Tichys Einblick
Relativierung

Islamverbände schweigen über die Taliban-Herrschaft in Afghanistan

Umstrittene Islamverbände in Deutschland beschweigen oder relativieren das neue Taliban-Regime in Afghanistan. Darunter sind Verbände, mit denen die deutsche Regierung all zu gerne zusammenarbeitet. Für viele Muslime hier, die vor Scharia-Zuständen geflohen sind, ist das ein stiller Schlag ins Gesicht.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland e.V.

IMAGO / Jürgen Heinrich

Die Islamverbände, die sich so gerne nach außen als gemäßigt, tolerant und gar liberal stilisieren, schweigen weitgehend zu der Machtübernahme der islamistischen Taliban in Afghanistan und zu Relativieren deren Terror-Regime. Pressemitteilungen über ein Mitgefühl mit den Menschen dort – Fehlanzeige! Einige Akteure dieser Verbände wiederum relativieren das Islamisten-Regime und ihre Scharia. Genau diejenigen sind allzu oft Partner der Regierenden in Bund und Ländern.

Für viele Muslime in Deutschland, die vor Scharia-Zuständen und Islamisten geflohen sind, ist das eindeutig ein stiller Schlag ins Gesicht. Cem Özdemir (Die Grünen) hat recht, wenn er das Schweigen der Islamverbände hierzulande als „fürchterlich“ bezeichnet! Das laute Schweigen muss für Teile der muslimischen Bevölkerung in Deutschland nur schwer zu ertragen sein. 

Der Zentralrat der Muslime 

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Der Zentralrat der Muslime (ZMD) ist einer der größten Dachverbände Deutschlands, der ungefähr 22 Mitgliedsorganisationen vertritt. Das klingt groß, doch in Wirklichkeit vertritt er nur ca. ein Prozent der in Deutschland lebenden Muslime. Es ist der Verein, mit welchen die deutsche Bundesregierung besonders gerne zusammenarbeitet – und das obwohl er von Experten als bedenklich eingeordnet wird. Beim ZMD findet sich keine Pressemitteilung hinsichtlich der Situation in Afghanistan, obwohl dort viele Menschen – darunter auch Muslime und Musliminnen – nun einem islamistischen Regime ausgeliefert sind, ermordet, gefoltert und unterdrückt werden. Die letzte Pressemitteilung auf der Website des ZMD handelt vom „Tag gegen Muslimfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus“ im Juni. Doch wenn der Verein wirklich Wert auf Engagement gegen Muslimfeindlichkeit legen würde, müsste er auch entschieden sich gegen Islamismus und ein Taliban-Regime positionieren. Denn der Islamismus ist eine extremistische politische Ideologie, die sich ebenso gegen Muslime wendet. In Afghanistan ist derzeit jeder Mensch und jeder Muslim bedroht, welcher nicht nach den Taliban-Regeln sowie der Scharia agiert und nur gemäßigt religiös oder atheistisch ist. 

Dass Menschen und Muslime in Afghanistan einer Diktatur mit der Scharia, also dem islamischen Recht, ausgesetzt sind, scheint jedoch den Zentralrat der Muslime nicht zu interessieren. Das Schweigen scheint eher die Vermutung zu bestätigen, dass die häufige Klage gegen „antimuslimischen Rassismus“ bloß ein Instrument ist, um abzulenken und Kritik an islamistischen Strukturen abzuschmettern.

