Tichys Einblick
Realitätsverlust

Gabriel: Flucht in die Verschwörungstheorien

Wer die DDR noch erlebt hat, versteht, was Gabriel will: die Vernichtung des politischen Gegners mit den totalitären Methoden des aufgehübschten Klassenkampfes.

© Sean Gallup/Getty Images

Der Realitätsverlust des rot-grünen Establishments nimmt inzwischen skurrile Züge an und belegt, dass es auch linke Verschwörungstheoretiker gibt. Beweis Sigmar Gabriel, der über den Nato-Gipfel sagt: „Auf Amerika ist unter Trump kein Verlass. Er gibt dem nordkoreanischen Diktator eine Bestandsgarantie und will gleichzeitig in Deutschland einen Regimewechsel.“ Trump schleicht also verkleidet und mit Bart und Perücke unkenntlich gemacht durch die deutsche Kanalisation, um Angela Merkel und Andrea Nahles zu stürzen. So muss man sich Sigmar Gabriels Phantasie vorstellen, eine Phantasie, die am laufenden Band die Phantasmen der Verschwörungen produziert.

Machtvergessen und machtversessen
Sigmar Gabriel: Flüchtlingsfrage macht Deutschland irre
So hatte er noch als Vizekanzler in Trumps Wahl dunkle Mächte am Werk gesehen, denn der demokratisch gewählte Präsident war und ist für ihn ein „Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen. Er ist auch eine Warnung an uns. Wir finden sie nicht nur mit Putin in Russland oder mit Erdogan in der Türkei, sondern auch mitten in Europa in Frankreich mit Le Pen aber auch mit Sarkozy, in Polen mit Kaczynski, in den Niederlanden mit Wilders oder in Deutschland mit der AfD.“ In diesen Kräften sieht der Verschwörungstheoretiker eine „autoritäre Internationale“.

Waren es nicht die Linken, die den Begriff der Internationale hochhielten und unter diesem Label eine internationale Bewegung begründeten? Im Eifer des Gefechts geht eben so manches durcheinander. Und Gabriel steht im „letzten Gefecht“ (Liedtext: „Die Internationale“), denn über den Feind sagt er: „Es geht ihnen um ein echtes Rollback in die schlechten alten Zeiten. In denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“ Haben wir seit 2015 nicht das Gegenteil erlebt? Haben wir nicht erlebt, dass jeder, der Merkels und Gabriels Politik der Massenmigration in die Bundesrepublik und in die deutschen Sozialsysteme kritisierte, der in Gabriels Gossenjargon „das Maul“ nicht hielt „öffentlich niedergemacht“ wurde? Wer wollte das leugnen?

Hatte nicht Gabriel im SPIEGEL 2016 im Stil einer aus der deutschen Geschichte nur allzu bekannten Intellektuellenhetze geschrieben: „Die Wölfe tragen Tweedsakko oder Kostüm und fühlen sich zu Hause in den Seminarstuben philosophischer Fakultäten.“ Zu den Wölfen im Schafpelz zählte der Freizeit-Verschwörungs-Theoretiker, der damalige Vizekanzler und heutige Staatspensionär Sigmar Gabriel: Philosophen, Soziologen und Historiker wie Friedrich H. Tennbruck, Hermann Lübbe, Andreas Hillgruber und Ernst Nolte, denen Sigmar Gabriel eine elaborierte Sprache unterstellt, eine Sprache freilich, in deren Gebrauch Beschimpfungen wie: „Ihr seid Pack“ nicht vorkommen. Aus Sicht Gabriels sollten diese finsteren Verschwörer, die ein „echtes Rollback“ planen, das Maul halten und zumindest, wenn sie es nicht täten, öffentlich niedergemacht werden. Was auch geschah. In diesem Essay des damaligen Vizekanzlers wurde die politische Funktion der CDU als Gefängnis und Besserungsanstalt für notorisch rechte Verschwörer, die in der CDU „bewacht“ werden sollten, definiert.

Spahn in der NZZ - Gabriel im Tagesspiegel
Sigmar Gabriel will das Ende der Wirklichkeitsverweigerung namens politische Korrektheit und konstatiert "Kontrollverlust des Staates"
Der Essay, der die Sprache der Spaltung benutzt, endet mit der Warnung: „Doch der Gegner der Demokratie steht rechts. Deutschland braucht jetzt ein Bündnis aller progressiven Kräfte. Denn es geht um verdammt viel.“ Sigmar Gabriel verwechselt wie Grünen-Chef Robert Habeck, von dem man vor kurzem Ähnliches lesen konnte, auch in einer Aufwallung von Neostalinismus die Demokratie mit einer Linksdiktatur, in der alle nicht rot-grünen Positionen als Verschwörung diffamiert werden.

Wer in der DDR das Walten der „progressiven Kräfte“, die Gabriel beschwört, noch erlebt hat, versteht, was Gabriel will: die Vernichtung des politischen Gegners, die für den Verschwörungstheoretiker nicht mit den Mitteln des demokratischen Diskurses, sondern mit den totalitären Methoden des aufgehübschten Klassenkampfes geschehen soll.

Als ein Mittel gegen die autoritäre und chauvinistische Internationale empfiehlt Gabriel ein Signal der Stärke an Trump: „Wenn er von uns Milliarden zurückfordert für die Militärausgaben der Vereinigten Staaten, dann müssen wir von ihm Milliarden zurückfordern, die wir für die Flüchtlinge ausgeben müssen …“

Das ist kein Signal der Stärke, das ist albern, ist die beleidigte Leberwurst, denn Gabriel vergisst, dass Trump weder Selfies mit „Flüchtlingen” gemacht hat, noch dass er eine Einladung an alle aussprach, die das Wort Asyl als „Sesam öffne dich“ benutzen, um in die Bundesrepublik und in die deutschen Sozialsysteme einzuwandern. Wie alle anderen Staaten in Europa zeigen, muss man keine Milliarden für „Flüchtlinge” ausgeben. In Deutschland will man es – und das ist ein großer Unterschied. Nicht einmal daran kann sich der Verschwörungstheoretiker erinnern.

Man möchte ihm mit Hölderlin zurufen: „Komm! ins Offene, Freund!“, aber vielleicht gehört für Sigmar Gabriel Friedrich Hölderlin ebenfalls zu den Wölfen im Schafspelz, denn der dichtete auch: „Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer, / Und ihre Vaterlandsgesänge / Lähmen die Kniee den Ehrelosen“.