Tichys Einblick
Wochenrückblick

Ein allerletzter Rückblick mit der SPD und Robert Habeck

Jemand könnte Frau Hensel sagen, dass die Verteidigung, das eigene in die Kritik geratene Werk sei überhaupt nicht schlecht oder albern, sondern vielmehr weiblich, sowohl Frauen als auch Männer beleidigt.

imago Images/photothek

Wer am Boden liegt, den soll man nicht schubsen. So ähnlich heißt es jedenfalls. Schon gut. Ich höre ja gleich auf. Zur SPD fällt mir nichts mehr ein. Das heißt, ein paar Dinge doch.

In der vergangenen Woche sahen Wahlumfragen die Partei bei bundesweit 11 und in ihrer östlichen Urheimat bei sieben Prozent. Von Sachsen lernen heißt siechen lernen, wie der Dresdner sagt. An der SPD fällt allerdings auf, dass sie auf ihrem Weg rücksichtsvoll begleitet wird. In der vergangenen Woche saß bei Maybrit Illner in dem üblichen Wie-Weiter-Jetzt-Talk unter anderen Sophie Paßmann, von der das luzide und thematisch sehr überraschende Buch „Alte weiße Männer“ stammt, und die außerdem, da sie regelmäßig bei Böhmermann auftritt, als Humoristin gilt. Sie sagte in der Sendung folgenden Satz: „Der Tag, an dem wir aufhören auf Peer Steinbrück zu hören, wäre ein guter Tag für die SPD.”

Was wiederum die Fernsehrezensentin der Süddeutschen als Passmanns „besten Aphorismus des Abends“ lobte. – Jedenfalls war es als Lob gemeint.

Nun entzieht es sich meiner Kenntnis, wie viele Sozialdemokraten auf Peer Steinbrück hören. Der Statistik zufolge war er allerdings der einzige SPD-Spitzenkandidat seit 1998, der es schaffte, die SPD noch einmal leicht nach oben zu bewegen, nämlich von Frank-Walter Steinmeiers 23 Prozent 2009 auf 25,7 Prozent 2013, bis es dann unter der Führung von Wiehießerdochgleich 2017 auf 20,5 und dann auf 15,13,11 weiterging. Ja: „Gesterntag/als der Trubel noch so ferne lag“ (Walter Moers).

Sophie Paßmann ist Mitglied der Partei, und wahrscheinlich liegt sie psychologisch goldrichtig: Wenn das Kollektiv die einzige antizyklische Bewegung der letzten Jahre möglichst komplett vergisst, dann fällt das, was jetzt noch kommt, erheblich leichter.

Ebenfalls in der vergangenen Woche meldete sich Thorsten Schäfer-Gümbel, einer der drei SPD-Übergangsvorsitzenden am Ufer des Styx, und bereicherte die Parteigeschichte in einem Tagesspiegel-Interview um eine wirklich interessante Fußnote. Seine frühere Bildungsanstalt, die Landgraf-Ludwigs-Schule in Gießen, so Schäfer-Gümbel, habe drei SPD-Vorsitzende hervorgebracht: Wilhelm Liebknecht, Hans-Jochen Vogel, und ihn selbst. Er hege aber trotz dieser besten Voraussetzungen nicht die Absicht, lange im Amt zu bleiben.

Ich weiß, ich bin hier wieder keine große Hilfe resp. ein mittelalter Mann. Aber ich finde Schäfer-Gümbel komischer als Sophie Paßmann. Obwohl die wahrscheinlich härter an ihren Pointen arbeitet.

Um die vermaledeite Männer-Frauen-Frage ging es in der vergangenen Woche auch an einem Ort. In meinem letzten Wochenrückblick hatte mir ein Text der ZEIT-Autorin Jana Hensel, der in meinem Flusensieb hängengeblieben war, die Anregung für meine Überschrift verschafft.

Hensel war mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck ICE gefahren und ihm, dem Nahbaren, dort sehr nah gekommen, was ihr die Gelegenheit verschaffte, einen langen lebenswarmen Reporterinnenprosa-Absatz ihres Porträts den Löchern in den Socken des Politikers zu widmen.

Ihr Text war auch von anderen bemerkt worden, unter anderem bei der Welt. Es gab Kommentare. Was Hensel wiederum dazu brachte, auf Twitter längere „einordnende Worte“ samt Analyse ihrer Kritiker nachzuschieben. Warum?

