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„Entlastungen, Investitionen“ – die aktuellen Fake-News der Bundesregierung

Die Steuern wachsen doppelt so schnell wie die Einkommen der Bürger - und die bejubelten Steuer-Entlastungen entpuppen sich als Fake-News: Der aktuelle Haushalt und Merkels Politik der aggressiven Staatsausweitung im Überblick.

Omer Messinger/AFP/Getty Images

„Entlastungen“ ist eines dieser Worte, die Politiker – vorzugsweise von der Union – gerne im Munde führen, aber tatsächlich nicht umsetzen. Erst kürzlich hat man sogar ein Gesetz so betitelt – das sogenannte Familienentlastungsgesetz, das ebenso wie das Gesetz zum Bundeshaushalt 2019 am 01. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Doch für den steuerzahlenden Bürger bedeuten beide Gesetze nichts Gutes.

Auf über 3.000 Seiten enthält der Bundeshaushalt 2019 die unzähligen Bürger-Beglückungsvorstellungen der Bundesregierung. 357 Milliarden Euro Ausgaben sind veranschlagt, so viel wie noch nie. Sparen ist also weiterhin ein Fremdwort für die bundesdeutsche Haushaltspolitik. Abbau von Subventionen, Reduzierung von Staatsaufgaben und -ausgaben kommt im Denken deutscher (Finanz)politiker schlicht nicht vor. Dafür gibt es 8.750 neue (Plan)stellen, wie der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion seinen Fraktionskollegen hier mitteilte. 988,5 allerdings sind für die Berliner Ministerien gedacht, also vermutlich Versorgungsstellen für demnächst ausscheidende Abgeordnete und Mitarbeiter der Parteizentralen. Besonders drollig: etliche der neuen Stellen entstehen bei der Bundespolizei für die Grenzsicherung.

Von den Gesamtausgaben entfallen ca. 51 % auf die Sozialausgaben, rund 180 Milliarden [Hinweis: das ist mehr als nur der Etat des Bundesarbeits-/sozialministeriums, da auch andere Etats Sozialausgaben enthalten]. Mehr als die Hälfte des Bundesetats geht also für die sogenannte „ausgleichende Ausgabenpolitik“ drauf. Nimmt man nur die Primärausgaben (also ohne Zinsen), beträgt der Anteil sogar ca. 56 % (siehe hier). Tendenz laut Finanzplanung des Bundes steigend. Und das in einem Land, das sich seit Jahren in einer äußerst guten konjunkturellen Phase befindet, dessen Arbeitslosenzahlen seit Jahren zurückgehen und dessen Steuereinnahmen ohne Unterlass sprudeln.

2013 betrugen die Sozialausgaben noch 146 Milliarden Euro, der Sozialausgabenanteil „nur“ 47 %. Trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen gelingt es dem Staat also nicht, die Sozialausgaben zu verringern. Im Gegenteil: die Ausgaben für Soziales steigen weiter an, und zwar nicht nur nominell, sondern auch prozentual. Von Jahr zu Jahr benötigt der deutsche Staat einen größeren Teil der stark steigenden Steuereinnahmen für Soziales – und verringert damit dennoch nicht die sozialen Probleme. Doch immer mehr Geld in Soziales (und das sogar bei guter wirtschaftlicher Lage) zu stecken, ist kein Beleg für einen funktionierenden Sozialstaat, sondern für dessen Versagen. Denn Ziel des sozialen Ausgleichs in einer Marktwirtschaft ist es, nicht mehr Bedürftigkeit und Abhängigkeit zu schaffen, sondern die Bürger in die Lage zu versetzen, für sich selbst sorgen zu können.

