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FDP auf dem Holzweg: Lindners Zweiklassen-Gesellschaft

Was unterscheidet nach Lindners Vorstellungen künftig eine Fachkraft, die aus dem Ausland nach Deutschland kommt, von einer Fachkraft, die in Deutschland geboren, hier zur Schule gegangen und ausgebildet worden ist? Antwort, man lese und staune: Nicht die Arbeit, sondern das Gehalt, weil der ausländischen Fachkraft mehr Netto vom Brutto bleibt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das war einmal.

picture alliance/dpa | Roberto Pfeil

Am Samstag probte die FDP das Pfeifen, zwar nicht im Wald, sondern auf ihrem Landesparteitag in Duisburg. Christian Lindner tat das, was er verläßlich immer macht, wenn er ebenfalls wie immer wieder den Grünen in Nibelungentreue kühn gefolgt ist, nämlich eine Rede mit an hohlen Effekten nicht geizenden Rede gegen die Ampel und gegen die Grünen zu halten. Ein wenig erinnert das alles an einen Grundschulpausenhof, wenn der Christian dem zürnenden Lehrer versichert, ich war es nicht, der Robert war es, in der Hoffnung niemand kommt darauf, dass er dem Robert die Steine gereicht hatte, mit dem der die Scheiben einwarf. Um so bedingungsloser die Gefolgschaft, um so größer die Worte.

Vorschlag des Finanzministers
Christian Lindner will Steuern senken – aber nur für Ausländer
Dem FDP-Vorsitzenden fehlt die grundlegende Erkenntnis darüber, dass nicht nur das Klimaschutzgesetz „zutiefst planwirtschaftlich“ ist, sondern dass der Klimaschutz an sich „zutiefst planwirtschaftlich“ ist, denn er stellt nur die ideologische Verpackung für die große Transformation, für die größte Umverteilung in der Geschichte zugunsten der Finanzwirtschaft. Deshalb will Lindner das Projekt „Wirtschaftswende“ ausrufen, das selbst Schröders Agenda 2010 „in den Schatten“ stellen soll. Doch bei Schröder hielten sich Marketing und Realität die Waage, bei Lindner hat man es nur mit Marketing zu tun, ein lindes Lüftchen, das am Ende der Wirtschaft wenig helfen, aber sehr zu Lasten derjenigen gehen wird, die den Laden noch am Laufen halten, vor allem wird Lindner letztlich nur eine Zweiklassengesellschaft etablieren, letztlich ein Krieg aller gegen alle, vor dem Thomas Hobbes schon gewarnt hat.

Lindners lautes Getöse über eine Wirtschaftswende vom Samstag übertönt dennoch nicht, wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki am Freitag im Bundestag dem „Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“ heldenhaft ihre Zustimmung verweigerten. Mit bewunderungswürdiger Kühnheit enthielt sich Wolfgang Kubicki der Stimme bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag, noch kühner, geradezu tollkühn unterließ es Christian Lindner seine Stimme abzugeben. Bis auf ein paar Abgeordnete stimmte die Fraktion verläßlich zu.

Doch nun zum Projekt Wirtschaftswende. Was unterscheidet nach Lindners Vorstellungen künftig eine Fachkraft, die aus dem Ausland nach Deutschland kommt, von einer Fachkraft, die in Deutschland geboren, hier zur Schule gegangen und ausgebildet worden ist? Antwort, man lese und staune: Nicht die Arbeit, sondern das Gehalt, weil der ausländischen Fachkraft mehr Netto vom Brutto bleibt. Konkret heißt das, bei ausländischen Fachkräften, die nach Deutschland kommen, sollen 20 Monate lang 30 % des Jahresgehalts steuerfrei bleiben, die folgenden 20 Monate bleiben 20 % des Jahresgehalts steuerfrei und schließlich weitere 20 Monate entfallen auf das Jahresgehalt 10 % weniger Steuern. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das war einmal.

Pech für die Fachkraft, die in Deutschland geboren wurde, dumm von der deutschen Fachkraft, wenn sie nicht ins Ausland geht. Aber es verlassen ja schon viel zu viele deutsche Fachkräfte die Bundesrepublik.

