Tichys Einblick
EVP-Gipfel in Bukarest

Der Zwergenaufstand gegen Ursula von der Leyen

Beim EVP-Kongress stimmte die französische Delegation gegen von der Leyen, und die Österreicher enthielten sich bei der Abstimmung über das neue Wahlprogramm. Das wird die Parteispitzen etwas gestört haben, aber die kleine Fronde hatte den Vorteil, zeigen zu können, dass immer noch alles „ganz demokratisch“ zugeht bei jenen europäischen „Konservativen“.

Ursula von der Leyen beim EVP-Kongress in Bukarest, Rumänien, 07.03.2024

IMAGO / Alex Nicodim

Ein klein bisschen Demokratie ist beim Bukarester Gipfel der Europäischen Volkspartei gegen Ende nun doch aufgekommen: Die französische Delegation stimmte gegen Ursula von der Leyen, die sich, horribile dictu, als Spitzenkandidatin und erneute Anwärterin auf das Mandat der Kommissionspräsidentin bewirbt, und die Österreicher enthielten sich bei der Abstimmung über das neue Wahlprogramm ihrer Stimme.

Das wird die Parteispitzen zwar ein wenig gestört haben, aber immerhin hatte die kleine Fronde den Kollateralvorteil, jedem, der es bezweifelt hätte, zu beweisen, dass schließlich immer noch alles „ganz demokratisch“ zugeht bei jenen europäischen „Konservativen“, deren wichtigstes Ziel es in den letzten Jahren zu sein scheint, eine so linke Politik wie möglich zu machen, ohne doch ihre Stammwähler ganz zu vergraulen. Insgesamt wird also wohl große Erleichterung die Führungsebene der EVP durchzogen haben, denn eigentlich war es schon ein gewisses Risiko, von der Leyen ein zweites Mal in den Ring ziehen zu lassen.

Man erinnert sich daran, dass sie nach den letzten Wahlen in einem Hinterzimmerabkommen zwischen Juncker, Macron und Merkel bei völliger Missachtung der bisherigen Abmachungen über die Bedeutung der „Spitzenkandidaten“ wie ein etwas sperriges Kaninchen aus dem Zylinder gezaubert worden war, und auch diesmal hatte es Stimmen gegeben, die von einer Spitzenkandidatin der größten europäischen Partei zumindest verlangt hatten, sich auch als Parlamentarierin den Bürgern zu präsentieren und zunächst einmal einen demokratisch legitimen Sitz zu gewinnen – etwas, das bezeichnenderweise nie die Stärke der „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes) war und auch nun tunlichst unterlassen wurde.

Was ist nun geschehen? Gerade in Frankreich ist die Personalie von der Leyen hochproblematisch, und das aus mehreren Gründen, wie die französischen EVP-Abgeordneten aus der Gruppe „Les Républicains“ in einem langen Brandbrief an EVP-Chef Manfred Weber erklärten. Zum einen gilt die CDU-Spitzenpolitikerin und Merkel-Vertraute im Volksmund seit jeher als eine von Berlin ferngelenkte Marionette und Technokratin, die zudem unter dem Deckmantel „konservativer“ Politik aktiv die Linksbegrünung der EVP und der gesamten Europäischen Union betreibe – ein Vorwurf, der gerade angesichts der massiven Bauernproteste gegen die Folgen des unter der Federführung von der Leyens entstandenen „Green Deal“ überaus schwer wiegt.

Dazu kommt noch die freundschaftliche Unterstützung, welche Macron, Hassfigur Nummer Eins der statistisch überwältigenden Mehrheit der Franzosen, von der Leyen seit jeher hat angedeihen lassen, die dementsprechend als eine Art „U-Boot“ der Linksliberalen gilt:

Außerdem sehen sich die französischen „Republikaner“ und Parteifreunde von der Leyens in der Zwickmühle, daheim zwischen den beiden Rechtsparteien Le Pens und Zemmours auf der einen Seite und dem ideologisch irrlichternden Macron auf der anderen Seite zerrieben zu werden: Schon jetzt besteht ein echtes Risiko, bei den Europawahlen weniger als 5 Prozent zu erhalten – ein wahrlich trauriges Ergebnis für die Erben des General de Gaulles, die vor gar nicht so langer Zeit noch absolute Mehrheiten einfahren konnten. Freilich macht dies die Entscheidung der Fraktion, geschlossen gegen von der Leyen zu stimmen, nicht wirklich mutiger: Ganze 7 Stimmen haben die „konservativen“ Franzosen noch innerhalb der EVP (gegen 18 für den „Rassemblement National“ Le Pens).