Konsum und Ideologie vor Investitionen

Wie wenig zukunftsorientiert der Bundeshaushalt ist, zeigt auch ein Blick auf die Art der Ausgaben. Zu ca. 90 % geht es um konsumtive Ausgaben und nur zu ca. 10 % um Investitionen. Wobei das mit den Investitionen so eine Sache ist. Denn hinter diesen „Investitionen“ verbirgt sich häufig auch nur wieder Sozialpolitik (z. B. Baukindergeld und Zuschüsse für „soziale Wohnraumförderung“ oder „soziale Integration im Quartier“) oder ideologischer Polit-Quatsch (z. B. „Schutz des Klimas und der Biodiversiät im Ausland“ oder „Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre“). Allein 20% der Investitionsausgaben betreffen zudem das Entwicklungshilfeministerium. Egal was man von solchen „Investitionen“ hält: mit echten Investitionen zur Förderung und Sicherung des Wirtschafts-, Wissenschafts- und Technologiestandorts Deutschland hat das jedenfalls nichts zu tun.

Dazu passt ein kleines „Schmankerl“, das die Denkweise deutscher Politik, aber auch deutscher Unternehmensvertreter deutlich macht: Mit dem Bundeshaushalt 2019 werden 50 Millionen Euro für einen neuen Games-Fonds für die deutsche Computerspiele-Industrie bereitgestellt. Damit geht ein Herzenswunsch der Spieleindustrie in Erfüllung. Der Fonds soll helfen, deutsche Spieleentwickler konkurrenzfähig zu machen. Für die Spieleindustrie hat es sich also gelohnt, dass man vor ca. 1,5 Jahren Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der Spielemesse Gamescom in Köln eingeladen hatte. Die Förderbedingungen für den Fonds müssen allerdings noch festgelegt werden. Die Grünen haben bereits beantragt, dass dabei auch „kritische Aspekte“ zur Sprache kommen sollen und beispielsweise „Hate speech“ entgegengewirkt werden soll. Man darf sich also auf staatlich geförderte Baller-Spiele für Toleranz und gegen … (na Sie wissen schon) freuen. Vielleicht prämiert mit dem deutschen Computerspiel-Preis, für den der Bundeshaushalt auch Mittel bereitstellt. Ist nur fair, schließlich gibt es ja auch den Haushaltstitel „Preis für besonders innovative und kulturell ausgerichtete unabhängige Buchhandlungen“.

Wer Steuergeld verbrennt, dem wird noch mehr gegeben

Nach dem Sozialetat ist der Verteidigungshaushalt seit jeher der zweithöchste Etat im Bundeshaushalt. Er erfährt auch den zweithöchsten Zuwachs. Ausgerechnet die unter allen Ministern unfähigste, die aus der Bundeswehr eine reine Lachnummer gemacht und mehr Steuergeld als jeder andere verbrannt hat, erhält also am meisten zusätzliches Steuergeld. Ein Treppenwitz der Geschichte, allerdings einer, über den man als Steuerzahler nicht lachen kann.

Familienentlastungsgesetz 2018 – wenn der Bürger zum Narren gehalten wird

Was dem Staat sein Bundeshaushalt, ist dem Bürger sein Portemonnaie. Mit dem sogenannten Familienentlastungsgesetz wurden parallel zum Bundeshaushalt diverse steuerliche Änderungen beschlossen. Neben einer Erhöhung des Kindergeldes (10 Euro zusätzlich im Monat ab Juli 2019) sind Anpassungen beim Grund- und Kinderfreibetrag und beim Tarifverlauf in der Einkommensteuer erfolgt. Von Politikern der Regierungskoalition und den der Regierung überwiegend gewogenen Medien wird das als Entlastung der Bürger „gefeiert“. Doch der Bürger wird nicht entlastet, sondern allenfalls nur nicht mehr belastet, wie ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt.

Beispiel: Allein lebender Steuerpflichtiger mit einem Kind (= halber Kinderfreibetrag; die andere Hälfte steht dem anderen Elternteil zu) hat 2018 ein zu versteuerndes Einkommen von 37.500 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und anderen steuerlich abzugsfähigen Ausgaben, aber vor Abzug des halben Kinderfreibetrags). Das entspricht ungefähr dem zu versteuernden Einkommen eines vollzeitbeschäftigen Arbeitnehmers. In 2019 erhöht sich das zu versteuernde Einkommen um die Preissteigerung von (niedrig geschätzt) 2 % auf 38.250 Euro. Trotz Einkommenssteigerung in Höhe der Preissteigerungsrate, trotz Kinderfreibetrags- und Kindergelderhöhung und trotz Steuertarifanpassungen und Grundfreibetragserhöhung hat der Steuerpflichtige 2019 real nicht mehr zur Verfügung als 2018.

