Tichys Einblick

Habeck und Graichen machten keinen Fehler – ihr Politikverständnis ist das Problem

Nur ein kleines Fehlerchen, das man mit einer Entschuldigung wegwischt? Das versuchen die Grünen. Aber es geht nicht um ein einzelnes Fehlverhalten, sondern um ein Fehlersystem: Ihre vermeintlich überlegene Moral wird über Recht und Gesetz gestellt und zum absoluten Machtmittel.

IMAGO/C.E. Janßen, C. Ditsch - Collage: TE
Wer die Grünen wirklich sind, wie sie Politik machen, war bisher durch ein Marketing verborgen, an dem sich viele Medien, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem „planetarischen“ oder „aktivistischen“ Journalismus beteiligten. Nun wird es nicht zuletzt auch dank der Recherchen von TE offenbar. Dass nun andere Medien auf das Thema – verspätet zwar, aber immerhin doch – einsteigen, lässt hoffen, dass nicht die Akklamation und der Applaus, sondern die kritische Berichterstattung wieder zu Ehren kommt. Das Ergebnis eines Skandals, der von Tag zu größer wird, kommt ans Licht der Öffentlichkeit.

Damit, dass kritisch gefragt und sogar nachgefragt wird, haben die Grünen nicht mehr gerechnet. Dementsprechend dilettantisch fällt ihre Krisenkommunikation aus. Mühsam widerstehen sie noch dem Reflex, die Berichterstattung über die Tatsachen als böswillige Kampagne darzustellen, obwohl sie es doch so unwiderstehlich dahin zieht, ihre Lieblingsrolle als Opfer der bösen Welt zu spielen. Denn sie, die Grünen, sind den Normalsterblichen in diesem Land doch so sehr moralisch überlegen, dass jede Kritik an sie nur eine böswillige Verschwörung sein kann. Schließloch wollen sie sie doch immer nur das Gute, das übrigens nur sie allein kennen. Was da gegen sie gerade passiert, kann also nur eine Kampagne sein, geschürt von den Rechten, von der „fossilen Industrie“, von der nun wirklich durch und durch ergrünten, lammfrommen CDU oder ihrem 17. Landesverband, der FDP.

Weil sie ahnen, dass ihnen niemand mehr die Opferrolle abnimmt, versuchen sie nun, den Spin durchzuhalten: Dem „robusten Politiker“ Patrick Graichen, der in heroischer, unermüdlicher Arbeit Deutschland gerettet hat, sei im großen Rettungswerk ein kleiner Fehler unterlaufen, der aber inzwischen „korrigiert“ oder „geheilt“ wurde.

Habeck versteigt sich sogar zu der Aussage: „Und mit seiner konsequenten Art hat er sich darum gekümmert, eine Wirtschaftskrise und Gasmangellage abzuwenden, Gasspeicher zu füllen, LNG-Terminals zu bauen, Kohlekraftwerke ans Netz zu nehmen und die AKWs zu verlängern.“ Habecks kurzen Gedächtnis dürfte entfallen sein, dass die Gasmangellage Resultat der Wirtschafts- und Embargopolitik der Bundesregierung, vor allem der Politik Baerbocks und Habecks war, und dass Graichen nicht gegen, sondern für die Abschaltung der AKWs eintrat. Um die AKWs abzuschalten, fuhr man ja gerade die Kohlekraftwerke hoch, weil die Kapazität der Gaskraftwerke nicht ausreichte, bei Dunkelflaute allein die Stromversorgung sicherzustellen. Als Scheinkompromiss schlug der Mann, „der sich darum gekümmert“ hat, „die AKWs zu verlängern“, nur vor, sie in eine Kaltreserve zu überführen, die technisch einfach nicht sinnvoll zu realisieren war.

So hatte damals der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, Patrick Graichen und Robert Habeck mit den Worten kritisiert: Der Vorschlag, die AKWs in Reserve zu halten, würde der „fachlichen Prüfung offenkundig nicht“ standhalten. „Technische Lösungen müssen nicht nur einem Stresstest, sondern auch einem Realitätscheck standhalten … Die Kernkraftwerke sind kein Experimentierfeld für grüne Wahlkampferfolge.“ Nicht das dubiose Kümmern Patrick Graichens hielt die AKWs am Netz, sondern am Ende das Machtwort des Bundeskanzlers.