Die Fronde der Republikaner war daher eher Prinzipsache und dürfte wohl auch vorher mit von der Leyen und EVP-Chef Manfred Weber durchchoreographiert worden sein. Von Anfang an war nämlich solchermaßen klar, dass von der Leyen, die sich noch nicht einmal gegen einen Gegenkandidaten wehren musste, die Nominierung gewinnen würde, dass von den 801 stimmberechtigten Abgeordneten (die Zahl wurde dann von der EVP kurioserweise mehrfach nach unten korrigiert) ohnehin nur 499 zur Abstimmung geschritten sind, während die übrigen lieber am Buffet geblieben sind. Dass von den 499 Mutigen dann 400 für, immerhin 89 gegen von der Leyen stimmten und 10 ungültig wählten, ist insgesamt alles andere als eine Auszeichnung. „82 Prozent Zustimmung“ wird zwar nun stolz durch die Medien getragen, aber bei einer Beteiligung von 62 Prozent lässt sich das Resultat auch so formulieren, dass 50 Prozent der stimmberechtigten gar nicht oder gegen von der Leyen gestimmt haben – ein etwas bedenkliches Ergebnis angesichts eines Wahlzettels, auf dem gut demokratisch nur ein einziger Name vermerkt war.

Und gleich mit einer zweiten Fronde hatte der Parteitag aufzuwarten: Hier waren es die Österreicher der ÖVP, die sich dem neuen Wahlprogramm der EVP verwehrten – kein Wunder, rückt dieses die EVP doch (schon wieder) bis auf ein paar Lippenbekenntnisse einen weiteren Schritt nach links, was angesichts einer wieder erstarkten und im Gegensatz etwa zur AfD schon weitgehend salonfähigen und „entdämonisierten“ FPÖ den österreichischen Konservativen schlecht zu verkaufen ist. So sprach sich die ÖVP in ihrer Begründung gegen die geplante Abschaffung der letzten Veto-Rechte innerhalb der europäischen Institutionen aus und will auch die vollgültige Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum lieber hinauszögern; in der Frage der Atomkraft überholt die ÖVP aber das EVP-Programm von links: Ihr wäre am liebsten eine völlige Schließung aller Zentralen. Doch handelte es sich hierbei wesentlich um Details, welche die ÖVP dann auch nicht zur Ablehnung, sondern nur zur Enthaltung geführt haben: Auch hier sollte vor allem das Gesicht gewahrt und elegant wienerisch sowohl nach rechts als auch nach links die eigene Autonomie bewiesen werden, ohne doch etwas Wesentliches an den Dingen ändern zu wollen.

Insgesamt: Trotz leichter Risse schreitet die EVP weiter auf dem Weg voran, die Taktik der CDU nun auch auf das Parkett des Europäischen Parlaments zu übertragen; und rein wahltaktisch dürfte auch hier – vorerst – die Rechnung ebenso aufgehen wie weiland unter Dauerkanzlerin Merkel: auf der einen Seite die Rechte dämonisieren und somit für jegliche Koalition unbrauchbar machen; auf der anderen Seite die Christdemokratie zunehmend in die Mitte rücken und bei Grünlinks ohne weiteren Reibungsverlust andockbar machen, um somit auf viele Jahre, ja vielleicht Jahrzehnte mehr oder weniger „Große“ Koalitionen zu sichern, die um eine Beteiligung der EVP rechnerisch nicht herum können.

Machterhalt vom Feinsten also – aber gleichzeitig das Todesurteil über das eigene ideologische Alleinstellungsmerkmal. Denn langfristig ist deutlich, dass die Menschen auf der rechten wie der linken Peripherie lieber das Original als die Kopie wählen und somit ein schleichender Glaubwürdigkeitsverlust einsetzt, der die Partei noch lange Jahre verfolgt, wenn er sie nicht vollends in die Bedeutungslosigkeit manövriert. Aber ist gerade das nicht ohnehin schon typisch geworden, nicht nur für die Politik auf europäischer, sondern auch nationaler Ebene, nämlich das langfristige Wohlergehen kurzfristigen Kalküls und Erfolgen zu opfern?

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