Als „Familienentlastung“ lässt sich das gewiss nicht bezeichnen. Sollte die reale Preissteigerung 2019 über dem angenommenen Wert von 2 % liegen, macht der Steuerpflichtige ein Minus.

Auch die Kindergelderhöhung nützt dem Steuerpflichtigen im Beispielsfall nichts. Denn das Kindergeld wird der Einkommensteuer in voller Höhe im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung hinzugerechnet, erhöht die Einkommensteuer also, wenn wie im Beispiel die Entlastung durch den Kinderfreibetrag höher ist als das Kindergeld.

Etwas schlechter sieht es übrigens aus, wenn der Steuerpflichtige im Beispiel kinderlos wäre. Bei einer Preissteigerungsrate von 2 % hat er 2019 gegenüber dem Vorjahr 8 Euro weniger zur Verfügung.

Abschaffung des Soli – finanziell leicht verkraftbar

Dabei könnte der Bund die Bürger ohne weiteres ein wenig entlasten und müsste noch nicht einmal die Bundesländer um Zustimmung fragen. Mit dem Solidaritätszuschlag gibt es eine reine Bundessteuer im Volumen von ca. 20 Milliarden Euro (2017: ca. 18 Milliarden), die jederzeit abgeschafft werden könnte. Genug finanzieller Spielraum wäre vorhanden. Denn allein der Bund (ohne Länder und Gemeinden) rechnet für sich laut Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums mit jährlichen Steuereinnahmen von 324 Milliarden Euro in 2018 bei einer Steigerung auf 377 Milliarden Euro bis 2023. Allein die jährlichen Mehrsteuern übersteigen bei weitem die Mindereinnahmen bei Wegfall des Solidaritätszuschlags. Dennoch soll selbst eine nur teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags zumindest für die unteren Einkommensgruppen erst ab 2021 erfolgen.

Existenzminimum – steuerfrei?

Nicht einmal das Existenzminimum bleibt unbesteuert. Zwar rühmt sich die Regierung dafür, dass der steuerliche Grundfreibetrag in 2019 auf 9.168 Euro jährlich (= 764 Euro monatlich) steigt. Darin rechnerisch enthalten ist der Hartz-IV-Regelsatz von 424 Euro monatlich für den Lebensunterhalt sowie 340 Euro für Miete und Heizung. Für diesen Preis eine 1-Zimmer-Wohnung finden, dürfte jedoch wenig aussichtsreich sein. Aber natürlich hat der Staat eine Lösung für dieses Problem, wie man dem Existenzminimumbericht der Bundesregierung entnehmen kann: findet der Bürger für diese Miete keine Wohnung, so mag er halt als Bittsteller staatliche Sozialleistungen (Wohngeld) beantragen.

Aber es geht nicht nur um die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Auch andere Steuern wie die Umsatzsteuer, Grunderwerbsteuer und Energiesteuern sind in den vergangenen Jahren, insbesondere in der Regierungszeit Angela Merkels gestiegen und zehren am verfügbaren Einkommen der Bürger.

Merkels asoziale Bilanz 2005-2019 (I): 38 % mehr Bruttolohn, aber 78 % mehr Steuern

452 Milliarden Euro betrugen 2005 die Steuereinnahmen des Gesamtstaates (Bund, Länder, Gemeinden). Laut Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums steigen die Steuereinnahmen bis 2019 um 78,1 % auf 805 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum steigt das Durchschnitts-Bruttoverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers lediglich um ca. 37,9 % von 2.901 Euro auf 4.000 Euro monatlich. Der Hartz-IV-Regelsatz steigt von 345 Euro um 22,9 % auf 424 Euro; das entspricht ziemlich genau der offiziellen Preissteigerung.

