Tichys Einblick
Propaganda umbenannt in Public Relations

Gedanken zur Bundestagswahl im September

Warum wählt die Mehrheit wohl wieder Parteien, die uns eingebrockt haben, was wir Bürger jetzt und unsere Nachkommen später ausbaden? Antworten finden wir bei Erkenntnissen der Nutzung menschlicher Schwächen im Dienst von Politik und Wirtschaft.

Es wird Zeit. Die nächsten Wahlen kommen näher. Noch mal vier Jahre lang diesen übergroßen CDU/CSU/SPD-Block, der es nicht mehr für nötig hält, sich im öffentlichen Raum auszutauschen und das Für und Wider von Entscheidungen in Ruhe abzuwägen? Der über grundlegende Fragen inzwischen in Instanzen vorentscheidet, die keiner öffentlichen Kontrolle mehr unterliegen.  Schon 2011 bemängelte Christian Wulff die Eile, mit der inzwischen – oft ohne Not – Politik bei einigen herausragenden Entscheidungen verlaufe. Es werde zu viel in kleinen Runden vorgegeben, was dann in den Parlamenten abgesegnet werden solle. „Darin sehe ich eine Aushöhlung des Parlamentarismus. Damit schwindet die Grundlage für Vertrauen, fehlt die Transparenz und Teilhabe für Bürger und Parlamentarier.“

Nachdenken über Wähler-Entscheidungen

Schon mit Gerhard Schröder wurde dieser Trend deutlicher – die Agenda 2010, der Völkerrechtsbruch beim Jugoslawien-Krieg. Aber es war Angela Merkel, die das in den zwölf Jahren, in denen sie alles moderierte, zur Vollendung gebracht hat. Adé Gemeinwohl auf der Basis von Solidarität, adé Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit, Familie – adé Volkes Wohl. Und so wie die Dinge jetzt laufen, könnte sie weiter regieren. Eine Mehrheit der Bürger scheint sich damit wohl zu fühlen oder hat das Gefühl, sie wähle das kleinere Übel.

Neulich so ganz nebenbei gehört: Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, tut er alles, um dem Inferno zu entkommen. Setzt man ihn jedoch in kaltes Wasser und erhöht ganz langsam die Temperatur, dann merkt er seine Lage vielleicht erst, wenn es (fast) schon zu spät ist. Ich muss gestehen: In meinem Familien- und Freundeskreis gibt es nur eine Handvoll, mit denen ich über die politischen Entwicklungen unserer Tage ohne Tabus sprechen kann. Stattdessen merke ich immer wieder, dass viele das Gespräch abbrechen, wenn es an einen bestimmten Punkt kommt; nämlich, wenn es darum geht, hinter die Kulissen zu blicken. Das scheint sogar irgendwie „bäh“ zu sein; ich werde dadurch richtig suspekt für meine Gesprächspartner. Sie distanzieren sich oder wollen nur noch über ihre Familienprobleme und Arztbesuche mit mir sprechen. Natürlich versuche ich es immer wieder. Steter Tropfen höhlt den Stein? Die Hoffnung stirbt zuletzt? Liebe Landsleute, wann merkt auch der letzte von Euch, dass das Wasser schon sehr heiß geworden ist?

Natürlich ist immer ein Feindbild nötig, wenn Politiker von eigenen Plänen ablenken wollen. Die Fokussierung auf „Rechts“ scheint gelungen, wenn ich mich umhöre. Überall „rechte“ Kräfte am Werke! In der Bundeswehr plant ein vom BAMF als Syrer eingestufter Offizier angeblich einen Anschlag. Man empört sich lieber über sein „Rechts-Sein“ als über die Ungeheuerlichkeit der BAMF-Einstufung. Beweise dafür, dass er einen Anschlag plante – gleich Null. Weist der ungeniert benutzte Begriff „Säuberungen“ nicht schon deutlich auf ein totalitäres Denken hin?

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Ein Zitat der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Aber viele wollen sich das einfach nicht zumuten, wollen nicht tiefer graben und werden damit Opfer von schon seit mehr als 100 Jahren betriebenen, über die Jahre immer raffinierter gewordenen Propaganda-Strategien. Sie bleiben lieber Teil des Mainstreams, wenigstens solange die Veränderungen sie noch nicht selber betreffen. Wenn die Prognosen stimmen, werden sie wieder CDU und SPD wählen, ohne wahrnehmen zu wollen, was klar auf der Hand liegt: nämlich, dass sie Parteien ihre Stimme geben, die uns das eingebrockt haben, was wir jetzt – und unsere Nachkommen in Zukunft – ausbaden müssen. Sehen diese Wähler nicht, wie sehr sie getäuscht wurden und werden? Wie sehr sich Deutschland verändert hat, besonders seit Angela Merkel an der Macht ist? Die Wiedervereinigung hatte eine einmalige Chance für die Schaffung einer friedlicheren Welt geboten, die nicht genutzt wurde.

Meinungsmanagement

Warum wählt der überwiegende Teil der Wähler aller Voraussicht nach wieder die Verantwortlichen für die derzeitige Situation, wo doch Lügen und Rechtsbrüche inzwischen so offen zutage liegen? Die Antworten darauf können wir u.a. bei dem Psychologen Edward Bernays finden, einem der ersten Amerikaner, die sich die Erkenntnisse der modernen Psychologie zunutze machten, um sie durch Erkenntnisse über menschliche Schwächen in den Dienst von Politik und Wirtschaft zu stellen. In seinem 1928 veröffentlichten Hauptwerk „Propaganda“ schrieb Bernays seine raffinierten Techniken zur Unterwanderung von demokratischen Gesellschaften nieder. Sein Motto: Meinungsmanagement ist kostengünstiger als Gewaltanwendung. Mit dem Slogan „Fackeln der Freiheit“ machte er z.B. Zigaretten zum Vorteil der Zigarettenindustrie erfolgreich zum Symbol weiblicher Emanzipation. Joseph Goebbels hat sich seiner perfiden Techniken bedient. Da dieser Zusammenhang  nicht mehr hergestellt werden sollte, nannte Bernays seine Methode der Propaganda später „Public Relations“.

