Tichys Einblick
Persönlich

Generation Multi-Kulti

Meine und die nachfolgenden Generationen ob mit oder ohne Migrationshintergrund werden die Folgen der Politik ausbaden. Weitere vier Jahre Weiter-So sind keine Verzögerung, kein Aufschieben, sondern die Antwort.

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Viel ist in den letzten zwei Jahren seit Beginn der Flüchtlingskrise passiert. Ebenso viel ist darüber geschrieben worden. Nicht nur unser Land, das Straßenbild, die Sicherheit für seine Bürger als Ganzes hat sich seit September 2015 an vielen Orten drastisch verändert, auch das Miteinander mit bereits seit vielen Jahren hier lebenden Muslimen steht seither erneut auf dem Prüfstand.

Bereits kurz nach den Vorfällen der Kölner Silvesternacht warnte ich vor den Konsequenzen einer Politik, die sich nicht die Mühe macht, zu differenzieren – zwischen Flüchtlingen und Migranten und schon gar nicht zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten. Die keinen Unterschied zwischen Kriminellen und solchen mit ehrlichen Absichten macht. Zwischen ehemaligen Rebellen aus Syrien, Terroristen und jenen, die vor ihnen geflohen sind. Wer beim Einlass ins eigene Land nicht genau hinschaut, wer pauschal Asyl und Duldungen verteilt, der muss sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung ebenfalls nicht mehr so genau hinschaut. Wenn plötzlich jeder Mann mit schwarzen Haaren und dunklem Teint ein potenzieller krimineller Asylbewerber oder frauenfeindlicher Grabscher ist.

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Im Ergebnis wird bei einem stetig wachsenden Teil der Bevölkerung lieber einmal zu viel pauschalisiert und vorverurteilt als zu wenig. Am Ende siegt mittlerweile nicht selten die pure Angst über die eigenen Überzeugungen. Das zarte, in den letzten Jahrzehnten gewachsene Pflänzchen des Vertrauens zwischen sogenannten „Biodeutschen“ und solchen mit Migrationshintergrund erfährt mit jeder festgehaltenen Handtasche und jedem Bogen auf dem Bürgersteig einen herben Rückschlag.

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Für jemanden wie mich, Jahrgang 1988, ist das hart und nicht selten eine Zerreißprobe zwischen eigener Sozialisation, persönlichen Gefühlen und Assoziationen und einer kritischen Haltung, die angesichts aktueller Entwicklungen nötiger denn je ist. Ich bin Generation Multi-Kulti. Zu einer Zeit, als die Unterschiede und Probleme noch nicht so ins Gewicht fielen, weil sich die Anzahl derer mit und ohne Migrationshintergrund die Waage hielt. Eine Zeit, in der kein einziges türkisches Mädchen aus den umliegenden Schulen ein Kopftuch trug. Als sich Schulklassen noch aus zwanzig deutschen und zwei muslimischen Kinder zusammensetzten. Als wir uns mit „Hadi Tschüss“ voneinander verabschiedeten und zusammen in verqualmten Kinderzimmern 2Pac und Biggie hörten. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit zurück und weiß sehr wohl um das, was man gemeinhin Bereicherung nennt. Ich bin die weltoffene, die Nach-der-Wende-Generation. Generation Aggro Berlin, Sido und Bushido. Die, die den 11. September in der Wahrnehmung von Dreizehnjährigen erlebten. Als etwas Schlimmes, aber nicht per se Islamisches. Die Afghanistan und den Irak erst kannten, als es um die Kriege im 21. Jahrhundert ging. Die keine Ahnung von den ethnischen und religiösen Konflikten auf der Welt hatten, weil sie alle so weit weg waren. Weil wir damals noch nicht wussten, nicht wissen konnten, dass das der Beginn der Revitalisierung des konservativen Islams auch in Europa war.