Im Jahr 2022 gingen 268 167 Deutsche ins Ausland. Übrigens im goldenen Merkel-Jahr 2015 betrug die Zahl der deutschen Auswanderer noch 138 273 Bürger. Merkels Grenzöffnung motivierte auch in entgegengesetzter Richtung, wir bekamen nicht nur Menschen „geschenkt“, wir verloren auch Fachkräfte, ab 2016 jährlich um die 270 000, im Jahr 2016 waren es sogar 281 141. Die Zahl der deutschen Auswanderer hat sich also seit Merkels Willkommenskultur dauerhaft verdoppelt. Man könnte mit Goethe bitter spotten: Willkommen und Abschied.

Wirft man einen Blick auf die Berufe und Branchen, so sind es tatsächlich Fachkräfte, Menschen, die in anderen Ländern bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen als in Deutschland vorfinden – und sie finden sie auch nur vor, weil sie gut ausgebildet sind. Nicht umsonst führt der Bereich Wissenschaft mit fast 20 % die Statistik an, gefolgt von Dienstleistungen und der Industrie, an fünfter Stelle folgt dann der Bereich Medizin. Vergleicht man die Einwanderung nach Deutschland mit der Auswanderung, kann man der Merkel-Regierung und der Ampel für ihre kluge Politik, die man so zusammenfassen darf: Leistungserbringer gehen, Leistungsbezieher kommen, nur gratulieren.

Diesen Skandal will Lindner nun noch vergrößern, in dem er de facto deutsche Fachkräfte mit dieser Ungerechtigkeit stärker noch ins Ausland treibt. Wer kann, geht, oder um es noch genauer zu sagen, wer etwas kann, geht. Warum soll auch ein gutausgebildeter Mann oder eine gutausgebildete Frau ein Arbeitnehmer zweiter Klasse im eigenen Land werden, das im rasanten Maße übrigens immer weniger sein Land ist.

Wäre es nicht klüger, die alten Zöpfe grünextremer Ideologie, die sogenannte Klimaschutz-Politik, abzuschneiden und eine wirkliche Reform-Politik zu betreiben, die die Leute im Land hält, bevor man darüber nachdenkt, Leute nach Deutschland zu holen?

Steuerfinanzierte Funktionäre werden es wohl nimmer begreifen, man kann auch einen Standort attraktiv machen, indem man nicht Kindeswohl per Gesetz gefährdet und gegen die traditionelle Familie kämpft, indem man keine Zweiklassengesellschaft errichtet, indem Arbeit sich wieder lohnt – und zwar für alle, indem der Staat sich auf die allernotwendigsten Regulierungen beschränkt, vor allem den Bürgern nicht vorschreibt, was sie zu denken, wie sie zu sprechen, was sie zu essen, womit und wie sie zu heizen haben und womit sie fahren dürfen, indem für alle mehr Netto vom Brutto bleibt, indem man für ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem sorgt, anstatt die Sozialsysteme durch die Turbomigration von Leistungsempfängern in den Zusammenbruch treibt, indem man für eine gute und verlässliche Infrastruktur und für eine exzellente Bildung sorgt, Wissen statt Gesinnung vermittelt.

Lindner will ein paar Steuerentlastungen für Unternehmen durchsetzen, als sei nicht das Hauptproblem die Energie- und Subventionspolitik aus dem Hause Habeck. Großzügig möchte er den Soli streichen, das sollen aber über eine längere Lebensarbeitszeit diejenigen Deutschen, die dumm genug sind, zu arbeiten, finanzieren. Der Finanzminister strapaziert die Lachmuskeln, wenn er die Auszahlung des Bürgergeldes an härtere Bedingungen knüpfen will. Weiß der Mann eigentlich, in welcher Koalition er steckt? Er weiß es in Berlin, auf dem Weg von Berlin nach Duisburg hat er es offenbar schon vergessen. Niemand muss sich jedoch in der Ampel sorgen machen, er fährt ja wieder von Duisburg zurück nach Berlin.

Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass die härteren Bedingungen für das Bürgergeld nie verwirklicht werden und auch nicht die Streichung des Solis, wenn nicht eine andere „Abgabe“ dafür erfunden wird, erfolgt. Umgesetzt wird ein bisschen Reform der Unternehmenssteuer und natürlich bei der Verachtung, die die Grünen für die deutschen Bürger hegen, der Ausbau der Zweiklassengesellschaft durch Lindners Idee, ausländische Fachkräfte steuerlich besser zu stellen als ihre deutschen Kollegen.