Tichys Einblick
NATO-Strategie gegen Russland

Eine „militärische Spezialoperation“ anderer Art

Nicht auszuschließen ist, dass die deutsche Regierung unter Führung der USA auf ihren nächsten Rückzug aus einem Krieg zusteuert, den sie, wie schon in Afghanistan, gar nicht führen will.

IMAGO / photothek

Die von den USA geführte Militär-Allianz glaubt, Russland zur Einstellung ihres Angriffs auf die Ukraine zwingen zu können, ohne selbst in den Krieg eingreifen zu müssen. Kundige Experten bestreiten, dass dies möglich ist. In einem der eher seltenen lesenswerten Beiträge in den deutschen Medien zum russischen Angriff auf die Ukraine weist der ehemalige Agent des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Conrad, darauf hin, dass ein Jahr nach Beginn des Krieges alles dafür spricht, dass der Kriegsherr Wladimir Putin weiterhin dazu entschlossen ist, alles militärisch Erforderliche dafür zu tun, als Sieger vom Feld zu gehen.

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„Sich auf Verhandlungen in der aktuellen militärischen Lage einzulassen, bedeutete für Putin aufgeben, solange für ihn nicht ein Ergebnis erreichbar ist, das er als ‚Sieg‘ präsentieren kann. Nein, er möchte im Idealfall vollendete Tatsachen schaffen – und dann einen Frieden diktieren. Die russischen Truppen sollen dies nach Möglichkeit erzwingen, entweder in einer massiven Offensive in diesem Jahr oder in einem langfristig angelegten Abnutzungskrieg, mit dem die Widerstandskraft des Gegners, einschließlich seiner westlichen Verbündeten, erodiert werden soll.“ Um dies zu erreichen, sei der russische Präsident, so Conrad, zusammen mit seinem engsten Umfeld „offensichtlich nahezu zum Äußersten bereit“. Deutschland müsse sich daher „auch weiterhin auf erhebliche Herausforderungen und Eskalationspotentiale einstellen“.

Russland könne dabei nicht nur „weit größere Ressourcen für den Krieg bereitstellen als der Westen“, sondern verfüge auch über eine „größere Leidensfähigkeit“. Eine Einschätzung, die er mit dem Russlandkenner Jörg Baberowski teilt, der in einem weiteren lesenswerten Interview mit t-online ausführt: „Die Ukraine mag Schlachten gewinnen, aber sie wird den Krieg am Ende nicht für sich entscheiden können“ – zumindest nicht, solange die US-Allianz nicht an der Seite der Ukraine selbst zur Kriegspartei wird.

Die Ampelregierung scheint zusammen mit der von den USA geführten Allianz gegen Russlands Angriff auf die Ukraine hingegen davon auszugehen, Russland ließe sich an den Verhandlungstisch zwingen, ohne dass die US-Allianz militärisch in den Krieg eingreift. Immer wieder betont Bundeskanzler Scholz, dass die Nato-Verbündeten es zum Äußersten, nämlich einen Krieg mit Russland, nicht kommen ließen. Gleichzeitig gibt er sich gewiss, die Ukraine werde den Krieg gewinnen. Das macht aber nur Sinn, wenn er der Meinung ist, ein Sieg der Ukraine sei im weiteren Verlauf des Krieges möglich, ohne dass die US-Allianz sich direkt an ihm beteiligt.

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Genau dies ist aber mehr als nur zweifelhaft. Die Eskalationsdominanz liegt in diesem Krieg auf russischer Seite. Diese wird daher alsbald vor der Frage stehen, wie sie die Ukraine zum Sieg verhelfen kann, ohne mit weiteren Waffensystemen und Truppen selbst zur Kriegspartei zu werden. Ihre diesbezüglichen Handlungsmöglichkeiten dürften allmählich erschöpft sein, zumal wenig dafür spricht, dass die russische Kriegsmaschinerie, wie von der US-Allianz beabsichtigt, mittels Sanktion lahmgelegt werden kann.

Nicht nur die russische Führung tut somit so, als führe sie gegen die Ukraine gar keinen Krieg und könne ihre Kriegsziele durch eine „militärische Spezialoperation“ erreichen. Auch die US-Allianz gibt vor, die Kriegsziele der Ukraine ließen sich ohne einen Krieg mit Russland erreichen. Man muss wohl davon ausgehen, dass beide falsch liegen und Außenministerin Baerbock schon bald nicht mehr nur versehentlich im EU-Parlament, sondern im Namen der Ampelregierung Russland offiziell den Krieg erklären darf, sollte in diesem geopolitischen Konflikt zwischen Russland und den USA keine Lösung analog der Kuba-Krise herbeigeführt werden. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass die deutsche Regierung unter Führung der USA auf ihren nächsten Rückzug aus einem Krieg zusteuert, den sie, wie schon in Afghanistan, gar nicht führen will.

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