[Hinweise: Da für 2018 und 2019 naturgemäß noch keine Zahlen zum durchschnittlichen Bruttoeinkommen vorliegen, wurde für beide Jahre mit einer Steigerung von 3 % gerechnet.]

Der Vergleich der Steigerungen von Steuereinnahmen und Durchschnittseinkommen zeigt, wer am meisten vom Wirtschaftsaufschwung und den Einkommenszuwächsen profitiert: es ist der Staat. Arbeit lohnt sich – vor allem für den Staat. Er „verdient“ überproportional an dem, was die Bürger erwirtschaften.

Da klingt es wie Hohn, wenn die seit 2005 an der Bundesregierung beteiligte CSU kurz vor dem Jahreswechsel 2018/19 mal wieder tönt, daß man die steuerliche Belastung der Menschen nicht weiter steigen lassen wolle und zu diesem Zweck künftig jedes Jahr auf Grundlage der Frühjahrs-Steuerschätzung konkrete Maßnahmen geprüft und ergriffen werden sollen.

Merkels asoziale Bilanz 2005-2019 (II): 78 % mehr Steuern, aber nur 23 % mehr Hartz IV

Bei den bedürftigen Bürgern kommt das sehr erhebliche Steuer-Mehraufkommen allerdings nicht an. Trotz Zunahme der Steuereinnahmen um 78 %, hat sich der Hartz IV-Regelsatz von 2005 bis 2019 gerade einmal um 23 % (das entspricht der offiziellen Preissteigerung) erhöht. Der wachsende Steuerzugriff auf die Bürger, die viel beschworene „Umverteilung“ kommt also entgegen allen vorgeschobenen Beteuerungen der Politiker nicht den sozial Schwachen zugute. Und dennoch werden viele Politiker nicht müde, im Namen des Popanzes „soziale Gerechtigkeit“ nach weiteren Steuererhöhungen zu rufen.

Hätte sich der Staat in der bisherigen Regierungszeit Angela Merkels damit begnügt, die Steuereinnahmen nur in Höhe des Zuwachses des Durchschnittsbruttoeinkommens zu erhöhen (und das wäre immer noch deutlich über der Preissteigerung), oder hätte der Staat das zusätzlich eingenommene Steuergeld an die Bürger zurückgegeben, so hätten die Bürger heute ca. 165-180 Milliarden Euro jährlich mehr im Portemonnaie zur eigenen Verfügung. Das wäre rechnerisch für jeden einzelnen Bürger vom Baby bis zum Greis mehr als 2.000 € pro Jahr. Oder jeweils 40.000 Euro im Jahr für jeden der circa 4 Millionen Hartz IV-Bezieher.

Die Deutschen – die armen Würstchen in der EU

Solche Zahlen zeigen, wie weit sich der deutsche Staat anno 2019 von dem entfernt hat, was einmal das Markenzeichen der früheren Bundesrepublik war – der „sozialen Marktwirtschaft“. Im Munde führen Politiker diesen Begriff mittlerweile alle, doch sie missbrauchen ihn nur. Die Realität ist eine andere: ein immer weiter fortschreitender Zugriffs des Staates auf das von den Bürgern Erwirtschaftete und ein immer weiter zunehmender Anteil der Sozialausgaben (ohne damit die sozialen Probleme zu lösen). Das ganze verbunden mit ein paar nett klingenden, aber inhaltlich hohlen Phrasen wie „Familienentlastung“. Und die meisten staatsgläubigen Deutschen stört das nicht weiter. Insofern verwundert es nicht, dass Deutschland nach Belgien die zweithöchste Steuer- und Abgabenbelastung unter den OECD-Ländern hat und die Deutschen beim Vermögen zugleich die „armen Würstchen“ der EU sind, wie der Stern unlängst titelte. Denn warum sollte eine Regierung, warum sollten Parteien daran etwas ändern? Sind doch die Deutschen nicht nur die „armen Würstchen“ der EU, sondern benehmen sich auch so und lassen sich das alles mehrheitlich von Wahl zu Wahl klaglos gefallen.