Tichys Einblick
Wer die Sprache politisiert

Institut für Deutsche Sprache – Sprachkampf gegen Rechts

Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), Henning Lobin, hat im Dudenverlag ein Buch zu aktuellen sprachpolitischen Themen vorgelegt. Die – linguistisch verpackte – Botschaft ist politisch eindeutig.

Symbolbild

Für die Sprachwissenschaft ist „Sprache“, hier: die deutsche Sprache, ein komplexes Zeichen-system, das der menschlichen Kommunikation dient und dessen Funktionsregeln beschrieben werden. Für die Sprecher, konkret: die 100 Millionen deutschen Muttersprachler, ist „ihre Sprache“ nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch – wie Lobin im „Vorwort“ seines Buches Sprachkampf (2021) feststellt – „ein gemeinsamer Besitz“, mit dem sie sich identifizieren.

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Das erklärt, warum das „Sprachvolk“ auf Änderungen seiner Sprache und deren Funktionen eher negativ reagiert: Eine Rechtschreibreform entwertet ja die erworbenen Rechtschreibkenntnisse, und die Umstellung auf englischsprachige Studiengänge vermindert den Marktwert der eigenen Sprache. Politische Eingriffe in die Sprache führen also notwendig zu öffentlichen Debatten, Lobin nennt sie „Sprachkämpfe“ und stellt sich die Aufgabe:

„Ich möchte in diesem Buch einige aktuelle Sprachkämpfe betrachten – wer die
Truppen sind, die hier aufeinandertreffen, wie die Frontlinien verlaufen und zu
welchen Kampfhandlungen es bislang gekommen ist. Auch die Frage, warum solche
Sprachkämpfe überhaupt ausgetragen werden und in welcher Beziehung sie zu
übergeordneten politischen Zielen stehen, will ich ansprechen.“ (S. 17)
„Sprachschlachten“

Kap. 2 „Sprachschlachten“ gibt einen kurzen Überblick zu aktuellen sprachpolitischen Debatten. In Stichwörtern:

● „Der Kampf gegen Fremdwörter“
● die Forderung „Deutsch ins Grundgesetz“
● die Stellung der deutschen Sprache in der EU
● „Politische Korrektheit“ in der Sprache
● „deutsche Sprache in der Wissenschaft“
● „Leichte Sprache“
● Rechtschreibreform (von 1996)
● „geschlechtergerechte Sprache“, die dann ausführlich in Kap. 3 „Das Schlachtfeld
geschlechtergerechtes Deutsch“ behandelt wird.
Die beiden letzten Punkte seien hier kommentiert.

Das IDS als RKI der Rechtschreibreform

Bei der Darstellung der Rechtschreibreform von 1996 klammert Lobin deren „übergeordnetes politisches Ziel“ aus sowie die Rolle des IDS.

Die – öffentlich weder erwartete noch geforderte – Rechtschreibreform fand in den letzten Jahren der Ära Kohl statt, als das Wort vom „Reformstau“ die Runde machte; sie bot der Politik die Gelegenheit, Reformmacht zu demonstrieren, und zwar mit sofortiger Wirkung: Im Juni 1995 hatte ein „Internationaler Arbeitskreis für Orthographie“ eine „Vorlage für die amtliche Regelung [der deutschen Rechtschreibung]“ vorgelegt. Diese wurde am 14. Dezember 1995 von den Ministerpräsidenten der Länder – nicht „der Kultusminister-konferenz“ (S. 32) – beschlossen und zu Beginn des Schuljahres 1996 eingeführt. Linguistisch begleitet wurde dieses Projekt vom IDS; eine breitere wissenschaftliche Diskussion fand aber erst statt, als die neue Rechtschreibung schon im Schulunterricht verbindlich war.

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Die Rechtschreibreform sollte „die Schriftsprache logischer und leichter erlernbar machen“ (Pressemitteilung). Letzteres ist beweisbar nicht eingetreten, konnte es auch nicht, weil die neuen Regeln (die dann bis 2006 teilweise zurückgenommen wurden) die Wortschreibung nicht vereinfachten, sondern nur punktuell veränderten. Unter dem Strich also eine Nullreform, allerdings mit – betriebswirtschaftlich ausgedrückt – enormen „Transaktions-kosten“ und einem Vertrauensverlust der Verantwortlichen: Wer die Erfahrung dieser Reform gemacht hat, wird die Kompetenz des Staates und des IDS in politischen Sprachfragen skeptisch beurteilen. Lobin formuliert das so: „Bis in die Gegenwart wirken sich die erbittert geführten Auseinandersetzungen zur Rechtschreibreform von 1996 aus“ (S. 31).
Die Gendersaga