Aber stimmt die Behauptung der Grünen, handelte es sich wirklich nur um ein Fehlerchen? Wird da, wie der Partievorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, im Bericht aus Berlin behauptete, nur „sehr viel … draufgepackt…, was damit nichts zu tun hat“? Ein Blick allein darauf, was nur bis jetzt über die Amtsführung von Robert Habeck und Patrick Graichen bekannt geworden ist, ergibt ein klares Bild. Da helfen auch nicht die apokalyptischen Töne die Nouripour über die Waldbrände in Kanada oder die Trockenheit in Spanien anschlägt, um vom Thema abzulenken:

  • September 2022 gerät das Wirtschaftsministerium ins Gerede, weil gegen zwei angeblich russische Spione in Habecks Ministerium ermittelt wurde. Die Ermittlungen verliefen ohne Ergebnis, die beiden Mitarbeiter hatten nicht für Putin spioniert, sondern nur aufgrund ihrer Fachkompetenz es gewagt, Habeck, Graichen und Maaß zu widersprechen. Das Handelsblatt kommentierte den Vorgang mit den Worten: „Selbst altgedienten Ministerialen ist kein Vorgang bekannt, dass ein Wirtschaftsminister die Dienste auf seine eigenen Leute ansetzen ließ.“
  • Christian Maaß, Abteilungsleiter für „Wärme, Wasserstoff und Effizienz“ im Bereich des Staatssekretärs Graichen, war Politiker der Grünen in Hamburg, Staatsrat in Hamburg in der Umweltbehörde der Grünen-Politikerin Anja Hajduk, Habeck-Vertraute und Staatsekretärin seines Ministeriums, und Partner des Hamburg-Instituts. Zwar schied Christian Maaß als Partner aus dem Hamburg-Institut aus, als er Anfang 2022 den Job als Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium bekam, Grundgehalt 12 400 Euro im Monat, doch die Handelsauskunft „Company House“ führt an, dass Christian Maaß über eine ‚Christian Maaß Consult GmbH‘ bis heute eine 33-prozentige Beteiligung an der Firma hält. Die Christian Maaß Consult GmbH gehört ihm zu 100 Prozent. Am 21. März 2023 – also mitten in der Graichen-Affäre – soll die Christian Maaß Consult GmbH den Namen in den weniger verfänglichen Namen „CMLS Verwaltungsgesellschaft mbH“ gewechselt haben. TE hat in der letzten Woche entsprechende Presseanfragen an das Bundeswirtschaftsministerium gestellt, die bis heute nicht beantwortet worden sind. Doch unabhängig davon hat Christian Maaß an einer Studie zur „Agora Wärmewende 2021“ im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität und der Agora Energiewende mitgearbeitet, deren Konsequenz nun im Wärmepumpendiktat besteht, das Maaß in Gesetzesform gießen und vorantreiben soll. In der Studie heißt es: „Der vorgeschlagene Instrumentenmix weist dem Ordnungsrecht deswegen eine aktivere Rolle zu. Regelungen wie die Weiterentwicklung des Gebäudeenergierechts und die Einführung von Mindesteffizienzstandards zielen darauf ab, zusätzliche Sanierungsanlässe zu schaffen.“ „Zusätzliche Sanierungsanlässe“ sollen also durch das Ordnungsrecht erzwungen werden, heißt im Klartext, dass der Staat den Bürgern vorschreibt, welche Heizung sie einbauen, welche sie benutzen dürfen, wie sie zu leben haben. Bernhard Lorentz, früher Chef der Stiftung Mercator, die zu den Finanziers der Agora Energiewende gehört, die 2020 1,5 Millionen Euro, im Jahr der Bundestagswahl 2021 3 Millionen spendete, beschrieb in der Zeit ungewollt das System Graichen. Die Stiftungen und Think Tanks dienten dazu, Vorhaben durch entsprechende „Studien“ in der öffentliche Diskussion vorzubereiten, die dann in Politik „umgesetzt“ werden. Am einfachsten ginge das, wenn die Mitarbeiter der Stiftungen und Think Tanks in die entsprechenden Ministerien berufen werden.
  • Daran mag Patrick Graichen gedacht haben, als im November 2022 die vom Habeck-Ministerium mitverschuldete Energiekrise die grüne Führung des Ministeriums in die Tiefe zu reißen drohte. Zu dieser Zeit kommt Patrick Graichen auf eine famose Idee. Er braucht dringend Arbeitskräfte, dringend Fachleute, denen er vertrauen kann. Den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums vertrauen Habeck und Graichen offensichtlich nicht allzu sehr. Dem Journalisten Robin Alexander gegenüber machte Habeck zumindest gerade eine Bemerkung, die tief blicken lässt und zu einem beträchtlichen Teil die grüne Vettern- und Spezl-Wirtschaft erklärt, nämlich dass es „mit den Staatssekretären und Abteilungsleitern aus der großen Koalition“, dass es „ohne das Auswechseln fast der kompletten Führung“ nicht gehen würde. Also bereitet man die Operation „dena Inhouse Verfahren” vor. Im Kern geht es darum, dass 60 Mitarbeiter der Deutschen Energie Agentur (dena), mindestens 24 Monate im Bundeswirtschaftsministerium aushelfen sollen. Die 10 Millionen Euro, die laut Presseberichten diese Aushilfe kosten würde, sollte die dena, die zur Hälfte dem Bund und zur anderen Hälfte der KfW gehört, tragen. Weshalb Mitarbeiter der dena in einem Ministerium aushelfen sollen, in dem über 1600 Menschen allein in Berlin arbeiten, bleibt unklar, wenn man nicht das grundsätzliche Misstrauen von Habeck und Graichen in Rechnung stellt. Fragwürdig ist, dass Graichen diese Aushilfe quasi durch den Hintereingang am Haushaltshausschuss vorbei haben wollte. Mehr als fragwürdig ist, dass diese ausgeliehenen Mitarbeiter Anteil an der Gesetzgebung durch die Mitformulierung von Gesetzestexten erhalten hätten. Zu diesem Zeitpunkt ist noch Andreas Kuhlmann (SPD) Chef der Behörde, und dessen Behörde steht der Idee auch aus rechtlichen Gründen skeptisch gegenüber. Auch wenn das Bundeswirtschaftsministerium erklärt, dass man diese Idee zwar erwogen, aber wieder fallen gelassen hatte, bleibt unklar, wann und weshalb die Umsetzung dieser Idee gestoppt wurde. Am Widerstand der dena? Wäre die Idee auch fallen gelassen worden, wenn Graichens Trauzeuge Michael Schäfer Chef der dena gewesen wäre? Sollte Graichens Trauzeuge Schäfer Chef der dena werden, um das Netzwerk von der dena, über die Agora Energiewende, über das Hamburg-Institut, über das Öko-Institut und die Stiftung Klimaneutralität als Parallelstruktur zum Bundeswirtschaftsministerium enger zu knüpfen?

