Tichys Einblick

Freiheit, stark gefiltert

Gegen den eigenen Koalitionsvertrag stimmte die Bundesregierung einem illiberalen EU-Urheberrecht zu – und versucht, die Öffentlichkeit zu täuschen.

imago images / Emmanuele Contini

Der 15. April 2019 wird in die politische Chronik als der Tag eingehen, an dem sich Union und SPD darauf einigten, ihren Koalitionsvertrag in einem wesentlichen Punkt zu brechen. Beide hoffen, dass es niemand merkt. Dazu treiben sie einen bemerkenswerten Täuschungsaufwand.

Schlag gegen Meinungsfreiheit
Deutschland stimmt für "Urheberrechtsreform" der EU
Am vergangenen Montag stimmte die stellvertretende deutsche Botschafterin Susanne Szech-Koundouros bei der EU – merkwürdigerweise in der Sitzung der EU-Agrarminister, da das die zeitlich nächste Abstimmungsrunde war – dem neuen EU-Urheberrecht zu. Von der deutschen Stimme hing es ab, dass die hochgradig umkämpfte EU-Regulierung für das Internet in den kommenden zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt wird. Denn die Niederlande, Polen, Italien, Luxemburg, Finnland und Schweden stimmten gegen das Paragraphenwerk. Drei weitere Staaten enthielten sich. Eigentlich hätte die Bundesregierung auch dagegen stimmen oder sich zumindest enthalten müssen.

Es geht um den Punkt, der politisch auch in Deutschland am heftigsten umstritten ist: den künftigen zur Vermeidung hoher Geldstrafen verpflichtenden Einsatz so genannter Uploadfilter, mit denen große Plattformen wie Youtube und Facebook künftig das Hochladen von Inhalten im Netz flächendeckend unterdrücken könnten. Viele Nutzer befürchten, dass Uploadfilter, wie sie in Artikel 17 des neuen Urheberrechts vorgesehen sind, nicht nur zur Wahrung von Urheberrechten dienen, sondern auch zur Filterung und Unterdrückung politisch unliebsamer Inhalte. Genau aus diesem Grund spricht sich eine große Koalition der Netzpolitiker von FDP, Grünen, AfD und Linkspartei dagegen aus; auch der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit David Kaye sieht in dieser Technik eine Bedrohung der freien Rede. Und – eigentlich – auch Union und SPD. In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten beide 2017:

„Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‘filtern’, lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Negative Auswirkungen auf kleinere und mittlere Verlage müssen vermieden werden. Die Daten-Souveränität werden wir auf europäischer Ebene im Rahmen der E-Privacy-Verordnung stärken.“ (Zeilen 2212 bis 2216 Koalitionsvertrag).

Eigentlich ergibt sich daraus eine klare Lage: Die Bundesregierung kann keinem EU-Gesetz zustimmen, das den Zwang zur Installierung von Uploadfiltern enthält. Sie tat es am Montag trotzdem. Und fügte eine bemerkenswerte Protokollerklärung an. Darin heißt es:

„Die Bundesregierung bedauert zugleich, dass es nicht gelungen ist, ein Konzept zur urheberrechtlichen Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen zu verabreden, das in der Breite alle Seiten überzeugt. […] Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass dieser Dialog vom Geist getragen ist, eine angemessene Vergütung der Kreativen zu gewährleisten, Uploadfilter nach Möglichkeit zu verhindern, die Meinungsfreiheit sicherzustellen und die Nutzerrechte zu wahren.“

In der gleichen Protokollerklärung, in der Angela Merkels Regierung also die Filter „nach Möglichkeit“ verhindern will, folgen allerdings gleich Ausführungen, wie diese Uploadfilter beschaffen sein sollten, wenn sie doch kommen: nämlich „technologieoffen“ und „transparent“. So transparent wie das ganze Verfahren zur Durchsetzung dieses Netz-Kontrollgesetzes?

