Tichys Einblick
Den Tabuisierern geht es nur um sich selbst

Gesundheitsfolgen für Kinder von Verwandtenehen sind ein Tabu

Die Soziologin Yasemin Yadigaroglu bemühte sich jahrelang um Aufklärung, fühlte sich jedoch im Stich gelassen. Sie klagte, deutsche Politiker würden sie nicht unterstützen, da sie fürchteten, als Rassisten in die rechte Ecke gestellt zu werden.

Die Ehe unter nahen Verwandten, genauer die gesundheitlichen Folgen für ihre Kinder waren hierzulande ein Randthema. Mit islamischen Parallelgesellschaften ändert sich das und wird möglicherweise zusätzlich ein soziales Problem. Eine parlamentarische Anfrage der AfD zum Zusammenhang zwischen Schwerbehinderung und Verwandtschaftsbeziehungen wurde ein Skandal. Politiker aus, Kirchenvertreter, der Deutsche Ethikrat und Sozialverbände erhoben einhellig den Rassismusvorwurf: Die Erwähnung des Wortes „Schwerbehinderung“ stünde in der direkten Tradition des Euthanasieprogramms des Dritten Reichs. Damals waren über 100.000 Behinderte oftmals durch Gas getötet worden – Erfahrungen, die bald darauf auch beim Massenmord an Juden angewandt wurden.

Wie Roland Springer bemerkte, fand noch vor 10 Jahren eine deutlich entspanntere Debatte statt. Auch eher linke Publikationen wie die taz hatten Verwandtenehen und daraus resultierende Erbschädigungen thematisiert. Die Zeit hatte 2009 den „Deutschen Ethikrat“ scharf kritisiert, der damals forderte: Sobald sie über 18 Jahre alt sind, sollen auch Brüder und Schwestern Sex miteinander haben dürfen. Wenn sie nicht zusammenleben, soll die Erlaubnis sogar ab 14 Jahren gelten. Das aktuelle Gesetz, so der Ethikrat, verstoße gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht. Es sei nicht die Aufgabe des Strafrechts, ein bestimmtes Moralempfinden durchzusetzen. Ohnehin gäbe es praktisch keine Fälle vor Gericht. Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg schätzte damals die Zahl der Verurteilungen, bei dem der Inzestparagraf überhaupt eine Rolle spielt, auf rund zehn pro Jahr in Deutschland. Dabei dürfte es sich in den meisten Fällen um sexuelle Handlungen zwischen Eltern und Kindern gehandelt haben, die hier gar nicht gemeint sind.

Allerdings erlebt auch Großbritannien in den letzten Jahren eine ähnliche Debatte. Dort ist es vor allem die pakistanische Gemeinde, in der Verwandtenehen weit verbreitet sind. 2005 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass pakistanische Kinder, die 3.4% aller Neugeborenen stellen, 30% aller Fälle von Erbkrankheiten ausmachen – ihr Risiko ist damit gegenüber dem Durchschnitt um das 12-fache erhöht. Wissenschaftler der Uni Birmingham schätzen, dass sich die Kindersterblichkeit in der islamischen Parallelgesellschaft um 60% reduzieren ließe, wenn es nicht mehr zu Verwandtenehen käme. Gerade in der Stadt Bradford mit besonders hohem Einwanderungsanteil sind etwa 75% aller Pakistanis mit einem Verwandten verheiratet.

Tabu als Waffe
Wohlfahrtsverbände skandalisieren das Thema Behinderungen durch Verwandtenehen
Oft heißt es, nur die Ehe zwischen Geschwistern oder Eltern und Kindern sei eine Gefahr, das Risiko einer Beziehung zwischen Cousins hingegen vernachlässigbar. Tatsächlich unterscheidet daher das Strafgesetzbuch nach Verwandtschaftsgrad und sanktioniert Geschlechtsverkehr nur dann, wenn er zur Zeugung führen kann. Tatsächlich sind die meisten Kinder von Cousins nicht erbgeschädigt, die Wahrscheinlichkeit liegt aber immer noch höher als in der Gesamtbevölkerung. Auch nimmt der Verwandtschaftsgrad zu, wenn Cousins und Cousinen über mehrere Generationen hinweg heiraten. Zudem sind Ehen zwischen Doppelcousins ebenfalls verbreitet. (Zur Erläuterung: Peter und Paul sind ein Brüderpaar, Petra und Paula ein Schwesterpaar. Die Kinder von Peter und Petra und Paul und Paula sind untereinander Doppelcousins, also so eng verwandt wie Halbgeschwister.)

