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Integration der Asylbewerber: Was ist Dichtung, was ist Wahrheit?

Aufgrund aktueller Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) berichten zahlreiche Medien von einer gelingenden Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt, die bisherige Erwartungen übertrifft. Bei genauerer Analyse der Zahlen zeigt sich jedoch, dass dies so nicht stimmt.

© Miguel Villagran/Getty Images

Im Streit zwischen den Vertretern einer optimistischen und einer pessimistischen Sicht der Integrierbarkeit von Asylbewerbern aus den Kriegs- und Armutsregionen des nahen und mittleren Ostens und Afrikas zitieren die Medien jüngst wieder einmal verstärkt die Optimisten, allen voran die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Wiedmann-Mauz. So berichtet etwa die Stuttgarter Zeitung (StZ) vom 10. September, daß diese Mitarbeiterin der Kanzlerin aufgrund der jüngsten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zur Beschäftigung von Asylbewerbern der Meinung sei, deren Integration in den Arbeitsmarkt sei in den zurückliegenden vier Jahren deutlich besser verlaufen, „als es die Arbeitsmarktexperten vorhergesagt haben.“ Bestärkt wird sie darin unter anderem von einem der Arbeitsmarktexperten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Herbert Brücker. Auf ihn bezieht sich Tagesschau.de vom 9. September mit der Aussage: „Im Herbst dürften ungefähr 40 Prozent der Flüchtlinge in erwerbsfähigem Alter einer Beschäftigung nachgehen.“

Anlass für diese Behauptung sind 399.000 Personen aus den acht Hauptherkunftsländern, die per Juni 2019 bei der BA als sozialversicherungspflichtig beschäftigt (324.000) oder als geringfügig beschäftigt (75.000) gemeldet sind. Das entspricht laut der BA bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einer Beschäftigungsquote von rund 40 Prozent, die sich aus dem Verhältnis dieser Beschäftigten zu allen Personen aus diesen acht Ländern errechnet, die zwischen 15 und 65 Jahren alt sind. Bei allen Ausländern (ohne deutsche Staatsangehörigkeit) liegt die entsprechende Quote derzeit bei rund 52 Prozent, bei allen deutschen Staatsangehörigen bei 69 Prozent.

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Zu den rund 400.000 Personen aus den acht Ländern, die bei der BA entweder als sozialversicherungspflichtig oder als geringfügig beschäftigt gemeldet sind, zählen nun allerdings keineswegs nur die seit dem Jahr 2015 zugewanderten „Flüchtlinge“, sondern auch diejenigen Personen, die schon (lange) vor 2015 entweder als Asylbewerber oder als reguläre Arbeitsmigranten bzw. Studenten nach Deutschland gekommen sind. Hinzu kommen außerdem diejenigen Personen, die seit 2015 aus diesen Ländern nicht auf dem Asylweg, sondern mit Hilfe eines anderen Aufenthaltstitels nach Deutschland kamen. Bei den von Widmann-Mauz und anderen als Erfolgsbeleg angeführten rund 400.000 Beschäftigten handelt es sich somit keineswegs nur um Asylbewerber, die seit 2015 ins Land kamen.

Wie hoch die Anteile der verschiedenen Migrantengruppen an der Gesamtheit der Beschäftigten aus den acht Ländern sind, weisen die Statistiken der BA nicht aus, worauf die Experten für Statistikauskünfte der BA auf Nachfrage auch ausdrücklich hinweisen. Im Juni 2015 waren bei der BA allerdings insgesamt 77.000 Personen aus diesen Ländern als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gemeldet. Sie müssten korrekterweise von den 324.000 sozialversicherungspflichtig Gemeldeten des Jahres 2019 abgezogen werden, wenn es um die Frage geht, wie erfolgreich die Integration in den Arbeitsmarkt seit der Grenzöffnung 2015 verlaufen ist. Statt 324.000 sind seit 2015 tätsächlich wohl nur rund 250.000 Personen aus den acht Hauptherkunftsländern in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gekommen, davon der sicherlich weit überwiegende Anteil als Asylbewerber und nur ein geringfügiger Anteil als reguläre Arbeitsmigranten.