Heute, in Zeiten, in denen der muslimische Teil der Bevölkerung größer und größer wird, in Zeiten des Aufstiegs des fundamentalen Islams, des Terrors und der Immigrationskrise, sind es meine Generation und die nachfolgenden, die von den Fehlern der früheren Generationen eingeholt werden. Zerrissen stehen wir da zwischen Multi-Kulti-Traum, den Freunden von früher und der heutigen Realität, in der wir plötzlich unsere Handtasche in der einen Hand halten und das Pfefferspray in der anderen. In der uns klar wird, dass Differenzen in Werten und Ansichten nicht mehr so einfach zu verleugnen sind wie damals. Im Jahr 2017 sind wir nicht mehr 13, sondern Ende 20 und uns wird klar, dass dieses Miteinander immer schon auf tönernen Füßen stand.

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Von den türkischen Jungs im Bekanntenkreis von früher ist jedenfalls keiner mehr unverheiratet und kinderlos. Die deutschen Mädchen waren für den Spaß, die türkische Import-Frau für die Hochzeit. Als Deutsche scheinen sie sich demnach weniger gesehen zu haben. Zumindest nicht wie wir, die wir „Kartoffeln“ genannt wurden und immer ein bisschen „uncooler“ waren. Der Deutschrap, den wir damals hörten, war so frauenfeindlich wie heute, mit dem Unterschied, dass er damals noch Underground war, während er dieser Tage Mainstream ist. Nein, die Veränderungen müssen nicht immer drastisch und alle auf einmal kommen. Sie manifestieren sich nicht nur an Betonpollern und Jogging-Hinweisen für Frauen, oder an Domplatte und Breitscheidplatz. Es sind ebenso die kleinen Einflüsse des Alltags, die eine Gesellschaft und ihre Bevölkerung nach und nach kulturell verändern. Dem Terror kann man trotzen, weil er klar zu einer konkreten Zeit an einem konkreten Ort von einer bestimmten Gruppe von Menschen ausgeübt wird. Anders verhält es sich mit den schleichenden Veränderungen des Alltags, die insofern letztlich drastischer, weil dauerhaft sind. Sicherlich bewertet nicht jeder diese Veränderungen gleich negativ und dennoch machen sie eine prinzipielle Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Frage, ob sie dies weiterhin möchte, unbedingt erforderlich. Das schlimmste Vergehen an der jüngeren Generation ist, dass die deutsche Gesellschaft Veränderung durch Zuwanderung immer bloß hat passieren lassen. Dass die hiesige Politik zu keinem Zeitpunkt der Nachkriegsgeschichte eine aktive und effektive Steuerung von Zuwanderung, unter Abwägung aller möglichen langfristigen Konsequenzen für die Gesellschaft und die in ihr gelebten Werte, vorgenommen hat. Und dass wir jetzt nicht aus diesem Fehler zu lernen scheinen. Dass wir die Veränderung wieder einfach nur geschehen lassen. Der Unterschied ist lediglich, dass diese Veränderung, vor allem hinsichtlich des anstehenden Familiennachzugs 2018 und einer bis heute in der öffentlichen Diskussion Europas weithin ignorierten Bevölkerungsexplosion in Afrika, Fakten im Sinne von kulturellen und damit gesellschaftlichen Veränderungen schaffen wird, die nicht mehr zu kompensieren sein, die dieses Land für immer in seinem Wesen verändern werden.

Dass die Deutschen im Unklaren mit sich sind, zeigen widersprüchliche Zahlen. 70 Prozent sind der Meinung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, 54 Prozent gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen, während zeitgleich zusammengerechnet nach infratest dimap 74 Prozent genau jenen Parteien seine Stimme geben, deren Politik für mehr Aufnahme von Flüchtlingen und Immigranten und mehr Appeasement gegenüber dem Islam steht.