Diese Zahlen werden im linken Lager aus falsch verstandenem Respekt vor dem Islam gar nicht erst diskutiert. Abgesehen davon, dass eine offene Debatte tatsächlich vielen türkischen, kurdischen und arabischen Kindern bei der Partnerwahl helfen würde, gibt es weitere Gründe, das Problem anzusprechen. Wird ein Kind mit Erbschädigungen geboren, gilt die Frau oftmals als die „Schuldige“ – sie trage „schlechtes Blut“ in sich, heißt es dann oft in den islamischen Parallelgesellschaften. Gerechtfertigt ist diese soziale Stigmatisierung nicht, schließlich wird bei einer Inzestschädigung der Fehler von beiden Elternteilen vererbt.

Diese Grundlagen genetischen Wissens sind vielen Ausländern in Deutschland jedoch nicht bekannt. Die Soziologin Yasemin Yadigaroglu bemühte sich jahrelang um Aufklärung, fühlte sich jedoch im Stich gelassen. Sie klagte, deutsche Politiker würden sie nicht unterstützen, da sie fürchteten, als Rassisten in die rechte Ecke gestellt zu werden. Für ihre Postkartenkampagne unter türkischen Familien im Ruhrgebiet „Heiraten ja. Aber nicht meine Cousine!“ erntet sie nicht selten Drohungen. Yadigaroglu konnte ihre Doktorarbeit zum Thema nicht fertigstellen.

Auch ungeachtet der medizinischen Schädigungen sollte man die hohe Zahl der Verwandtenehen als Problem begreifen, denn in den meisten Fällen handelt es sich um arrangierte oder Zwangsehen. Aber Frauenrechte werden meist nur gegenüber dem Christentum, nicht gegenüber dem Islam eingefordert. Zudem besteht immer auch die Gefahr, dass sich ein Scheidungskrieg zwischen zwei Verwandten zur Clanfehde auswächst. „Verwandtenehen werden nur ausnahmsweise freiwillig geschlossen. Meist entscheiden Familien über die Betroffenen hinweg. Wagen diese Widerspruch, stürzen sie in Konflikte. Wundert sich jemand, dass die Suizidraten türkischer Mädchen doppelt so hoch liegen wie die deutscher? Selbstbestimmte Partnerwahl gehört zur Würde des Menschen. Doch bislang verschließt die Gesellschaft die Augen vor dieser Verzweiflung in der Mitte unserer Gesellschaft,“ so der Berliner Zeitung.

Der Islam gilt jedoch als sakrosankt und wird meist nicht hinterfragt. Zwar stimmt, dass der Koran vor Verwandtenehen warnt, Sure 4:23 führt verschiedene Ehekonstellationen auf, die verboten sind – jedoch nicht die zwischen Cousin und Cousine. Und laut islamischer Überlieferung war Ali, der die Nachfolge Mohammeds für sich beanspruchte, nicht nur dessen Cousin, sondern auch sein Schwiegersohn – er heiratete Mohammeds Tochter Fatima. All zu oft zeigt sich, dass vielen, die den Islam verteidigen, die Menschen, die damit leben müssen, egal sind. Deren religiöse Gefühle hat man zu respektieren, ihre tatsächliche physische Gesundheit ist Nebensache. Dabei ist das Thema geschichtlich und weltweit beobachtbar.

Ein ähnliches Inzestproblem gibt es unter den Amish People in den USA. Die einstigen deutschen Einwanderer gehören dem mennonitischen Christentum an und leben wie im Jahr 1700. Moderne Technik lehnen sie ab, den Kontakt zur umliegenden Bevölkerung meiden sie. Über Inzestproblematik in dieser Parallelgesellschaft kann man aber problemlos diskutieren. Die Amish sind 1. Deutsche und 2. Christen. Über Verwandtenehen unter Adeligen und ihre erheblichen Erbfolgen durfte man immer reden. Inzest unter Muslimen existiert nicht – gegen den Adel sind derartige Vorhaltungen jederzeit abrufbar.

Jüngst wurde der Gesundheitsbericht des Bezirksamts Berlin-Neukölln veröffentlicht. In dem vor allem von Migranten bewohnten Stadtteil liegt die Säuglingssterblichkeit etwa doppelt so hoch wie im übrigen Berlin. Der Bericht verweist auf den Facharztmangel in Neukölln und die Tatsache, dass viele Ausländer nicht über die nötige Orientierung im deutschen Gesundheitssystem, Sprachprobleme eingeschlossen, verfügen.  Allein die soziale Lage reiche aber als Erklärung nicht aus, die Arztdichte ist auch in Bezirken ohne viele Muslime niedrig, ohne vergleichbare Folgen. Oder gibt es eine ganz andere Ursache, der Beteiligte und Kundige nicht nachgehen wollen und nicht sprechen, um nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden von denen in den Sozialverbänden, Parteien und Medien?

Lukas Mihr