Tichys Einblick
Zeitgeist

Gender-Mainstreaming und die andere Gesellschaft

In den 60ern wurden an Bürgern und Parlamenten vorbei die Weichen für eine neue Entwicklung gestellt zur Spaltung der Gesellschaft und Entwurzelung des Bürgers durch Zerstörung der traditionellen Strukturen. Der kontroverse Diskurs wurde gestrichen.

© Carsten Koall/Getty Images

Vor etwa 60 Jahren wurden die Weichen für eine neue Entwicklung gestellt, die seitdem auf leisen Sohlen immer weiter vorrückt. Die 68er Bewegung führte zu einem alles überrollenden Aufbruch, zu sozialen Veränderungen großen Ausmaßes. Neben gerechtem Protest gegen Kapitalismus, Imperialismus, gegen illegale Regimewechsel und gegen den Vietnamkrieg machte man sich daran, die Geschlechterrollen neu zu bestimmen.

Der Umbruch

Durch die Erfindung der Antibaby-Pille verschwand die Sorge um ungewollte Schwangerschaft, und die damals herrschende strenge Sexualmoral war mit einem Schlag passé. Das, was früher nur im Geheimen stattfand, wollte man jetzt in aller Öffentlichkeit ausleben. Wer eine feste Beziehung einging, also nicht die freie Liebe auskostete, war ein etablierter Spießbürger, der den Sponti-Spruch zu hören bekam: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“

Das Denken der selbsternannten Revoluzzer ging und geht von einem Schwarz-Weiß-Bild aus, das keinerlei Differenzierungen kennt, sich auf keine Debatte einlässt, sondern auf Argumente mit Beschimpfungen reagiert. Von nun an wurde die Ebene des kontroversen Diskurses verlassen. Ideologie zog in Kitas, Schulen und Universitäten ein und wurde ständig am Bürger vorbei weiterentwickelt. Die Trennung von Sex und Fortpflanzung war eingeleitet. Die traditionelle Familie sollte der Vergangenheit angehören. Vom Babyalter an sollten die Kinder in Institutionen betreut werden – ohne Rücksicht auf die Ergebnisse der kindlichen Bindungsforschung.

Gender-Mainstreaming

In diesem Zusammenhang wurde das sogenannte Gender-Mainstreaming erstmals 1985 auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert und zehn Jahre später auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking weiterentwickelt. Seit dem „Vertrag von Amsterdam“ von 1997/1999 ist Gender-Mainstreaming ein erklärtes Ziel der Europäischen Union und für seine Mitglieder verbindlich.

Was diese Richtlinie vorgibt, klingt erst mal positiv und harmlos: Die Gleichstellung von Männern und Frauen soll durchgesetzt, Toleranz gefördert und Diskriminierung abgeschafft werden. Wenn heute Begriffe wie „Toleranz“ und „unsere Werte“ fallen, haben wir jedoch gelernt, Acht zu geben, weil wir wissen, dass uns auch Kriege als „humanitäre Interventionen“ und „Friedensmisionen“ verkauft werden sollen. Was genau hinter dem Begriff Gender-Mainstreaming steckt, kommt erst jetzt zutage, wo die fragwürdigen Konsequenzen dieser Anordnungen allmählich in unser Bewusstsein dringen und uns klar wird, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben. Gender-Mainstreaming wurde am Bürger vorbeigeschleust und erst seit seiner Institutionalisierung in den Zeitungen publik gemacht. Eine verdeckte Taktik.

Dass Frauen dieselben Rechte haben wie Männer, ist eine im Grundgesetz verankerte Selbstverständlichkeit. Dass die Richtlinie allerdings bedeutet, dass Frauen und Männer alle sozusagen in dieselbe Richtung denken und handeln sollen und wenige Entscheidungsmöglichkeiten in ihrer Lebensplanung mehr haben, war neu. Da sich das Konstrukt Gender-Mainstreaming auf keine naturwissenschaftlich erforschte Grundlage berufen kann, kann es nicht falsifiziert und somit nicht widerlegt werden. Ein ideologisch geprägtes Menschenbild – sei es faschistisch, kommunistisch, religiös geprägt oder nun genderistisch – kommt mit unseren Erfahrungen in Konflikt. Das können wir bei allen vorhergehenden von Ideologien geprägten Gesellschaften klar beobachten, und die katastrophalen Folgen zeigt uns die Geschichte.