Im Fall des Urheberrechts gibt sich die Bundesregierung schon seit Monaten die größte Mühe, zu verschleiern, abzulenken und zu tricksen – vor allem in der Frage der Uploadfilter. Ein rhetorischer Schleier – oder, wie es heute heißt, ein Narrativ – soll schon den Zwang zu einem technischen Filter bestreiten. Am Mittwoch vergangener Woche sagte Angela Merkel in einer Fragestunde des Bundestages:

“Das Wort Uploadfilter kommt in diesem Artikel 17 gar nicht vor.” Es sei vielmehr so, “dass Plattformen eine Verantwortung haben über das Management der Inhalte, die über diese Plattformen weitertransportiert werden. In diesem Zusammenhang glauben wir, dass man überhaupt noch nicht genau weiß, wie die Umsetzung dann in nationales Recht erfolgt. Und wir sehen keine Gefährdung automatisch dessen, dass dort Inhalte in irgendeiner Weise unterdrückt werden.”

Nun gibt es allerdings auch keinen ernst zu nehmenden Diskussionsteilnehmer, der behauptet hätte, der Begriff Uplodfilter stünde explizit in Artikel 17 oder anderswo im EU-Urheberrecht. Dort ist vielmehr die strafbewehrte Pflicht von Internet-Plattformen festgehalten, das Hochladen von Inhalten flächendeckend zu verhindern, wenn jemand Urheberrechte geltend macht – egal, ob begründet oder nicht. Dieses Ziel ist allerdings nur durch einen Uploadfilter zu erreichen. Sind Filter dieser Art erst einmal installiert, dann ist es nur eine Frage der Definition, was alles noch in seiner Verbreitung behindert wird.

Die Formulierung des Artikel 17 ist so gehalten, als würde der Gesetzgeber jemanden verpflichten, sich innerhalb von acht Stunden von Frankfurt nach New York zu begeben, und gleichzeitig beteuern: aber die Wahl des Verkehrsmittels steht völlig frei, nirgends kommt schließlich das Wort „Flugzeug“ vor.

Russisches Gas gegen Uploadfilter
Wie das neue EU-Urheberrecht doch noch geschmeidig durchs Parlament kam
Bei dem ersten Teil der Merkel-Antwort handelt es sich um einen rhetorischen Trick der billigsten Sorte, beim zweiten um eine Groteske. Eine Regierungschefin gibt ernsthaft zu Protokoll, „wir“ – wer auch immer gemeint ist, sie selbst, die Bundesregierung? – „glauben“, dass „man“ – wer immer wiederum sich dahinter verbirgt – überhaupt nicht wüsste, wie die EU-Regelung in ein nationales Gesetz umzusetzen sei. In Wirklichkeit gibt es da wenig Spielraum. Wenn erst einmal die Mitgliedstaaten mehrheitlich zugestimmt haben, dann ist ein EU-Gesetz so in nationales Recht umzusetzen, dass der Gesetzeszweck erfüllt wird. Da gibt es wenig zu glauben und zu rätseln. Merkel tut so, als eröffne sich hier ein ganz exotisches juristisches Gebiet. Tatsächlich ist die Umsetzung von europäischem Recht in den Mitgliedsstaaten Alltag.

In die gleiche Täuschungskategorie gehört die „Protokollerklärung“ der Bundesregierung. In der Geschäftsordnung des Europäischen Rates heißt es zur Funktion von Protokollerklärungen, dass sie die “Tragweite und die Wirkung eines Rechtsakts, die ausschließlich durch den Inhalt des Rechtsakts selbst bestimmt werden, nicht einschränken; Protokollerklärungen können nur dazu dienen, eine Auslegung zu bestätigen, die sich aus dem Wortlaut des Rechtsakts selbst ergibt. Eine Protokollerklärung kann daher, wenn sie in einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts keinen Ausdruck gefunden hat, zur Auslegung dieser Vorschrift nicht herangezogen werden.”

Mit anderen Worten: Diese Protokollerklärung besitzt keinerlei rechtlichen Wert. Sie soll offensichtlich einen politischen Vernebelungszweck erfüllen.

Die Regierungskoalition will offenbar das technische Mittel des Upload-Filters mit allen Mitteln durchsetzen – gegen den Rat praktisch aller liberaler Internet-Experten, gegen das Votum des UN-Beauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit, gegen den eigenen Koalitionsvertrag. Wer schon bei der Einführung eines neuen Rechts derart trickst und täuscht, dem ist vieles zuzutrauen.

Vor einiger Zeit schrieb die CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters, im “Tagesspiegel“: „Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann.“

Das meinte sie wahrscheinlich ebenso ehrlich wie ernst.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.