Die Akteure hüllen sich gerne in den Deckmantel des Antirassismus. Der Vorsitzende Aiman Mazyek ist besonders bekannt dafür, sich so liberal wie möglich zu präsentieren. In einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk sagte Mazyek, dass die Machtergreifung der Taliban ein Disaster für die Muslime weltweit sei, „denn die allermeisten Muslime – und die Afghanen ohnehin – wollen kein archaisches Leben gepaart mit einer Stammesdoktrin und das findet jetzt wieder an die Macht und deshalb ist es ein Desaster für alle.“

Umso mehr verwundert, dass es keine offizielle Pressemitteilung gibt. Die Worte des Vorsitzenden widersprechen somit gewissermaßen der offiziellen Stellung des ZMD. In einem Welt-Interview 2011 behauptete Mazyek, dass die Scharia mit der Demokratie vereinbar wäre, und betonte, dass die Scharia oft „fälschlich mit drakonischem Strafgericht gleich gesetzt“ werde. Immer wieder wird dem ZMD vorgeworfen, sich nicht grundsätzlich von der Scharia zu distanzieren. 

Nicht zu vergessen: Eine ZMD-Generalsekretätrin, Nurhan Soykan, wurde kurzzeitig Beraterin im Auswärtigen Amt (AA) – was erst nach großer medialer und politischer Empörung rückgängig gemacht wurde.

Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD)

An der Entstehung des Zentralrats der Muslime (ZDM) war maßgeblich die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD) beteiligt und ist bis heute ein Mitglied – allerdings ruht offiziell die Mitgliedschaft derzeit aufgrund starker Kritik. Denn die IGD wird der islamistischen und antisemitischen Muslimbruderschaft (MB) zugeordnet und vom Verfassungsschutz beobachtet. Mittlerweile hat die IGD sich umbenannt in „Deutsche Muslimische Gemeinschaft“ (DMG), bei der ebenfalls keine Pressemitteilung über die Taliban-Herrschaft in Afghanistan existiert. Stattdessen sorgt DMG-Präsident für Irritationen. Denn er teilte auf Twitter einen Artikel mit der Überschrift „Das totale Dämonisieren der Taliban ist falsch“.

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Zugleich postete er ein Video des Senders Aljazeera, in welchem ein Taliban-Beauftragter über die Scharia spricht, die mit Frauenrechten vereinbar sei. Desweiteren twittert er über einen journalistischen Artikel über die Scharia der Frankfurter Rundschau, der besonders das islamische Recht in Afghanistan und bezüglich Frauen thematisiert, Folgendes: „Wenn Leute zu einem Thema, vom dem sie keine Ahnung haben, einen Artikel schreiben, kommt so etwas heraus“.

Laut Verfassungsschutz sei das Ziel der MB „die Umgestaltung der Länder mit islamischer Mehrheitsbevölkerung in Staaten mit islamistischem Regierungssystem auf der Grundlage der Scharia sowie der islamischen Rechts- und Lebensordnung.“ Besonders Brisant ist die Aussage des DMG-Präsidenten: „Werden die Taliban es schaffen, eine inklusive Regierung zu bilden? Ich hoffe es… denn es ist imho der einzige Weg, das Land vor weiterem Blutvergießen zu bewahren.“ In einem anderem Tweet verglich er die Regierung Frankreichs mit den Taliban. Der DMG-Präsident Khallad Swaid hatte im Jahr 2017 auf seiner Facebook-Seite Fotos gestellt, auf welchem das Rabia-Zeichen der Muslimbruderschaft zu sehen war, die heute gelöscht sind.

 

Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)

Neben dem lautem Schweigen gibt es also auch Relativierungen der Taliban-Herrschaft in den umstrittenen islamischen Verbänden in Deutschland. So machte der Journalist Eren Güvercin via Twitter publik, dass ein Theologe der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) die islamistischen Taliban relativierte. Demnach stünden die Taliban „absolut im Einklang mit Mainstreampositionen der Muslime“ und wenn dies Gläubige anders sehen würden, sei das „Unwissenheit oder Heuchelei“. Im Jahr 2002 hatte sich die IGMG von den Taliban distanziert. Wie die Welt berichtete war der Verfasser nicht als Angestellter der IGMG, sondern als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, für die er sich mit Fragen religiöser Wegweisung befasse, tätig; In diesem Rahmen tausche er sich mit der entsprechenden Abteilung von Milli Görüs aus. Der IGMG-Generalsekretär versicherte, dass die IGMG unverändert bei ihrer entschiedenen Position gegenüber den Taliban bliebe. 