Die laut Brücker inzwischen erreichte Beschäftigungsquote von 40 Prozent stimmt somit zwar mit Blick auf alle erwerbsfähigen Personen aus den acht Hauptherkunftsländern der heutigen Asylbewerber, die schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten in Deutschland leben, nicht jedoch mit Blick auf die seit 2015 zugewanderten „Flüchtlinge“ aus diesen Ländern. Wie hoch diese tatsächlich liegt, wird von den Statistiken der BA nicht ausgewiesen, lässt sich aber anhand weiterer Statistiken annäherungsweise errechnen. So sind beim Statistischen Bundesamt Ende 2018 rund 1,8 Millionen Asylbewerber in Deutschland gemeldet. Sie dürften nahezu vollständig erst seit 2015 eingereist sein. Altersgruppenangaben ergeben, dass sich rund 70 Prozent der Asylbewerber im erwerbsfähigen Alter befinden. Damit haben wir es mit rund 1,3 Millionen erwerbsfähigen Asylbewerbern zu tun, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert sind. Ihre aktuelle Beschäftigungsquote dürfte somit, bezogen auf die 250.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, nicht bei 40, sondern eher bei rund 20 Prozent liegen. Läge sie tatsächlich bei 40 Prozent, dürften sich von den vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen 1,8 Millionen Asylbewerbern nur 625.000 im erwerbsfähigen Alter befinden.

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Mit anderen Worten: bei realistischer Betrachtung sind etwa 20 Prozent der seit 2015 eingereisten Asylbewerber inzwischen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das ist mehr als nichts, aber alles andere als eine Bestätigung der politischen Konzepte und Forderungen der Asyllobby aus Politik, Wirtschaft, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, Hilfsorganisationen und Medien, die seit Jahren dem Mißbrauch von Artikel 16 des Grundgesetzes für die Arbeitsmigration mehr oder weniger aktiv Vorschub leistet. Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsquote sich als Quotient aus Beschäftigten und Erwerbsfähigen errechnet. Sie steigt also keineswegs nur, wenn die Zahl der Beschäftigten zunimmt, sondern auch, wenn die Zahl der Erwerbsfähigen abnimmt. Eine steigende Beschäftigungsquote von Asylbewerbern muss somit keineswegs nur das Ergebnis einer zunehmenden Integration in den Arbeitsmarkt, sondern kann ebenso Ergebnis eines Rückgangs der Zuwanderung von erwerbsfähigen Asylbewerbern sein.

Beides hat seit 2015 in Deutschland stattgefunden. Die Anzahl der bei der BA als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gemeldeten Zuwanderer aus den acht Hauptherkunftsländern ist von 77.000 im Juni 2015 auf 324.000 im Juni 2019 gestiegen, darunter sicherlich mehrheitlich Asylbewerber. Etwa im selben Zeitraum sank die Zahl der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellten Asylanträge von rund 745.000 im Jahr 2016 auf rund 185.000 im Jahr 2018. Käme die Zuwanderung erwerbsfähiger Asylbewerber ganz zum Erliegen oder würde sich deren Anzahl durch eine Rückkehr in die Heimatländer sogar verringern, würde sich die Beschäftigungsquote der im Land verbleibenden Asylbewerber selbst bei schleppender Integration in den Arbeitsmarkt sprunghaft verbessern. Sie könnte sich dann tatsächlich derjenigen aller Ausländer (52 Prozent) annähern, die freilich auch eher niedrig ist, wenn man sie mit den deutschen Staatsangehörigen (69 Prozent) vergleicht. Das setzt aber nicht nur eine stetig zunehmende Beschäftigung von Asylbewerbern, sondern noch mehr eine strikte Eindämmung der Zuwanderung über den Asylweg oder eine Rückkehr beschäftigungsloser Asylbewerber in ihre Heimatländer voraus.

Davon sind wir freilich nach wie vor weit entfernt. Der Rückgang der Asylanträge seit 2016 ist zwar beträchtlich, ihre Anzahl liegt aber weiterhin deutlich über den Zahlen der Jahre 2000 bis 2012. Gleichzeitig verläuft die Rückführung von (abgelehnten) Asylbewerbern schleppender denn je. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Zuzug von rund 200.000 Asylbewerbern pro Jahr erschwert oder verhindert gar eine deutliche Steigerung ihrer Beschäftigungsquote, befördert aber gleichzeitig die stetige Zunahme der Hartz IV-Empfänger. Deren Anzahl hat sich unter den Asylbewerbern vom Juni 2016 bis August 2019 von rund 290.000 auf rund 600.000 mehr als verdoppelt. Deutlich mehr als einer halben Million Hartz IV-Empfängern stehen unter den seit 2015 zugewanderten Asylbewerbern somit mittlerweile nur rund eine viertel Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigter gegenüber.

Wer dies als schlagenden Beleg für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt bewertet wissen will, hat wohl mehr die Rechtfertigung einer im Jahr 2015 im Kanzleramt getroffenen Fehlentscheidung als die mit falschen Versprechen ins Land gelockten Asylbewerber oder die Lösung von Arbeitsmarktproblemen vor Augen.

Dichtung und Wahrheit werden beim Thema Asyl und Integration nicht nur von erklärten Befürwortern einer ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft, sondern auch von erklärten Befürwortern einer ethnisch und kulturell zunehmend diverseren Gesellschaft gerne miteinander vermischt.

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