Tichys Einblick
Entwurf zur Kindergrundsicherung

Grünes Vorzeigeprojekt: „Offensichtlich sprechen Sie nicht so gerne im Detail darüber“

Im Bundestag wächst unter der Obhut von Lisa Paus das Bürokratiemonster namens Kindergrundsicherung heran. So ganz scheint aber selbst die Familienministerin nicht überzeugt zu sein. Niemand weiß, wann die Reformen aufgrund des Aufwands wirklich greifen.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) stellt das Gesetz zur Kindergrundsicherung vor. Doch erstmal redet sie im Bundestag über das Bürgergeld. Sie verteidigt es. Sie zitiert dabei Marcel Fratzscher, der ein düsteres Bild gemalt hat, was passiert, wenn Nichtarbeiten nicht ausreichend gewürdigt wird. Und Fratzscher ist ein großer Ökonom. Von ARD und ZDF über SPD und Grüne bis zu TAZ und FAZ hören alle auf ihn. Fast alle. Fratzscher hatte für 2022 vorausgesagt, die Inflation werde unter zwei Prozent fallen. Nur weigerte sich die Realität, auf die Vorhersage des großen Ökonomen zu hören.

Nun zitiert die Familienministerin Fratzscher und verteidigt mit seinen Worten den Bezug staatlichen Geldes statt Lohn. Das verwundert. Die Kindergrundsicherung werde Kinder aus der Armut und zu neuen Chancen führen, hieß das Versprechen der FDP. Die Kindergrundsicherung werde komplizierte Bürokratie beenden und alle Leistungen in einer Hand bündeln, sagten SPD und Grüne voraus. Und nun lobt Paus erst einmal den Bezug staatlichen Geldes, um die Kindergrundsicherung vorzustellen – wie passt das?

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Paus geht auch inhaltlich auf die Kindergrundsicherung ein. Ab 2025 bekämen die Kinder in Bürgergeld-Familien zwischen 532 und 638 Euro monatlich. Wer arbeite, bekomme für seine Kinder nicht so viel Grundsicherung, sagt Paus. Aber alles zusammen werde es schon noch mehr sein, als wenn jemand nicht arbeite. Arbeit werde sich weiter lohnen. Bei 2200 Euro staatlichem Geld und einer Gratis-Wohnung für verheiratete Langzeitarbeitslose mit zwei Kindern kann sich dann jeder ausrechnen, wie sehr sich für ihn noch arbeiten lohnt.

Silvia Breher (CDU) fallen dann weitere Widersprüche bei Paus auf. Sie macht es erstmal an Formalitäten fest: Die Kindergrundsicherung sei die „umfassendste sozialpolitische Reform“ und da diskutiere der Bundestag nicht mal 40 Minuten über das Thema? Kürzer als für Bundeswehr, Mindestlohn oder Digitalisierung am gleichen Mittwoch. Zudem wundert sich Breher darüber, warum Paus den Ländern und Verbänden nur eine Woche Zeit für Stellungnahmen gelassen hat. Es sei doch immerhin die „umfassendste sozialpolitische Reform“? Kurze Redezeit im Bundestag, kaum Zeit für Stellungnahmen, Breher drängt sich ein Verdacht in Sachen Paus und Kindergrundsicherung auf: „Offensichtlich sprechen Sie nicht so gerne im Detail darüber.“

Das Versprechen, die Kindergrundsicherung werde Bürokratie abbauen, zerpflückt Breher: 400 Millionen Euro jährlich koste die Verwaltung in diesem Bereich den Staat künftig mehr. 5000 Stellen müssten alleine in der Agentur für Arbeit geschaffen werden, deren Familienkasse sich um die Kindergrundsicherung kümmern soll, ergänzt Kai Whittaker (CDU).

