende als Nazis und Menschenfeinde titulieren, in denen aber selbst ein tiefer menschlicher Abgrund klafft. Womöglich muss man für diese Offenbarung dankbar sein. Bleibt noch ein letzter, bitterer Schluss. Denn „Nazi“; das sind heute lange nicht mehr echte Neo-Nazis. Der Begriff weitet sich vielmehr auf ein knappes Fünftel der Menschen in Deutschland aus, die das Land auf Abwegen sehen. Darf man gegen sie auch agieren, wie es die Linksextremen aus „achtenswerten Motiven“ taten? Auch Tobias N. war ein spontan ausgewähltes Opfer.


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