Tichys Einblick
Weltwirtschaftsforum WEF

Klaus Schwab – verloren in Verschwörungstheorien

Der Chef des Weltwirtschaftsforums sieht sich selbst als Opfer, dessen Sätze "böswillig ausgelegt" würden. Eine Verschwörung ist das von ihm vorgezeichnete Programm des "Great Reset" wirklich nicht. Aber missverständlich auslegbar ist es auch nicht. Man muss es nur lesen.

Klaus Schwab

picture alliance/KEYSTONE | SALVATORE DI NOLFI

Wem die Welt fremder wird, der sieht sich von Verschwörern umstellt. Wem die Wirklichkeit selbst zur Verschwörung wird, der erblickt um sich herum nur noch Verschwörungstheoretiker. Der Arzt, der ein pseudowissenschaftliches Experiment mit Woyzeck anstellte, indem er ihn zwang, sich nur von Erbsen zu ernähren, stellte bei seinem Versuchsobjekt „die schönste Aberratio mentalis“, eine teilweise geistige Verirrung fest. Woyzeck litt unter der doppelten Natur, denn „wenn die Sonn in Mittag steht und es ist, als ging´ die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme“ zu ihm geredet, zu Woyzeck, der überall, um sich, unter sich die Freimaurer am Werke vermeinte. 

In meinem Buch über die Geschichte der Geheimbünde habe ich auch eine historische Analyse der Verschwörungstheorien unternommen. Es existieren grundsätzlich zwei Arten von Verschwörungstheorien, die, an die man glaubt, und die, die man aus politischen oder wirtschaftlichen Interessen bewusst in die Welt setzt. Natürlich können die Übergänge fließend sein – und es ist auch schon vorgekommen, dass diejenigen, die aus politischen Kalkül oder einfach, weil ihnen keinerlei vorgeschobene Begründung für ihr Handeln mehr zu Verfügung stand, anfingen, an ihre eigenen Verschwörungstheorien zu glauben. Letzteres indiziert allerdings einen bedenklichen Wirklichkeitsverlust. Denn so sehr es unserem Unterhaltungsbedürfnis widerspricht, die Realität ist kein Dan-Brown-Roman, der nur die Reste der Verschwörungstheorien des 18. Jahrhunderts zusammengekehrt hat. 

Ich muss Sie leider enttäuschen, weder lenken Geheimbünde unser Schicksal, noch sind die Bilderberger die heimlichen Herrscher der Welt, auch nicht das Weltwirtschaftsforum, noch koordiniert der Leiter des Weltwirtschaftsforum eine Weltverschwörung der Eliten. Vielleicht träumt er in seinen hübschesten Tagträumen davon, aber es würde ihm nicht glücken, selbst wenn er es wollte. Geschichte funktioniert anders, chaotischer, im Grunde ist Geschichte nur der mühselige Versuch das Chaos, dass wir Menschen stets und ständig anrichten, irgendwie verstehbar zu machen, es nach rationalen Kategorien zu ordnen. Dort, wo die rationalen Maßstäbe versagen, drücken die Verschwörungstheorien wie Butter durch das Pergamentpapier durch. 

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Jüngst hat sich der Leiter des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, in einem Artikel für die Schweizer Weltwoche als Opfer von Verschwörungstheoretikern dargestellt, als eine nicht ganz unschuldig verfolgte Unschuld – und hat damit eine ganz eigene Verschwörungstheorie ersonnen. Er beklagt bitter, dass Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und böswillig ausgelegt werden, weil er den Great Reset in seinem Buch „Covid-19. Der große Umbruch“ propagiert hat. Das kann man nicht ganz ernst nehmen, denn erstens ist das Wesen des Zitats, dass es aus einem Zusammenhang gerissen wurde, sonst müsste man den ganzen Text anfügen, und zweitens kann er doch froh sein, zitiert zu werden, so wird er wenigstens beachtet. Dass allerdings Verschwörungstheorien die Gesellschaft infizieren, darf man getrost als Verschwörungstheorie verstehen. 