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Fakt ist: Es gab schon immer die zwei Seiten des kulturellen Miteinanders. Die Bereicherung und die Nicht-Bereicherung. Den netten Dönermann, den muslimischen Schulfreund und den kriminellen Nordafrikaner. Zu keinem Zeitpunkt war alles schlecht oder alles gut. Ich kann bis heute zu Kurdos Ya Salam im Club tanzen, während ich zeitgleich auf die Probleme einer Jugendkultur hinweise, die Rapper wie Kollegah und Farid Bang zu ihren Helden gemacht hat. Denn es sind eben die vermeintlich kleinen Entwicklungen, die schleichenden Veränderungen und nicht die plötzlichen Terroranschläge, die zeigen, wie jede Entscheidung über Einwanderung und Asyl ihre Konsequenzen hat. Oder hätte einer der zuständigen Politiker damals gedacht, dass sich aus der Einwanderung von Türken und Kurden, durch die Aufnahme von nordafrikanischen und palästinensischen Flüchtlingen eine migrantische Deutschrapszene herausbildet, die ganze Generationen in ihrem Politik- und Frauenbild prägt? Das Problem ist, dass Leute über diese Politik entscheiden, die am Alltag der Bevölkerung in diesem Land weitgehend nicht beteiligt sind. Die keine Ahnung von urbaner Rapkultur, von Schulhof-Beef und unangenehmen U-Bahn-Begegnungen haben. Die nicht wissen, wie man als Frau auf Stadtfesten mittlerweile beäugt wird. Die ihre Handtasche nicht fest an den eigenen Körper heranziehen, wenn sie am Bahnhof in Hildesheim entlanggehen und bei jedem Konzert an Terror wie an den in Manchester denken.

Nein, so kommt man nicht voran, so wird nichts gelöst. Die Frage nach dem grundsätzlichen Wollen dieser Veränderung nicht stellen, so lange wir, die wir die Konsequenzen hautnah jeden Tag erleben, dies nicht einfordern. So lange wir uns selbst nicht trauen, kategorisch zu werden und zu akzeptieren, dass es in dieser Frage keinen angenehmen Mittelweg, sondern nur noch ein klares „Ja“ oder „Nein“ gibt.

Ich bin kein Rassist. Ich bin die Generation Multi-Kulti. Die mit türkischen und arabischen Freunden. Aber Bereicherung muss mehr sein als kurdischer Rap. Integration mehr als Fußballer mit türkischen Wurzeln. Jede politische Entscheidung hat ihren Preis. Die Frage ist, ob man den Preis zu zahlen bereit ist und was man dafür bekommt. Man kann damit beginnen, die Grenzen des Machbaren zu erkennen, indem man realisiert, dass nicht die ganze Welt gerettet werden kann. Dass Integration mit zwei muslimischen Schülern pro Klasse sicherlich funktionieren kann, aber ungleich schwerer mit zwanzig, die allesamt kaum Deutsch sprechen. Dass man selbst stolz und selbstbewusst im Umgang mit der eigenen Kultur und Nation sein darf, wenn man Anpassung und Respekt von Stolzen aus anderen Kulturen erzielen möchte und dass man vor allem endlich bei der Zuwanderung von Flüchtlingen und Immigranten differenzieren muss, wenn man gewährleisten möchte, dass die Bevölkerung dies langfristig auch wieder tut, auf dass wir weiterhin in Frieden mit denen zusammenleben, die diese unvoreingenommene Chance verdienen. Dass ich mich nicht mehr zerrissen fühlen muss zwischen Einwanderungskritik und der am politischen Islam und meinem Verhältnis zu den eigenen Freunden und Bekannten. Meine und die nachfolgenden Generationen ob mit oder ohne Migrationshintergrund werden die Folgen dieser Politik ausbaden. Weitere vier Jahre Weiter-So, das muss klar sein, sind keine Verzögerung, kein Aufschieben des Problems, es ist bereits die Antwort, auf die Frage, die wir uns immer noch nicht trauen zu stellen.