Tichys Einblick
Energiekrise in Deutschland

Der Nervenkrieg um das Gas geht in die nächste Runde

Kanada hat zwar zugestimmt, eine notwendige Gasturbine über Deutschland an Gazprom zurückzugeben. Doch ist nicht sicher, ob der wegen Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 heute eingestellte Betrieb wieder aufgenommen wird.

Kennzeichnung der Anbindungsleitung OPAL in Lubmin, die Erdgas von Nord Stream 1 aufnimmt,

IMAGO / BildFunkMV

Im Nervenkrieg um das Gas haben die Russen schon erreicht, dass Unklarheit, Unsicherheit und Nervosität auf deutscher Seite entsteht. Am heutigen Montag wird wegen jährlich wiederkehrender Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 der Betrieb eingestellt. Bis zum 21. Juli wird kein Erdgas geliefert. Zwar handelt es sich um eine Routine-Maßnahme, doch zur Stunde kann niemand mit Sicherheit sagen, was am 21. Juli geschehen wird, ob der Betrieb wirklich wieder aufgenommen und ob die Liefermenge nach Rückkehr der Turbine tatsächlich erhöht wird.

Gazprom hatte schon vor Wochen die Lieferung von Erdgas an Deutschland auf 40 Prozent des üblichen Niveaus reduziert. Als Grund gab Gazprom an, dass die Gasturbine, die von Siemens Energy in Kanada gewartet wird, aufgrund der Sanktionen nicht zurückgegeben werden kann. Daraufhin hat die deutsche Regierung angesichts der katastrophalen Energiesituation Deutschlands die kanadische Regierung um eine Ausnahmeregelung gebeten. Kanada hat am Samstag einer Ausnahme zugestimmt, doch würde die Turbine „zuerst nach Deutschland geschickt“ werden, um dann an Gazprom geliefert zu werden, „damit Kanada nicht gegen Sanktionen verstößt“.

Die Regierung begründet laut Reuters die Ausnahmeregelung damit, dass ohne die „notwendige Versorgung mit Erdgas … die deutsche Wirtschaft in sehr große Schwierigkeiten kommt und die Deutschen in Gefahr geraten, ihre Häuser nicht mehr heizen zu können, wenn der Winter näher rückt.“ Jonathan Wilkinson, Kanadas Minister für Bodenschätze, fügte noch hinzu, dass der russische Präsident die Alliierten gegen Russlands Angriffskrieg mit seiner Energiepolitik spalten wolle, was Kanada nicht zulassen könne.

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Klar ist – und das mag man auch in Kanada mit Sorge sehen –, dass ein Energiedesaster in Deutschland zu einem Stimmungsumschwung in der deutschen Bevölkerung führen könnte. Allerdings sprach Wilkinson von einer „zeitlich begrenzten und widerrufbaren Erlaubnis“ an Siemens Canada.

Laut Reuters ist nun die Ukraine gegen die Übergabe der Turbine an Deutschland und mithin an Gazprom: „Die Ukraine lehnt Kanadas Übergabe der Turbine an Gazprom ab. Kiew glaubt, dass ein solcher Schritt die Sanktionen gegen Russland missachten würde, sagte eine Quelle des ukrainischen Energieministeriums am Donnerstag.“ Auch scheint die Ukraine über die ukrainische Gemeinde in Kanada Druck auf die kanadische Regierung auszuüben, um die Rückgabe der Turbine an Deutschland und an Russland zu blockieren. Alexandra Chyczij, Präsidentin des Ukrainisch-Kanadischen Kongresses, sagte gestern in einer Erklärung: „Unsere Gemeinschaft ist zutiefst enttäuscht von der Entscheidung der kanadischen Regierung, sich der russischen Erpressung zu beugen.“

Erleichtert hat sich hingegen Bundeskanzler Olaf Scholz über die Entscheidung der Kanadier mit den Worten gezeigt: „Wir begrüßen die Entscheidung unserer kanadischen Freunde und Verbündeten.“ Allerdings äußerten sowohl Olaf Scholz als auch Robert Habeck die Vermutung, dass die technischen Gründe für die Drosselung der Erdgasliefermenge nur vorgeschoben seien und ein politisches Manöver dahinter stecke. Russland wies diese Vorwürfe zurück. Dmitri Peskow, Putins Pressesprecher, sagte am Freitag der russischen Nachrichtenagentur Interfax: „Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge. Die Frage ist nur, warum das nicht gleich so gemacht wurde.“

Dass Moskau energiepolitisch die Muskeln spielen lässt, dürfte niemanden ernstlich erstaunen. Die Regierungsmitglieder Annalena Baerbock und Robert Habeck, wie übrigens auch die CDU-Oppositionspolitiker Friedrich Merz und Norbert Röttgen haben die Russen sträflich unterschätzt und unterschätzen sie weiterhin, sowohl ihren langen Atem, als auch die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern, die die eigene Bevölkerung zu erbringen hat.

Baerbocks kraftmeiernde Außenpolitik als Weltinnenpolitik und als Klimapolitik ist krachend gescheitert, und hat letztlich auch der Ukraine einen Bärendienst erwiesen. Die alte Wahrheit bestätigt sich wieder, dass es oft sogar den Tisch gleichgültig lässt, wenn man auf selbigen haut, schlimmer noch, wenn man glaubt, dass ein Tisch da ist, auf den man haut, wenn nicht einmal ein Tischchen dasteht. Dann erweist sich nämlich der Schlag auf den Tisch als Schlag in die Luft. Annalena Baerbock braucht das nicht unbedingt zu wissen, es genügt, wenn sie kompetente Berater an ihrer Seite zulässt und nicht Aktivisten wie Jennifer Morgan.

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Übrigens ist das Katz-und-Maus-Spiel die Art, wie die Russen seit jeher Außenpolitik betreiben – ein Blick in die Geschichtsbücher hätte das handelnde politische Personal, insbesondere der Grünen, der FDP und auch der CDU darin belehren können. Der Westen schwebt in der Gefahr, Opfer seiner Arroganz zu werden.

Der zuständige Minister, Robert Habeck, hat auf die Erpressung mit der Lieferung von Erdgas keine andere Antwort als Sparappelle, die eigentlich schon in den infantilen Bereich hinüberreichen und an Durchhalteparolen erinnern. Nach einer rationalen Lösung sucht man bei ihm vergebens. Sie würde im Gegensatz zur Großsprecherei von Habeck und Baerbock unsere Position gegenüber Russland wirklich stärken.