„Weil“, so Hensel per Tweet, „es in den vergangenen Wochen immer wieder zum Teil heftige, stets unsachliche Kritik an den Habeck-Portraits gegeben hat, die von Frauen stammten, an Interviews, die von Frauen geführt wurden“.

Woraus, so JH, folgt:

„1. Der weibliche Blick auf Politiker wird gegenüber dem männlichen entwertet. Während Männer rational und sachlich auf Politik schauen, werden Frauen von Gefühlen geleitet. (Ich schreibe über Habeck freilich nur, weil ich unsterblich in ihn verliebt sein muss. So lauten viele der sexistischen Kommentare seit gestern.)

2. Die Arbeit von Reporterinnen wird entwertet. Nun, wo sie nicht länger nur über das Familienministerium schreiben, sondern auch über eventuell zukünftige Kanzlerkandidatinnen, werden Reviere abgesteckt und indirekt Regeln formuliert, wie man über Politik zu schreiben habe. Nämlich distanziert, sachlich, scheinbar neutral, wie nur weiße Männer glauben können, neutral zu sein.

3. Die Koalition der Frauen mit den Grünen wird entwertet. Wie wir wissen, wäre die Partei stärkste Kraft, wenn nur Frauen wählen würden.

4. So trifft der Sexismus, der auf die grünen Wählerinnen zu zielen scheint, natürlich auch Habeck selbst. Jenen Mann also, der auf ein klassisches Alphamann-Gebaren verzichtet und stattdessen für ein neues Männlichkeitsbild steht.“

Die neue Männlichkeit: penetriert nur die eigenen Socken. Warum sollen immer nur Paß- und Böhmermann schlechte Witze machen? Bitte. Ich will auch mal.

Tatsächlich, nur, weil ein paar Leute sich über einen schleimig-ranschmeißerischen Groupie-Text lustig machen, handelt es sich schon um Sexismus, der den künftigen Kanzler trifft, zuförderst aber die politische Podologin der ZEIT?

Nun genügt schon die Lektüre von einigen Texten des Claas Relotius einerseits und der formidablen Sophie Dannenberg andererseits, um zu erkennen, dass distanzloses Sentiment keine Frauen- und kühler Witz keine Männerdomäne ist. Und was Hensels Behauptung angeht, wenn nur Frauen wählen dürften, wären die Grünen stärkste Partei: Schon ein wacher Realschüler kann sich ausrechnen, dass es sich um Kappes handelt, in welchem abgesteckten Revier auch immer.

Aber es geht noch um etwas anderes. Irgendjemand – nicht ich, ich bin dazu ungeeignet – müsste Frau Hensel bei Gelegenheit sagen, dass die Verteidigung, das eigene in die Kritik geratene Werk sei überhaupt nicht schlecht oder albern, sondern vielmehr weiblich, sowohl Frauen als auch Männer beleidigt.

Aus dem Mund von intelligenten und erfolgreichen Frauen hört man diese Rechtfertigung praktisch nie, genau so wenig wie moralische Kollektivbeurteilungen der beiden Geschlechter. Hannah Arendt war nicht der Meinung, eine speziell weibliche Philosophie betreiben zu müssen; sie stellte zum philosophischen Denken fest: „Das braucht ja nicht eine männliche Beschäftigung zu bleiben.“

Die israelische Premierministerin Golda Meir: „Ob Frauen besser als Männer sind, kann ich nicht sagen – ich kann sagen, dass sie nicht schlimmer sind.“

Die norwegische Medizin-Nobelpreisträgerin May-Britt Moser: „Ich frage mich nicht, ob ich mich eher weiblich oder männlich verhalte, ich verhalte mich, wie ich bin. Mir geht es um Spitzenleistung in der Wissenschaft, nicht ums Geschlecht.“

Vor einigen Jahren, 2001, sagte die südafrikanische Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing: „Es ist Zeit, dass wir uns fragen, wer eigentlich diese Frauen sind, die ständig die Männer abwerten. Die dümmsten, ungebildetsten und scheußlichsten Frauen können die herzlichsten, freundlichsten und intelligentesten Männer kritisieren, und niemand sagt was dagegen.”

Golda Meir besaß übrigens so viel Witz, dass sie heute zur Strafe in keine deutsche Talkshow eingeladen würde. Von ihr stammt der einzurahmende Satz: „Sei nicht so bescheiden. So großartig bist du nicht.“

Wenn sie zur Verfügung stünde, hätte sie die Energie, die SPD zumindest wieder auf Steinbrück-Niveau zu führen.

Aber das wäre, wie Sophie Paßmann weiß, ja die total falsche Richtung.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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