Doch Klaus Schwab glaubt offenbar allen Ernstes, dass sich eine Verschwörung gegen die herrschenden Eliten, zu denen er sich rechnet, versammelt hat, Verschwörer, die ihrerseits behaupten, dass die Eliten, zu denen er sich weiterhin eisern rechnet, „die Macht sichern und einen totalitären Staat entwickeln.“ Man kann Klaus Schwab beruhigen: Ersteres ist das keine Verschwörung, auch keine Theorie, sondern schlicht das Wesen von Politik. Dass das Einmaleins von Politik oder von Herrschaft darin besteht, die eigene Macht zu sichern, ist seit Tausenden von Jahren Realität. Wieso behauptet Schwab, dass diese Feststellung Element einer Verschwörungstheorie ist? Sie gibt lediglich die Realität wieder. Wie um alles in der Welt sollten Politiker oder Herrschende sonst agieren? Und weshalb darf man diese „Eliten“ nicht bei ihren eigenen Worten nehmen? Schämt sich Klaus Schwab seiner Worte oder hat er sie vergessen?

Ich fürchte, es wird nicht einmal einem so tiefen Denker wie Klaus Schwab gelingen, die Einschränkung bis zur Suspendierung der Bürgerrechte durch die Merkel-Regierung als demokratisch und liberal darzustellen. Ob sich daraus ein totalitärer Staat entwickelt, wird sich daran zeigen, ob die Suspendierung nach Corona aufgrund der Klima-Apokalyptik beibehalten wird, denn dann wären wir tatsächlich auf der schiefen Ebene in die Ökodiktatur, oder ob wir zu unserer Normalität wieder zurückkehren, zu unseren Bürgerrechten. 

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Klaus Schwab schreibt in seinem Buch: „Viele von uns fragen sich, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren. Die kurze Antwort ist: nie. Nichts wird je wieder zu dem kaputten Gefühl von Normalität zurückkehren, das vor der Krise geherrscht hat, weil die Coronavirus-Pandemie einen fundamentalen Wendepunkt in unserer globalen Entwicklung markiert. Manche Analysten nennen es eine Weggabelung, andere eine Krise biblischen Ausmaßes, aber im Kern läuft es darauf hinaus, dass es die Welt, wie wir sie in den ersten Monaten von 2020 kannten, nicht mehr gibt. Sie hat sich im Kontext der Pandemie aufgelöst.” 

Das Zitat dürfte lang genug sein, um des Verdachtes enthoben zu sein, dass es aus dem Zusammenhang gerissen wurde, schreiten wir also zur „böswilligen“ Auslegung. Schwab behauptet, unsere Welt existiert nicht mehr, nie werden wir zu dem „kaputten Gefühl von Normalität“ zurückkehren. Ist es nun verschwörungstheoretisch zu entgegnen, dass unsere Welt sehr wohl noch existiert und wir zur Normalität zurückzukehren können und es übrigens auch wollen? Was stört ihn an dieser Normalität? 

In dem Beitrag in der Weltwoche blamiert sich Schwab mit der Behauptung, dass der „Great Reset“ „böswillig“ als eine „totale Umgestaltung der Gesellschaft ausgelegt“ wird. Aber wenn „nie“ zur Normalität, zur „Welt, wie wir sie in den ersten Monaten von 2020 kannten“, zurückgekehrt werden kann, heißt das doch, dass wir etwas Neues errichten und das Neue nicht das Alte ist und Schwabs neue Welt eine total umgestaltete Gesellschaft sein wird. Will Schwab nun eine neue Gesellschaft oder nicht? Hic Rhodus, hic salta: inkohärente Dampfplauderei oder seriöse politische Diskussion? 