Seit der Veröffentlichung des Buches sind diese Techniken immer weiter verfeinert worden – nach dem Wahlspruch „Wir, die Elite, müssen dem Volk sagen, was es meinen soll. Und dann tun wir das, was das Volk meint.“ Hier einige der Mechanismen, die Rainer Mausfeld, Psychologie-Professor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in einem am 1.5.17 gehaltenen Vortrag in München so bestechend klar darlegt:

Schon die tägliche Flutung mit Informationen erzeugt das Gefühl, gut informiert zu sein. Durch ständiges Wiederholen „von Oben“ erwünschten Inhalten glaubt der Bürger schließlich an deren Wahrheitsgehalt – steter Tropfen höhlt das Hirn sozusagen. Auch Gewöhnungseffekte sind eine Schwachstelle des Menschen. Vor unseren Augen wird immer wieder das UN-Völkerrecht gebrochen. Wir haben uns anscheinend inzwischen daran gewöhnt. – In den Kriegsgebieten wird die Macht von anrührenden Bildern genutzt. Der visuelle Eindruck ist so unmittelbar wirksam, dass wir uns nicht nach den Umständen fragen, unter denen die Fotos entstanden sind. Eine andere Technik ist, Sachverhalte und Zusammenhänge „unsichtbar“ zu machen, indem andere hervorgehoben und akzentuiert werden. Es entstehen Informationslücken.

Die sorgfältige Auswahl von „neutralen Experten“, die keine unliebsamen Ansichten vertreten, verstärkt den Eindruck von seriöser Wissenschaftlichkeit. Kritische Medien und andersdenkende Intellektuelle werden diskreditiert, nicht mehr eingeladen und schließlich ganz mundtot gemacht. –  Die Ausbreitung von Beunruhigungen (Terrorismus, Rechtsextremismus) und ökonomische Unsicherheit (geringe Löhne, drohender Jobverlust und Altersarmut) erzeugen Lähmung und Apathie, was die Lenkbarkeit der Bürger erhöht. Kommt Wut auf, darf sie sich beileibe nicht auf die Zentren der Macht richten, sondern wird auf konstruierte Feindbilder umgeleitet (Populisten, Russland, Fremdenhasser). Ich denke, jedem Leser fallen noch viele andere Beispiele für die oben genannten Taktiken ein.

Doch am Zerstörerischsten: Geschichtsunterricht tritt immer mehr in den Hintergrund. Ganze Epochen kommen nicht mehr vor. Die Schüler sind immer weniger in der Lage, Zusammenhänge zwischen früher und heute herzustellen und Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Das führt dann so weit, dass die Integrationsministerin Aydan Özuguz vor kurzem erklären kann: „Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“

Heute identifiziert man sich über Konsumgewohnheiten und „Lifestyle“. Indem man die Solidargemeinschaften zerstört, entstehen Isolation, Alterseinsamkeit und das Gefühl von Heimatlosigkeit und Entwurzelung. Unter Margaret Thatcher – englische Premierministerin von 1979 bis 1990 –  einer radikalen „Neoliberalen“, wurde 1984/85 ein 12 Monate andauernder Widerstand der Gewerkschaft „National Union of Mineworkers“ gegen Schließung und Privatisierung der Zechen zerschlagen. In dem Film „Billy Elliot“ bildet der Streik den Hintergrund des Geschehens. In diesen Jahren habe ich auf den Straßen Londons bittere Armut gesehen. Menschen in Zeitungspapier gewickelt lagen nachts in den Eingängen zu den großen Prachtbauten und Geschäftshäusern im Zentrum. Hier ein charakteristisches Thatcher-Zitat aus der „Sunday Times“ vom 5.1.81: „Ecomonics are the method; the object is to change the heart and soul.“

Abschließende Bemerkungen

Im Vergleich zum historischen Feudalstaat sind die eigentlichen Zentren der Macht für uns heute unsichtbar. Sie sind weder demokratisch gewählt – und somit auch nicht abwählbar – , noch zur Rechenschaft verpflichtet. Große international vernetzte Konzerne – Rainer Mausfeld spricht von an die 150 – bestimmen zusammen mit ThinkTanks den Lauf der Welt.

Seit Angela Merkel am Ruder ist, bedient sie die Interessen dieser Machteliten. In diesen Kontext passt auch noch einmal die schon oft zitierte, aber immer wieder erwähnenswerte, weil erstaunlich offene Aussage von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über seine Taktik: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Hier noch einmal Professor Mausfeld mit seinem Fazit: „Ein Widerstand dagegen (d.h. gegen Manipulation) hat überhaupt erst dann eine Chance, wenn wir eine realistische  Einschätzung der Situation haben. Und davor drücken wir uns.“ 

Machen wir, die wir einen Blick hinter die Kulissen geworfen haben, ein „großes Geschrei“, drücken wir uns nicht! Und wenn man nur einen Zeitgenossen aufwecken kann, ist das schon wieder einer mehr.