Tichys Einblick
Heißluft-Gebläse

Horst Seehofer: Vom Tiger zum Bettvorleger

„Bis zur letzten Patrone“ wolle die CSU sich dagegen wehren, „eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme zu bekommen“, rief Horst Seehofer 2011 aus – beim politischen Aschermittwoch seiner Partei in Passau.

Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images

2018 klang Innenminister Seehofer nicht mehr ganz so martialisch. Aber immerhin forderte er immer noch die große „Asylwende“ – und dies mit so scharfen Worten, dass manche Medien schon das „Ende der Union“ („Welt am Sonntag“) nicht mehr ausschließen mochten. CDU und CSU hatten sich wieder mal so richtig zerstritten. Sogar der Bestand der GroKo stand auf dem Spiel. Denn der damalige Vorsitzende der CSU wollte, so schien es, auf Biegen und Brechen durchsetzen – auch gegen den Willen der CDU-Kanzlerin –, dass die Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, obgleich diese Migranten nach europäischen Rechtsnormen („Dublin-Abkommen“) nicht das Recht haben, in einem Drittland (Deutschland) Asyl zu beantragen. Nichts mehr als deutschem und europäischem Recht wollte der Minister also Geltung verschaffen.

Seehofers Forderungen betrafen zu diesem Zeitpunkt nach offiziellen Schätzungen jährlich rund 40 000 Migranten, nämlich die, die zugegeben hatten, in einem sicheren anderen EU-Staat bereits als Asylbewerber registriert zu sein. Die Zahl dieser Zuwanderer, die gar nicht mehr in Deutschland hätten einreisen dürfen, lag natürlich sehr viel höher. Denn wie viele „Flüchtlinge“ lassen sich schon direkt an der Grenze kontrollieren und erfassen? Wie viele geben selbst zu, dass sie eben aus einem „sicheren EU-Land“ gekommen sind und dort einen Asylantrag gestellt haben? Wo doch eine nicht gerade geringe Anzahl seit langer Zeit sogar ohne Papiere ins Land einreisen – bestrebt, ihre Identität und ihre Herkunft generell zu verschleiern.

Wer derzeit an der Grenze das Wort „Asyl“ sagt, wird von den Grenzbeamten grundsätzlich nicht abgewiesen, sondern weiter geschickt zu deutschen Behörden, die die Zuwanderer als „Asylbewerber“ offiziell erfassen. Damit ist praktisch der Aufenthalt in diesem Sozialstaat unbegrenzt gesichert. Garantiert sind dabei monatliche Standard-Sozialleistungen und darüber hinaus viele Sonderzuwendungen (Möbel, Krankenversorgung etc.). Diese massenhaft verbreitete Methode, sich hierzulande die wirtschaftlich-soziale Existenz sichern zu lassen, hat vor einiger Zeit auch der „Focus“ beschrieben – wenn auch nur indirekt und sehr vorsichtig formuliert. Dass damit dem massenhaften Betrug Tür und Tor geöffnet sind, braucht man nicht lange zu erklären.

EU-Abkommen: das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht

Die CDU-Spitze in der deutschen Regierung aber hält seit vielen Jahren in Sachen Flüchtlingspolitik die Augen fest verschlossen: Massenhaften Asylbetrug wollte und will man nicht wahrhaben. So lehnte Kanzlerin Merkel auch die Forderung ihres bayerischen Ministers nach Rückführung oder Abweisung von denjenigen Migranten kategorisch ab, die erkennbar unmittelbar aus anderen EU-Ländern eingereist sind. Die Regierungschefin begründete ihre schroffe Ablehnung „mit einem Kniff“ („WamS“), mit dem sie schon oft operiert hat. Sie erklärte wieder einmal, das Problem könne nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Eine Lösung sei international – in diesem Fall innerhalb der EU – herbeizuführen.

Die Kanzlerin versprach der CSU-Führung, sich dezidiert auf dem nächsten EU-Gipfeltreffen dafür einzusetzen, dass in der EU gemeinsame Regelungen verabschiedet werden, die gut geeignet sind, Deutschland zu entlasten. Es werde, so versprach sie, „wirkungsgleiche“ Verträge mit den entsprechenden europäischen Partner-Ländern geben. Diese Staaten würden dann jene Migranten aus Deutschland zurücknehmen, die bei ihnen bereits einen Asyl-Antrag gestellt haben. Wieder einmal große Versprechungen, doch was wurde davon eingelöst? Horst Seehofer zeigte sich weniger skeptisch. Im Gegenteil: Er feierte Merkels Versprechen öffentlich gar als großartige „Asylwende“.

Der Haken dabei: Entsprechende Abkommen mussten auf EU-Ebene „erst ausgehandelt werden“ („WamS“). Viele Schwierigkeiten waren bei den anschließenden Verhandlungen zu überwinden. Am Schluss unterschrieben zwar einzelne Länder wie Griechenland und Spanien ein Abkommen – doch die Vertragstexte sind eher windelweich formuliert. Dass Italien erst gar nicht unterschrieb, signalisiert ein weiteres Mal, dass unsere Nachbarländer auch fürderhin nicht daran interessiert sind, Deutschland zu helfen, wenn es um massenhafte Zuwanderung geht.