Der sprachpolitische Hauptstreitpunkt ist heute das Gendern, also die Bezeichnung einer gemischtgeschlechtlichen Personengruppe in einer Form, welche die einzelnen Geschlechter sicht- und/oder hörbar macht: Paarform (Bürgerinnen und Bürger), Binnen-I (BürgerInnen), Doppelpunkt (Bürger:innen), Unterstrich (Bürger_innen), Genderstern (Bürger*innen) u. Ä. Die „Lage“ schildert Lobin in einer kriegerischen Metapher – „Zwei mächtige Armeen stehen einander gegenüber in einem nahezu ausgeglichenen Kampf …“ –, die mit der Frage endet: „Aber ist es wirklich so?“ (S. 45).

Nein; denn es gibt in der deutschen Sprachgemeinschaft keinen Bürgerkrieg um das Gendern – aus einem einfachen Grund: Die meisten Sprecher praktizieren das Gendern nicht, und die wenigen, die es tun, gendern nur gelegentlich, aber nicht systematisch. Insofern ist das Unterkapitel „Anne Will gendert und Claus Kleber auch“ (S. 64) im Titel missverständlich; denn beide gendern – seit etwa einem Jahr – in ihren Fernsehsendungen nur in einem Zehntel der möglichen Fälle.

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Findet der Krieg unter den Linguisten statt? Auch nicht. Professionelle Linguisten interessieren sich für die Gendersaga nicht, weil sie in den Bereich „politische Erzählung“ gehört. Im übrigen ist zum Thema wissenschaftlich alles gesagt: Die grammatische Kategorie „Genus“, die in der Gendersaga mit der biologischen Kategorie „Sexus“ verwechselt wird, dient der Nominalklassifikation und markiert die syntaktische Zusammengehörigkeit: ein-e alt-e Semmel, ein alt-es Brötchen, ein alt-er Wecken. Eine semantische Bedeutung hat das Genus in den meisten Fällen nicht – der Mond ist nicht „männlich“ und französisch la lune nicht „weiblich“ – außer bei Lebewesen, wo Maskulinum tendenziell männliches Geschlecht bezeichnet und Femininum weibliches (der Löwe : die Löwin). Bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen wird das sog. generische Maskulinum als Allgemeinform verwendet, ebenso in Fällen, in denen die Geschlechtszugehörigkeit unbekannt oder unwichtig ist (fünf Löwen).

Das generische Maskulinum kommt auch heute, nach über vierzig Jahren Gendersaga, in der privaten und nichtstaatlichen öffentlichen Kommunikation weitaus häufiger vor als gegenderte Formen – Lobin könnte das anhand des im IDS vorhandenen Datenmaterials leicht exakt quantifizieren. Lediglich bei der Gruppenanrede werden die Geschlechter meist getrennt angesprochen (Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!). aber das ist eine alte Tradition. Wissenschaftliche Tatsachen gelten und wirken unabhängig davon, ob sie politisch verstanden oder akzeptiert werden. Insofern besteht für professionelle Linguisten kein wissenschaftlicher Grund, sich an der Genderdebatte zu beteiligen. Andererseits sind sie Staatsbürger und können sich fragen, was die „übergeordneten politischen Ziele“ dieser unwissenschaftlichen Gendersaga sind.

Es handelt sich um eine Ersatzhandlung, mit der die faktisch-finanziellen Benachteiligungen von Frauen – Bezieher von Minirenten sind meist weiblich; die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise (Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Existenzvernichtung) treffen hauptsächlich Frauenberufe usw. – sprachsymbolisch (und kostengünstig) kompensiert werden. Ob die Gendersaga dann öffentlich in Frage gestellt wird, hängt allerdings vom Einzelnen ab und seiner Verletzlichkeit durch „Sanktionen“. Für über 65-Jährige ist das Sanktionspotential von Staat und Gesellschaft gering, und das erklärt, warum die Initiatoren und Erstunterzeichner von Aufrufen wie „Schluss mit dem Gender-Unfug“ „eher ältere Personen“ sind, wie Lobin durch „Inaugenscheinnahme“ (S. 58) der Unterschriftslisten ermittelte.