Wenn man das heute aufzeigt und kritisiert, wird man mit den üblichen Abwehrmechanismen zurechtgewiesen: man sei ewig-gestrig, reaktionär, „braun“ angehaucht, prüde oder homophob, man wolle Frauen nur wieder hinter den Herd schicken. Hier scheint erneut das Schwarz-Weiß-Bild auf, das keine  Wahlfreiheit mehr zulassen will. „Nuancensterben“ nennt das der Philosoph  Peter Sloterdijk.

Das „Einbauen“ der Frauen in den Arbeitsmarkt bedeutet u.a. auch, Absenkung der Löhne akzeptabel machen. Nun müssen beide Partner arbeiten, um einigermaßen über die Runden zu kommen und einen der begehrten Krippenplätze für ihre dort dann mit der Gender-Mainstreaming-Ideologie konfrontierten Kinder finanzieren zu können.  Diese Ideologie geht davon aus, dass das Geschlecht nichts Naturgegebenes ist, sondern durch die sozialen Verhältnisse bedingt sei. Somit  sei die Einteilung in Mann und Frau anerzogen und veränderbar. Ein soziales Konstrukt, das die Vorstellung von einer Vielzahl der Geschlechter mit vielen Abstufungen ermöglicht. Deshalb sollen den Kita-Kindern in Rollenspielen und anhand von Anschauungsmaterialien neue Formen des Zusammenlebens und sexuelle Praktiken jeder Art nahe gebracht werden, damit sie sich unter den vielen Möglichkeiten schon auf einer Entwicklungsstufe „entscheiden“ lernen, auf der sie dazu noch gar nicht in der Lage sind.

Vom ersten „gegenderten“ Bilderbuch im Kindergarten an bis zum Schulabschluss soll das traditionelle Familienbild „korrigiert“ werden. Einer der Vordenker und Vermittler einer Gender-Sexualpädagogik ist Uwe Sielert, Professor an der Kieler Christian-Albrechts-Universität. „Vom ersten Bilderbuch bis zum Abitur soll die Vorstellung von Vater/Mutter/Kind entnormalisiert werden“, schreibt die FAZ. „Das Lernziel (Beipiel Berlin) für die fünfte und sechste Jahrgangsstufe heißt „Liebe, Freundschaft und Sexualität in hetero-, homo-, trans- und bisexuellen Lebensformen.“ Sein Aufklärungsbilderbuch mit dem Titel „Lisa und Jan“ kann hier angesehen werden.

Kindliche Sexualität

Im Leben eines Kindes sind sexuelle Gefühle natürlich nicht abwesend. Sexualität gehört zu den Erfahrungen, die Kinder auf dem Weg ins Leben machen und auf ihre Art selber erforschen und entdecken, wie gut oder nicht gut sich etwas anfühlt. Ein Kind hat an einer Erwachsenensexualität noch kein Interesse. Die Verwechslung von kindlichem und erwachsenem Sex ist ein Übergriff in einem Entwicklungsstadium, wo Kinder noch gar nicht die Möglichkeit haben einzuschätzen, was mit ihnen geschieht.

Unter dem Deckmantel der sexuellen Befreiung fanden in der 70er Jahren bis zur Aufdeckung Jahre später in verschiedenen pädagogischen Institutionen Tag für Tag zahllose solcher Grenzüberschreitungen statt. Oft schon beschädigte junge Menschen lebten in einem Raum, der ihnen in dieser unwiederbringlich wichtigen Zeit des Heranwachsens keinen Schutz für einen kindgerechten Weg bot, sondern sie in eine Verwirrung führte, aus der sie zum Teil ihr Leben lang nicht mehr herausfinden konnten. (Unter diesem Aspekt sollte man vielleicht auch mal die schwankende Haltung von Politikern in der Frage der „Kinder-Ehen“ betrachten.)

