Tichys Einblick
Terror-Angriff der Hamas auf Israel

Ein Paradigmenwechsel ist überfällig

Der Angriff auf Israel wirft ein düsteres Licht sowohl auf etablierte Medienanstalten, die europäische und die deutsche Politik und die Migrationskrise. Verantwortlich sind aber auch die Verharmloser in den linken Parteien. Es muss Schluss sein mit der nonchalanten Duldung antisemitischer Reflexe.

Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas mit Außenministerin Annalena Baerbock beim Treffen im Westjordanland, 10.02.2022

IMAGO / ZUMA Wire

Es sind widerliche, grausame Bilder, die seit gestern soziale Netzwerke fluten: Terroristen der Hamas greifen mit Drohnen Krankenwagen an, dringen mit Maschinengewehren um sich schießend in israelische Wohngebiete ein, nehmen Geiseln, entführen junge Frauen in den Gazastreifen, erschießen Feiernde auf einem Open-Air-Festival, massakrieren Zivilisten und trampeln johlend auf den Leichen der Ermordeten herum – unterdessen wird ein entführtes Kleinkind von palästinensischen Kindern umringt, verspottet und bedrängt. Eine verstörende Brutalität, die nicht von Journalisten ans Licht gezerrt werden muss, weil sie Teil der islamistischen Propagandamaschinerie ist. Sie wird ganz bewusst von den Tätern festgehalten und zum Teil sogar inszeniert: Die Mörder dokumentieren einen Gutteil ihrer Verbrechen selbst auf Videos und Fotos, und veröffentlichen sie. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten, um ihre Anhänger in der muslimischen Welt zu animieren und zu begeistern, und nicht zuletzt, um Israel zu provozieren.

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Denn das ist die Logik islamistischer Verblendung: Dahinter steht ein Menschenbild, das maximale Grausamkeit als ehrenvoll betrachtet, und die eigene Hemmungslosigkeit als normal. Israel wird in einem Propagandakrieg zugleich dämonisiert und als unterlegenen Gegner dargestellt, und damit als zu Recht der Demütigung preisgegeben präsentiert. Ein Kalkül, das für Teile der arabischen und muslimischen Welt aufgehen mag; spätestens mit dem „viralen“ Video, das die Zurschaustellung einer halbnackten Frauenleiche dokumentiert, dürfte die Hamas für alle Menschen außerhalb dieser fanatischen Echokammer jedoch den Bogen überspannt und das Verständnis auch für härteste israelische Gegenschläge enorm gesteigert haben.

Ein großangelegter Terrorakt, mit Bedacht genau fünfzig Jahre nach dem Überfall auf Israel durch Ägypten und Syrien am Jom Kippur 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag: Mit diesem Anschlag sind viele Glaubenssätze in sich zusammengestürzt. Der vom unüberwindlichen Iron Dome, vom hermetisch abgeriegelten Gazastreifen, vom allen überlegenen Mossad. Blitzartig wurde der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, unter welchem Druck, unter welch tödlicher Gefahr der Staat Israel Tag um Tag seine demokratische Struktur aufrechterhält, seine Bürger schützt. Ein Augenblick der Unachtsamkeit, ein aus welchem Grund auch immer unentdeckt gebliebener Angriff: Wenn Israel scheitert, führt dies nicht zu einer Befreiung „Palästinas“, sondern umgehend zu Szenen, die wir von Genoziden kennen. Israel verliert nicht Gebiete, seine Bevölkerung wird ausgelöscht, wenn es nicht die Oberhand behält.

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„Die Hamas zeigt ihr wahres Gesicht“, titelt die Tagesschau – als ob dieses Gesicht jemals verborgen gewesen wäre. Hier zeigt sich nun, dass es kein Ausdruck pingeliger Überempfindlichkeit ist, wenn Unterstützer Israels die Wortwahl von Medien bemängeln, die oftmals direkt oder indirekt israelische Abwehr von Angriffen irreführend als Aggression kontextualisieren, etwa, indem die vorhergehende Attacke unterschlagen oder nicht eindeutig benannt wird. Wer durch Wortwahl und Berichterstattung zündelt, der hilft, die existenzielle Bedrohung jüdischen Lebens im Nahen Osten aufrechtzuerhalten – und schwächt nicht zuletzt die einzige funktionierende Demokratie, die einzige pluralistische Gesellschaft in diesem Gebiet.