Warum die Bürokratie mit der Kindergrundsicherung zunehme, erklärt Breher auch im Detail: So rechnet der Staat zum Beispiel Kindern künftig eine Pauschale für die Wohnkosten zu, zieht das dann aber den Eltern wieder ab. Die Kinder erfahren von der Familienkasse, welche Ansprüche auf Zuschüsse zu „Bildung und Teilhabe“ sie haben – müssen sie dann aber bei den Städten und Landkreisen beantragen.

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Ein eigenes Kapitel für sich ist der „Kindergrundsicherungscheck“: Die Familienkasse trägt für die Familien die nötigen Daten zusammen und prüft, ob die Kinder einen Anspruch auf Zuschüsse haben. Fällt die Antwort positiv aus, teilt die Kasse das den Familien mit. Die müssen daraufhin einen Antrag bei den zuständigen Stellen einreichen – und dafür die Daten zusammentragen. Wobei Paus nicht einmal das Versprechen einhält, dass alle Kinder über ihre Ansprüche informiert würden. Denn die Familienkasse kann laut Gesetzesentwurf den Check durchführen. Sie kann, muss aber nicht.

Und sogar bei den Leistungen fallen manche durch das Raster. Großfamilien bekommen zwar künftig deutlich mehr Geld. Aber für Alleinerziehende kann das Gesetz aus dem Hause Paus zur existenziellen Bedrohung werden. Denn mit Kindern unter sieben Jahren laufen sie demnächst Gefahr, keinen Vorschuss mehr auf den Unterhalt zu erhalten, wenn sich das andere Elternteil weigert, diesen Unterhalt zu zahlen.

Bliebe noch die FDP. Die hat zuletzt einer Erhöhung des Bürgergeldes um 25 Prozent innerhalb eines Jahres zugestimmt, betont aber gern: Sie wolle Anreize zum Arbeiten schaffen. Das hebt auch Martin Gassner-Herz (FDP) in seiner Rede hervor: Die Formel „Mehr Transfer führt zu weniger Armut“ greife zu kurz. Und: „Das Lohnabstandsgebot darf nicht gefährdet werden.“ Blöd für ihn, dass die Ministerin vom Koalitionspartner zuvor so stark betont hat, dass es für Kinder aus Bürgergeldfamilien künftig so viel mehr Geld gibt.

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Bliebe noch die Vereinfachung der Verfahren. Doch Gassner-Herz spricht nach Breher. Er geht aber weder auf den bürokratischen Aufwuchs ein, den sie beschreibt – noch auf die absurden Regelungen, die sie benennt. Das folgt einer politischen Ökonomie à la FDP: Der Abbau der Bürokratie ist derzeit ihre Kernforderung – die macht sich die Partei nicht dadurch kaputt, die Bürokratie tatsächlich abzubauen.

Dann gibt es schließlich noch das „Kinderchancenportal“. Was für ein Wort. Ein Portal, durch das die Kinder ihren Chancen entgegengehen können. Profaner ausgedrückt handelt es sich um eine Internetseite. Sie soll staatliche Leistungen für Kinder aufführen. Bis wann wird diese Internetseite fertig sein, die von einer Regierung erarbeitet wird, die sich den Bürokratieabbau und das „Deutschlandtempo“ auf die Fahne geschrieben hat? Das steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass die Internetseite nicht in dieser Wahlperiode fertig wird. Paus sprach in der entsprechenden Pressekonferenz von vielleicht 2029.

Auch steht noch nicht fest, wann die Kindergrundsicherung kommt. Paus verspricht 2025. Die Agentur für Arbeit sagt, das sei angesichts des bürokratischen Aufwands nicht sicher, ob sie diesen Termin einhalten kann. Für die FDP ist das eine gute Nachricht. Sie ist die Partei, die entschlossen den Abbau der überbordenden Bürokratie fordert. Das kann sie noch lange tun. Denn unter der Regierung von FDP, SPD und Grünen macht die Bürokratie alles – nur nicht weniger werden.

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