Was Kinder brauchen und aufbauen sollen, sind Beziehungen, sind Bindungen. Das Vertrauen darauf, dass ihre Eltern und ihr Umfeld sie behutsam auf ihrem Weg in die Erwachsenenwelt begleiten; sie nicht für ihre eigenen erwachsenen Bedürfnisse missbrauchen. Dass sie einen altersgemäßen Schutzraum schaffen und ihre Intimsphäre achten. Dass sie Fragen abwarten und den Kindern keine Bilder in den Kopf pflanzen, mit denen sie noch gar nichts anfangen können

Fortpflanzung ohne Zeugungsakt

Ein weiteres Ziel ist es, die Fortpflanzung vom Zeugungsakt getrennt zu ermöglichen. „Es geht auch ohne Sex“ lautet die Überschrift eines Artikels in der FAZ vom 28. Oktober 2016, der über verschiedene Forschungsbemühungen berichtet, mit denen es in Zukunft möglich sein soll, dass Technik den Akt der Zeugung übernimmt. Damit wird Sex von den Partnern, von Ehe und Familie abgetrennt, und es geht wieder eine Möglichkeit emotionaler Bindung und Verbundenheit verloren.

Beängstigend nah
"Schöne neue Welt" - Die Welt der Gegen-Aufklärung
Wem fällt da nicht sofort Aldous Huxley ein. In seinem 1932 erschienenen Roman „Schöne neue Welt“ ist die Abspaltung schon gelungen. Nebenbei bemerkt: Aldous Huxleys Bruder Julian Huxley – ein Biologe und Eugeniker – spielte bei Aufbau und Planungen der UNESCO eine bedeutende Rolle. Er war der erste Generaldirektor der Organisation, die heute das Gender-Mainstreaming propagiert. Hat Aldous Huxley sich wohlmöglich auf Projekte und Modelle bezogen, die damals bei der UN schon in der Entwicklung waren?
Abschließende Gedanken

Der „Neoliberalismus“ sieht den Menschen als ein flexibles, beliebig konditionierbares Konglomerat, das man nach Gusto formen kann. Ein Mensch, der sich mit der Illusion der Freiheit, mit „Brot und Spielen“ zufrieden gibt. Durch die Atomisierung und Spaltung innerhalb der Gemeinwesen, durch das Verlorengehen von Zusammengehörigkeitsgefühl und Verwurzelung in einer auf der Institution der Familie basierenden bürgerlichen Gesellschaft löst sich der Generationenvertrag, auf dem der Sozialstaat beruht, auf.

Wenn dann auch noch die Macht an supranationale Organisationen (wie die EU) – ohne Befragung der Bevölkerungen und an den Parlamenten vorbei – abgegeben wird, wird das Gefühl, isoliert und ohne Einfluss auf wichtige Entscheidungen zu sein, Gewissheit. Der autonome Mensch, der im Laufe von Kindheit und Jugend in Elternhaus und Schule gelernt hat, ein selbstbestimmtes, verantwortungsbewusstes Leben zu führen, ist nicht gewollt.

Dressur statt Aufklärung
Zeitgeist: Leid-Kultur taugt nicht als Leitkultur
Entwurzelte Einzelgänger sind natürlich viel leichter zu lenken. Und noch bedenklicher: Wir sehen heute nur noch – und oft mit fataler Verzögerung – die Folgen von Taten, aber nicht die Täter. Nicht die Verantwortlichen, die im Schatten von Institutionen und Konzernen für uns verborgen bleiben und die wir nicht zur Verantwortung ziehen können. Eine Finanzkrise geschieht, Migranten machen sich auf den Weg, Drohnen töten und zerstören anonym und ohne Vorwarnung – der Beispiele gibt es viele. Wir stehen außen vor, sind nicht beteiligt, können nichts entscheiden. Die eigentlichen Zentren der Macht bleiben uns verborgen. Gegenbewegungen werden diskriminiert, verunglimpft und missachtet.

„Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden“, findet der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der – wie viele andere Intellektuelle auch – in der Öffentlichkeit nicht mehr zu Worte kommt. Doch die Mehrheit stellt sich nicht gern gegen den Zeitgeist, will einfach nichts merken und handelt lieber konform. Sich gegen den Zeitgeist zu stellen und die Vergangenheit zu befragen, ist aufreibend, gibt einem jedoch ein wunderbares Gefühl des Befreit-Seins von den ideologischen Verdrehungen unserer Tage: Das Gefühl, noch ein eigenständig denkender und handelnder Mensch im Sinne der Aufklärung zu sein, mit der Hoffnung, genügend Gleichgesinnte zu finden, um vielleicht noch etwas ändern zu können.