Der arme Mann, von seinen Kritikern, die er aus Mangel an Argumenten gern ad personam als Verschwörungstheoretiker zu desavouieren sucht, zur Rede gestellt, laviert, denn der Great Reset soll „kein völlig neues Programm einleiten“, sondern dem „bestehenden Programm die Möglichkeit … geben, sich neu zu ordnen.“ Also doch eine total umgestaltete oder eben neu geordnete Welt. Wenn Schwab flüchtend den Gegensatz von „gesellschaftlicher Verantwortung“ und „freier Marktwirtschaft“ beschwört, dann hat der Leiter des Weltwirtschaftsforums die freie Marktwirtschaft nicht begriffen. Wenn er ein Forum of Young Global Leaders auflegt, dem Annalena Baerbock angehört, die Verbote liebt und die Zensur zumal, dann steckt da keine verschwörerische, aber eine politische Absicht dahinter – und die politische Absicht darf man in einer Demokratie kritisieren. Kritik ist übrigens auch keine Verschwörungstheorie, sondern Teil der Demokratie, die von Alternativen lebt.

Klaus Schwab hat hingegen die Funktion des Forum of Young Global Leaders so definiert: „Wenn die Young Global Leaders das Fünfjahresprogramm abgeschlossen haben, werden sie eingeladen, der Alumni-Gemeinschaft beizutreten, wo sie ihre Führungsreise fortsetzen und ihr Engagement für das Weltwirtschaftsforum sowie die Aktivitäten und Veranstaltungen der Young Global Leaders aufrechterhalten können. Alumni dienen als Stewards des Forum of Young Global Leaders, unterstützen den Auswahlprozess und fungieren als wertvolle Mentoren für neue Mitglieder. Unsere Alumni sind für unseren anhaltenden Erfolg von entscheidender Bedeutung, da sie neue Kooperationen oft unterstützen und anleiten und dazu beitragen, die wirkungsorientierte Denkweise der Gemeinschaft zu fördern.“

Das klingt alles ein wenig bündlerisch, die „Denkweise der Gemeinschaft“ erinnert irgendwie an die Ritter der Tafelrunde oder der Kokosnuss oder an die Gefährten des Baals. 

Eine Verschwörung ist dieses Programm nun wirklich nicht, aber es besitzt unstreitig eine politische Agenda, die ganz im Rousseauschen Sinne, im Sinne einer Gemeinwohldiktatur, im Abschluss eines neuen Gesellschaftsvertrages besteht. Denn, so Schwab, natürlich wieder aus dem Zusammenhang gerissen: „Einige Staats- und Regierungschef und Entscheidungsträger, die bereits an vorderster Front im Kampf gegen den Klimawandel standen, möchten den Schock, den die Pandemie verursacht hat, möglicherweise nutzen, um langfristige und umfassendere Umweltveränderungen durchzuführen.“

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Klaus Schwab resümiert: „Sie werden die Pandemie in der Tat ‚gut nutzen‘, indem sie sich die Chance, die die Krise bietet, nicht entgehen lassen.“ Es ist wohl nicht allzu böswillig interpretiert, wenn man Schwabs Diktum mit einem Zitat von Wolfgang Schäuble ergänzt: „Wir haben es mit dem Kapitalismus übertrieben.“ Deshalb stellt auch der Bundestagspräsident fest: „Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen …“.  Was man „politisch“, also demokratisch nicht zustande gebracht hat, will man nun undemokratisch unter Ausnutzung der Angst der Bürger um ihre Gesundheit und um ihr Leben am Souverän vorbei durchsetzen? Angesichts dessen ist es legitim zu fragen, ob die Bundeskanzlerin diese Chance zu nutzen gedenkt? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren. 

Wie glaubwürdig sind die Maßnahmen der Regierung, wenn man die Pandemie als große Chance für einen neuen Gesellschaftsvertrag, für eine Große Transformation (Merkel) oder für den Great Reset (Schwab) begreift, ohne dass man sich in Diskussionsorgien verlieren muss, weshalb Kritiker als Verschwörungstheoretiker diffamiert werden, denen „Schranken“ gesetzt werden sollten.

Vielleicht sollte Klaus Schwab gelegentlich von seinem virtuellen Davoser Zauberberg heruntersteigen und einen Blick auf das Leben der Menschen im Tal werfen. Es ist nicht gut, nur Umgang mit Berggeistern zu pflegen und in den tanzenden Schwaden der Regenwolken Gebilde der Wirklichkeit entdecken zu wollen. 

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