Verfassungsschutz – bitte übernehmen!

Die Initiative „Schluss mit dem Genderunfug“ (2019) wurde vom „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) organisiert, dem Lobin Kap. 4 „Ein Kampfverband: Der Verein Deutsche Sprache“ widmet. Der VDS und dessen Vorsitzender, „der wütende Herr Kramer“ (S. 72), machen eine resonanzstarke Öffentlichkeitsarbeit, die Lobin nicht gefällt: „2020 etwa waren es die Mitglieder der Rundfunkräte sämtlicher öffentlicher Sender in Deutschland, etwa 500 Personen, die [wegen phonetischen Genderns: Bürger + kurze Pause + innen] angeschrieben wurden“ (S. 75). Ja und? Organisationen wenden sich oft an alle Mitglieder eines politischen Gremiums, und dass die Rundfunkräte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland insgesamt 500 Mitglieder zählen, ist nicht dem VDS anzulasten. Kurzum: Der VDS – der sich durch freiwillige Beiträge und Spenden finanziert – macht seinen Job.

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Was Lobin am VDS so stört, dass er sich in Polemik und persönliche Details verliert, bleibt zunächst rätselhaft. Die Auflösung geben Kap. 5 „Das Parlament als Aufmarschgebiet der AfD“ und Kap. 6 „Sprachkampf – identitäre Politik mit anderen Mitteln“. Lobin schlägt hier einen argumentativen Bogen vom zivilgesellschaftlichen VDS zu einer politischen Partei, der AfD, die häufiger als andere Parteien Sprachfragen parlamentarisch aufgreift. Der VdS habe der AfD „den Teppich dafür ausgerollt, das Thema ‚deutsche Sprache‘ als einen moderaten Ersatznationalismus etablieren zu können“ (S. 124). Nun ist die AfD für den Verfassungsschutz ein „Verdachtsfall“. Und der VDS? Müsste also beobachtet werden. Lobin sagt das nicht direkt. Aber sein Buch, das zahlreiche Hinweise auf „Unterstützungsnetzwerke“ und Personalia gibt (so erfahren wir in Anm. 27, dass der TE-Autor Josef Kraus „Mitglied im Rotary-Club“ ist), lässt sich auch als Denunziationsschrift lesen – zu Händen des Verfassungsschutzes.
Wer politisiert die deutsche Sprache?

Abschließend, in Kap. 7 „Frontbesichtigung“ und Kap. 8 „Eindämmungsstrategien“, nimmt Lobin die eingangs beschriebenen „Sprachschlachten“ wieder auf, macht einige eigene Friedensvorschläge und wendet sich grundsätzlich „gegen die Politisierung von Sprache und Sprachgebrauch“ (S. 162). Diese Forderung ist durchaus vernünftig, aber leider will Lobin nicht zur Kenntnis nehmen, dass der öffentliche Sprachgebrauch heute durch politische Korrektheit (PC) und Genderdeutsch massiv politisiert ist und wird:

Die PC sei nur eine „sprachliche Rücksichtsnahme“ (S. 155) und das Gendern „ein Indikator dafür, dass der Sprecher oder die Sprecherin diesen Gegenstand [die Gleichstellung der Geschlechter] als relevant anerkennt“ (S. 142). „Viel gefährlicher“ – Achtung Verfassungsschutz! – als „linke Sprachpolitik mit ihren zuweilen wirklichkeitsfremdem Forderungen“ und „weitaus schwieriger zu erkennen“ sei „die nationalidentitäre sprachpolitische Agenda“ der AfD und ihrer Netzwerke (S. 158). Damit diese Gefahr sofort deutlich wird, lautet der Untertitel des Buches: „Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert“.

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Im „Nachwort“ schreibt Lobin, sein Buch sei „definitiv nicht […] eine offizielle Veröffentlichung“ des IDS; er habe es „ausschließlich an Wochenenden und Urlaubstagen geschrieben“ (S. 163). Frage an Radio Eriwan: Besteht zwischen dem Institut für Deutsche Sprache und dem Bundesamt für Verfassungsschutz eine Zusammenarbeit zur Erkennung sprachlicher „Gefährder“? Antwort: Definitiv nicht. Aber das Bundesamt kann nicht verhindern, dass der Direktor des Instituts als Privatmann über diese Gefährder ein Buch veröffentlicht.

Henning Lobin, Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert, Dudenverlag, Berlin 2021, 186 Seiten, 15.- €

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