Das Abkommen ist, bei Lichte besehen, offenbar nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Das ist ein Jahr nach der Kontroverse zwischen Seehofer und Merkel mehr als deutlich geworden. Wie viele nach Deutschland zugewanderte Migranten sind innerhalb von zwölf Monaten in andere EU-Staaten zurückgeschickt worden? Nicht Zehntausende von „Flüchtlingen“ haben Deutschland seither wieder verlassen, sondern gerade einmal 20: 18 Asylbewerber reisten zurück nach Griechenland und zwei nach Spanien. Das erklärte kürzlich das Bundesinnenministerium, nachdem die „Welt am Sonntag“ dort nachgefragt hatte.

Horst Seehofer kuscht und duckt sich – wie schon sein Vorgänger Thomas de Maizière

Von „wirkungsgleichen“ – entlastenden – Maßnahmen auf europäischer Ebene kann also nicht die Rede sein. Und von einer „Asylwende“ natürlich auch nicht. Alles läuft wie gehabt. Eine schallende Ohrfeige für die CSU-Führung. Doch heute schweigt der CSU-Innenminister Seehofer. Er beschwert sich nicht. Er duckt sich und kuscht – wie es schon sein Vorgänger im Amt des Ministers, Karl Ernst Thomas de Maizière (CDU), nur allzu oft ebenfalls gemacht hat, um Regierungsmitglied bleiben zu können.

Weiterhin, berichtet die „WamS“, registrieren bundesdeutsche Behörden gegenwärtig pro Monat mehr als 10.000 Asylsuchende. Die meisten kommen auch heute ohne Papiere dauerhaft ins Land. „Asyl“ heißt das Zauberwort, mit dem sich alle Türen öffnen. Und es gibt nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass Innenminister Seehofer die einstige Drohung von 2018 wahr macht, die deutsche Bundespolizei könnte Migranten, die in anderen Ländern schon als Flüchtlinge registriert sind, an der deutschen Grenze abweisen.

Generell läuft in Sachen deutscher Flüchtlingspolitik alles weiter wie bisher: im wahrsten Sinne des Wortes „grenzenlos“. Bei den aktuell weit über 100.000 Zuwanderern jährlich, die sich als „Flüchtlinge“ ausgeben, sind die jährlich Zehntausenden von Familienzusammenführungen noch gar nicht mitgerechnet, die selbst von solchen Asylbewerbern hierzulande beantragt werden können, deren eigenes Asylgesuch vorher abgelehnt worden ist, die aber in der Regel behördlicherseits flugs zu „Geduldeten“ im hiesigen Sozialstaat erklärt werden.

Dabei handelt es sich mittlerweile um Millionen von Menschen aus aller Welt. Sie, die offiziell nur diesen „subsidiären Aufenthaltsstatus“ besitzen, dürften – so meinen etliche Rechtsexperten – eigentlich gar keine Familienangehörige in dieses Land nachziehen lassen. Toleriere dieser Staat diese Anträge auf familiäre Zusammenführung, begehe er Rechtsbruch – zum Schaden der Bürger hierzulande, die jeden Tag geregelt arbeiten gehen und vorschriftgemäß ihre Steuern zahlen. Doch auch dieser Rechtsbruch wird von den staatlichen Behörden klaglos hingenommen. Auch und vor allem von Horst Seehofer, der immer noch Innenminister ist.

Ohne Papiere kommen Zuwanderer zwar ins Land – aber nicht wieder hinaus

In den seltensten (Ausnahme-)Fällen wird ein Zuwanderer, der auf illegalem Wege nach Deutschland gekommen ist, später gezwungen, das Land wieder zu verlassen. Um eine Abschiebung zu verhindern, reicht es zum Beispiel, wenn „Flüchtlinge“ vorgeben, keine Papiere zu haben oder krank zu sein. Markus Söder, der jetzige CSU-Vorsitzende, hat einmal, als er noch mutig war, in einer Talkshow einen Satz formuliert, der die Missstände treffend charakterisiert: Es sei ein Phänomen in Deutschland, dass zwar Asylbewerber massenhaft ohne Papiere ins Land kommen könnten, aber ohne Papiere durch deutsche Behörden später nicht abgeschoben werden dürfen. Klare Worte, die heutzutage vom Regierungschef des Freistaats Bayern freilich nicht mehr zu hören sind.

Noch mehr blamiert hat sich der amtierende Bundesinnenminister: „Vom Hardliner Seehofer, der der Bundesregierung einst eine „Herrschaft des Unrechts“ an der Grenze vorwarf, kann keine Rede mehr sein“ („WamS“). Für etliche Beobachter ist aus einem vollmundigen und großspurigen Herrn Seehofer ein scheinheiliger Opportunist geworden, der immer wieder den „Dreh-Hofer gibt“ („Tichys Einblick“). Angst kennzeichnet seine Politik – ständige Angst, sein Ministerium könnte negative Schlagzeilen in den mehrheitlich grünrot dominierten Massenmedien provozieren. Wirklich wichtig sind dem Bajuwaren – groß gewachsen, aber von Angela Merkel politisch auf Zwergenmaß zurechtgestutzt – offensichtlich nur noch der Machterhalt und der Erhalt seiner Privilegien. Der Mann aus Ingolstadt ist als Tiger gesprungen – und als Bettvorleger gelandet.


Dr. Manfred Schwarz war jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR [Ressort: Medien] sowie Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstandes

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