Ein Sachverhalt, der in Deutschland Fragen aufwirft. Der deutschsprachige Teil der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) nahm sich denn auch wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen aus. Wohlfeile Medienkritik – es sollte selbstverständlich sein, dass Medien an Standards der Überprüfung und Verifizierung festhalten müssen, und daher keineswegs so schnell informieren können, wie Hamas-Terroristen, die ihre Taten umgehend ins Netz stellen – mischte sich mit Solidaritätsaufrufen und Blockwart-Reflexen: Haben sich muslimische Verbände schon geäußert? Was „posten“ sonst prononciert pro-palästinensische Personen? Wie immer wird hier Hilflosigkeit mit Agitation kompensiert – vollkommen nachvollziehbar. Und bei aller Aufregung sind die Fragen, die hier gestellt werden, dringend zu beantworten! Schon kurz nach den Angriffen verteilten in Neukölln propalästinensische Gruppen Süßigkeiten an Passanten – um die bestialische Barbarei zu feiern, die nur wenige Flugstunden von uns entfernt Menschen ereilte, die sich zum Ende des Laubhüttenfestes auf das ausgelassene Freudenfest Simchat Torah vorbereitet hatten, und nun in einem Albtraum aufwachten, der an die Gräuel des IS gemahnte.

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Während sich ausgerechnet Vertreter von Linke und Grünen, Petra Pau und Cem Özdemir, unmissverständlich äußerten, und ohne jegliche Relativierung die Gewalt verurteilten, müssen sich andere Akteure fragen lassen, warum sie die Dämonisierung Israels mittragen; warum zählt die Fatah-Jugend zu den Partnerorganisationen der Jusos? Warum gehen hunderte Millionen von Hilfsgeldern an die Palästinenser, obwohl völlig klar ist, dass jeder Euro und jeder Dollar, der zu humanitären Zwecken verwendet wird, Mittel freimacht, um Waffen und Terror gegen Israel zu finanzieren? Wie kann Deutschland seine historische Verantwortung gegenüber Israel glaubwürdig wahrnehmen, wenn es duldet, dass auf den Straßen Berlins die Ermordung von Juden gefeiert wird?

Nicht nur auf europäische Integrationspolitik, auch auf die Migrationskrise wirft dieser Vorfall ein düsteres Licht: Denn auch in Flüchtlingslagern auf europäischem Boden jubelten Menschen angesichts der Nachrichten aus Nahost. Eine mehr als unangenehme Gemengelage, der sich die Politik nun Stück für Stück stellen muss, nicht eingerechnet der globalen Situation: Wie wirkt sich dieser Terrorakt auf die Friedensbemühungen zwischen Israel und Saudi-Arabien aus? Werden die Saudis nur in Worten oder auch in Taten die Bestrebungen der Hamas unterstützen? Wie wird die Hisbollah agieren, und welche Rolle spielte der Iran, ohne den eine Aktion dieses Ausmaßes niemals hätte bewerkstelligt werden können? Eine brandgefährliche Situation, und nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein weiterer Hinweis auf die Umwälzung der Weltordnung, wie wir sie kennen.

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Die kommenden Tage, Wochen und Monate werden zeigen, welche Dynamik dieser Angriff durch die Hamas weltweit entwickeln wird. Doch jeder soll und muss zuerst vor der eigenen Haustür kehren: Es wäre zu wünschen, dass der nonchalanten Duldung antisemitischer Reflexe angesichts der von den Terroristen umfänglich und unzensiert dokumentierten Verbrechen nun ein Ende bereitet wird, und dass sich insbesondere linke und sozialdemokratische Politik der eigenen Heuchelei stellen muss.

Und schließlich ist das, was die Hamas als Triumph feiert, für Deutschland und Europa in doppelter Hinsicht ein Warnruf: Der Firnis der Zivilisation ist dünn. Er kann jederzeit brechen. Der Mensch ist zur Barbarei fähig. Nach außen wie nach innen muss der Verrohung der Menschen Einhalt geboten werden. Das Selbstverständnis des Westens als Kraft, die zumindest anstrebt, die Fähigkeit zum Guten zu kultivieren und zu implementieren, die sich der Menschenverachtung entgegenstellt, ist ein Ideal, das in Gänze unerreichbar ist. Dass wir es gerade deshalb nicht aufgeben dürfen, sollte nach dem 7. Oktober 2023 jedem Europäer klar sein. Es ist Zeit für einen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel.

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