Die IGMG war lange Beobachtungsobjekt des Bundesverfassungsschutzes, da sie aus der islamistischen Millî Görüş-Bewegung in der Türkei entstanden ist. Im neusten Bundesverfassungsschutzbericht heißt es: „Die auch weiterhin bestehenden Verbindungen zu Teilbereichen der „Millî Görüş“-Bewegung sind belegt. Insgesamt gesehen löst sich die IGMG zunehmend aus der Einflussnahme der „Millî Görüş“-Bewegung in der Türkei.“

DITIB „Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion“

Auch die DITIB, die von der türkischen Religionsbehörde gelenkt wird, schweigt zur Situation in Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft und dem Scharia-Regime. Dies verwundert nicht. Denn die türkische Religionsbehörde (DIYANET) untersteht direkt dem türkischen Präsidenten. Der türkische Präsident Erdogan wiederum hat bereits deutlich gemacht: „Wir stehen nicht im Widerspruch mit dem Glauben der Taliban“. Und auch der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid antwortete auf einen Anruf von Erdogan: „Die Türkei ist unser Bruder“. (TE berichtete)

Erdogan sympathisiert zugleich mit Nationalismus und Islamismus – dies gilt für ihn persönlich als auch für seine Politik und strahlt ebenso in der DITIB aus, die mit dem Politischen Islam immer wieder in Verbindung gebracht wird. Vor allem DITIB ist ein häufiger Kooperationspartner von deutschen Politikern und Regierungen. So hat das Bundesland NRW, geführt von CDU und FDP, mit seinem Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) entschieden, wieder mit der DITIB für den Islamunterricht an Schulen zusammen zu arbeiten. Mit der DITIB schweigt die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland über die Islamisten-Herrschaft in Afghanistan. 

ATIB „Union Türkisch-Islamischer Kulturvereine in Europa“

Auch ATIB schweigt zu der Machtergreifung der Islamisten in Afghanistan. Der Verein wird vom Verfassungsschutz dem türkischen Nationalismus und rechtsextremistischen Grauen Wölfen zugerechnet. ATIB kritisiert die Vorwürfe und weist diese zurück. Auch ATIB ist Mitglied beim ZMD. Angeblich möchte der ZMD das Umfeld seines Gründungsmitgliedes ATIB mit seinen 120 Gemeinden – die mitgliedstärktste Organisation – überprüfen lassen. Dass Schweigen von ATIB erklärt sich wie bei der DITIB durch den Einfluss des türkischen Präsidenten Erdogan. Auf einem Gipfeltreffen im Frühjahr 2021 von Erdogans Lobbyorganisation war auch die ATIB vertreten durch ihren Präsidenten Durmuş Yıldırım. An dem Treffen nahmen Erdogans wichtigsten Lobbyisten und Funktionäre teil. Auch die IGMG – dessen Vorsitzender Kemal Ergün laut Verfassungsschutz das Ziel verfolgt, der IGMG ein eigenständiges Profil zu geben – war dort durch Kemal Ergün vertreten. 

Grünen-Politiker Cem Özdemir beklagte genau dieses Schweigen der islamischen Verbände gegenüber dem Handelsblatt. „Das laute Schweigen einiger in den Dachverbänden hierzulande finde ich fürchterlich“, sagte er. Wenn es Äußerungen gebe, dann seien diese eher verharmlosend oder gar verständnisvoll. „Das ist ein Ärgernis für die vielen Muslime in Deutschland, die an unsere europäischen Werte glauben und gerade auch mit den Frauen in Afghanistan mitfühlen“, kritisierte der Grünen-Politiker. „Wir erleben in der islamischen Welt einen Kampf jener, die die Werte der Aufklärung und Demokratie teilen mit denen, die diese radikal ablehnen“. Dieser Kampf sei auch in Deutschland zu beobachten.

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