Ist es nur ein Zufall, dass Michael Schäfer, der nicht nur Graichens Trauzeuge ist, sondern auch mit Graichen in der Agora Energiewende zusammengearbeitet hat? Ist es Zufall, dass Graichens ehemaliger Chef im Bundeswirtschaftsministerium und danach in der Agora Energiewende, Rainer Baake, inzwischen Chef der Stiftung Klimaneutralität und als Namibia-Beauftragter Robert Habecks für grünen Wasserstoff Einfluss auf ein Investment des Bundesregierung von 11 Milliarden Euro deutscher Steuergelder hat? Dass Christian Maaß vom Hamburg-Institut kommt? Dass Graichens Bruder und Schwester für das Öko-Institut tätig sind, wo noch der besondere familiäre Touch hinzu kommt, dass Habecks Staatssekretäre Graichen und Kellner verschwägert sind, der eine der Ehemann, der andere der Bruder von Verena Graichen, die für das Öko-Institut arbeitet, ist? All das soll auf die Trauzeugen-Affäre nur „draufgepackt“ worden sein und mit der Trauzeugen-Affäre nichts zu tun haben, wie Omnid Nouripour so tapfer wie durchsichtig im ZDF behauptet? Man gewinnt den Eindruck, dass Robert Habeck vom Gefühl beherrscht wird, eine Behörde voller Gegner leiten zu müssen, und er deshalb seine Führungsschicht mitbringt und Parallelstrukturen bevorzugt.

In all dem wird eines deutlich: Patrick Graichen ist nicht im Eifer des Gefechts ein Fehler unterlaufen, sondern das System Graichen ist selbst der Fehler. Doch das System Graichen ist das System der Grünen. Es ist das System, das nur auf der Benutzeroberfläche, nur im Politmarketing transparent, offen, demokratisch und freundlich agiert, in Wahrheit aber – und wenn es sein muss unter Aufbau von Clanstrukturen und geradezu putschistisch – die eigenen politischen wie auch persönlichen Ziele durchzusetzen weiß. Weil sich die Grünen aber für die besten aller Menschen halten, ist ihnen für die Durchsetzung des Allerbesten, das sie am besten kennen, auch alles erlaubt. Ihre Denkweise scheint sich nicht von der der Letzten Generation zu unterscheiden, nicht in der Absolutheit der Selbstermächtigung, sondern lediglich in der Rhetorik, in der politischen Form, den gewählten Mitteln und in der Taktik.

Das System Graichen ist das System der Grünen.

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