Tichys Einblick
Nie radikal genug

Grüne wollen Ampel-Klimapolitik nachverhandeln: Langsam sollte es der FDP dämmern

Die FDP ist darauf angewiesen, dass die Grünen langfristig ihre Versprechen – keine Steuererhöhungen – halten. Die können das aber gar nicht, dafür radikalisiert sich die Klimabewegung viel zu schnell. Wenn Lindner das jetzt nicht erkennt, führt er seine Partei in eine fatale Zwangslage.

IMAGO / Jens Schicke

Noch bevor die Ampel-Regierung überhaupt im Amt ist, beginnen die Grünen schon mit dem Nachverhandeln der ursprünglichen Einigungen im Sondierungspapier. „An einigen Stellen lässt das Sondierungspapier es leider noch an der nötigen Klarheit fehlen“, heißt es in einem Brief von Baerbock und Habeck an die großen Umweltverbände, so berichtet Reuters. „Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid Ihr ja bereits dran – wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen“, fordern die zwei. Was das bedeutet, ist klar: Man will die Klimapolitik nochmal deutlich radikalisieren mit Spiel über Bande der verbündeten und bezuschussten NGOs.

Dabei ist das Sondierungspapier ohnehin schon ein großes Zugeständnis an die Grünen: „Wir werden das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen. Alle Sektoren werden einen Beitrag leisten müssen: Verkehr, Bauen und Wohnen, Stromerzeugung, Industrie und Landwirtschaft“, heißt es da. Der Kohleausstieg soll bereits 2030 vollendet werden, man legt sich gar fest, dass alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie genutzt werden müssen, und auf ein Zulassungsverbot für Verbrenner in der Zukunft. Aber die Grünen haben eben keine Standpunkte, die sie erreichen können, sondern nur eine Richtung. Und Baerbock und Habeck müssen immer weiter in diese Richtung laufen, sonst spielt die Basis nicht mehr mit.

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Hier zeigt sich das strukturelle Problem, das eine für alle Parteien gewinnbringende Ampel-Koalition unmöglich macht. Denn diese Form des Nachverhandelns, gestützt auf die grüne Basis und die Vorfeldorganisationen, wird in einer Ampel-Regierung permanent gängige grüne Praxis sein. Nicht unbedingt, weil Robert Habeck so ein schlechter Mensch wäre und sich nicht an Absprachen halten wollte, sondern weil er schlichtweg gar nicht anders kann. Die grüne Bewegung neigt dazu, kannibalisch zu werden, wenn jemand mangelnde Radikalität an den Tag legt. Luisa Neubauer etwa findet: „Wir sprechen nicht von der Begrünung der Regierungsarbeit, wir sprechen von vollumfänglichen Systemveränderungen, die anstehen. Ein Weiter-so in ökoliberal ist zum Scheitern verurteilt“.

Man kann eben nie radikal genug sein.

Für die FDP ist das verheerend. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass in den nächsten Jahren bei jeder möglichen Gelegenheit, jeder neuen „Klimakatastrophe“, eine neue Forderung seitens der Grünen erhoben wird. Und Habeck hat das perfekte Verhandlungsargument, denn er kann ja tatsächlich glaubhaft machen, dass es genau zwei Möglichkeiten gibt: Entweder wir verschärfen die Klimapolitik jetzt doch nochmal, oder die grüne Basis stürmt die Barrikaden und stürzt damit diese Koalition.

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Der FDP wird die Art ihrer ohnehin schon fadenscheinigen Errungenschaften in den Verhandlungen zum Verhängnis: Denn die FDP hat keine Reformen verhandelt, mit denen sie schnelle Erfolge einholen und die Versprechen der Koalitionspartner schnell einfordern könnte. Die FDP hat stattdessen reine Verhinderungsprojekte durchgebracht: keine Steuererhöhungen, kein Tempolimit, kein Aufweichen der Schuldenbremse. Die Verhinderung dieser Punkte kann sich aber erst über vier ganze Jahre erweisen. Wenn SPD und Grüne nun zwei Jahre lang all ihre Forderungen durchbringen und die Koalition dann zerbricht, hat die FDP schlichtweg gar nichts erreicht und einer radikalen Klimapolitik ohne Gegenleistung zur Mehrheit verholfen.

In dieser Konstellation ist die FDP einerseits auf die absolute Zuverlässigkeit der Ampel-Parteien angewiesen, andererseits aber auch auf die langfristige Stabilität der Koalition. Beides kann nicht gut gehen.

Insofern sollte die FDP Baerbock und Habeck nun dankbar sein: Die Grünen zeigen jetzt bereits mehr als offen, wie der Hase laufen wird. Die FDP hat jetzt die Chance, nochmal aus der Nummer herauszukommen und sich eine totale Blamage in der Dimension von 2013 zu ersparen. Aber es ist vielleicht die letzte Chance.

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