Tichys Einblick
Bloß keine Zahlen!

Malu Dreyer inszeniert die mangelhafte staatliche Hilfe im Hochwassergebiet

Die Menschen im Ahrtal leiden weiter und die Politik ist ihnen kaum eine Hilfe. In vielem erinnert das Scheitern im Krisenmanagement an die Mechanismen, die sich schon während des Lockdowns zeigten. Und die meisten Medien spielen mit.

Flutschäden in Maischoß im Ahrtal

IMAGO / Future Image

Zahlen gehören nicht zum Regierungsstil in Rheinland-Pfalz. Denn Zahlen bringen zu viele Nachteile mit sich: Sie sind fassbar, vergleichbar und man kann Gelingen oder Scheitern aus ihnen herauslesen. Das ist nicht der Stil von Malu Dreyer (SPD). Die Ministerpräsidentin mag es lieber schwülstig und schwammig: „Wir stehen an Eurer Seite.“ Oder: „Wir werden Euch nicht vergessen.“ Solche Sätze schwemmen Dreyer, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei ihren Besuchen im Ahrtal in die Kameras. So kommt das Drama, das die Bewohner im Ahrtal erleben, als Rührstück bei den Menschen vorm Fernseher an.

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Wer durchs Ahrtal gehe, sehe „lächelnde Menschen“ versteigert sich Günther Kern in das eigene Rührstück. Er ist Vor-Ort-Beauftragter der Landesregierung und gibt solche Sätze in Interviews von sich, in dem Fall mit der Rhein-Zeitung. Seine wichtigste Funktion ist, die Botschaft Dreyers zu verbreiten: „Es tut sich was im Ahrtal.“ Was? Wie viel? Genug? Klare Antworten gehören auch nicht zu Dreyers Regierungsstil.

Zu ihrem Glück gedeiht Dreyer in einer Medienlandschaft, zu deren Stil kritische Nachfragen ebenfalls nicht gehören. Allen voran in der Berichterstattung des Landessenders SWR: Sie hätten die Hälfte der Aussagen nicht gebracht, weil sie zu hart gewesen wären. Das räumt SWR-Reporter Michael Lang nicht ein, er rühmt sich damit. In einem Beitrag des NDR-Formats „Zapp“. Darin geht es um die Berichterstattung der Bild. Die hat Nachfragen gestellt. Für Zapp ist das nicht Journalismus – sondern Nähe zu den Querdenkern.

Was für Zapp Journalismus bedeutet, lassen die NDR-Mitarbeiter ihren Kollegen Lang sagen: (zu) kritische Stimmen weglassen. Dabei gehe es nicht darum, die Geschichte zu verzerren oder regierungsgefällig zu berichten, wehrt sich der SWR. Vielmehr müssten die Menschen geschützt werden, findet Lang, denn sie würden „nicht verstehen“, wovon sie redeten. Und so produziert der Sender Schlagzeilen wie „Erste Wiederaufbauhilfe ausgezahlt“, die nah an Dreyers Kernbotschtschaft „Es tut sich was im Ahrtal“ liegen – und reicht für fleißige Leser weiter hinten nach, dass erst ein Bruchteil ausgezahlt wurde.

Vorgewarnt, nichts unternommen
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Zehn Prozent der 800 Millionen Euro Soforthilfen seien bewilligt worden, berichtet die Bild. 300 von 9.500 Anträgen seien in der Auszahlung, teilt die CDU mit. Sie fordert mehr Personal, damit die Anträge schneller bearbeitet werden. Doch das vorhandene Personal ist für manchen Hilfsbedürftigen auch keine echte Hilfe. Wie schon in der Pandemie scheitern viele an der Digitalisierung einer Verwaltung, die Vorgänge von der Organisation ihrer Ablage aus denkt – und nicht von den Bedürfnissen der Menschen vor Ort: Hat ein Antragsteller Daten nicht parat, weil die Unterlagen dazu im Hochwasser untergingen, oder passt ein Schaden nicht in die Vorgaben der Formulare, müssen die Betroffenen bewusst Falschangaben machen, um weiterzukommen. Sachverhalte in eigenen Feldern schildern, worauf Sachbearbeiter diese dann klären? Solche flexiblen Lösungen, die sich an Zielen und Nutzern ausrichten, sind in der deutschen Verwaltung nicht vorgesehen.

Und wie in der Pandemie tut die Politik wenig, um bürokratische Hürden abzubauen: Die Landesregierung hat das Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen aufgehoben, wenn es um Sanierungen im Ahrtal geht. Ganz unbürokratisch, ganz einfach. Allerdings gilt diese Aufhebung nur bis zum 23. Dezember. Und nicht für minderjährige Arbeitnehmer. Volljährige Arbeitnehmer müssen den gearbeiteten Sonntag nachholen. Und das innerhalb von acht Wochen. Auch müssen sie darauf achten, dass sie mindestens 15 Sonntage im Jahr frei nehmen. Ganz unbürokratisch, ganz einfach.

Wobei die Verwaltung nicht untätig ist. In einem Bericht der Bild erzählen Bewohner davon, dass Hilfsangebote wie die Gratisausgabe von Essen verboten werden. Sie sollen von kommerziellen Angeboten ersetzt werden. Die Hilfsbereitschaft ist zwar ein wichtiger Teil des Rührstücks, das die Regierung Dreyer von den Arbeiten im Ahrtal erzählt. Doch dem Geldverdienen im Weg stehen darf Hilfsbereitschaft offensichtlich nicht.

34 Häuser werden im Ahrtal nicht mehr aufgebaut. Diese Zahl gehört zu den wenigen präzisen, die das Land veröffentlicht. Wie viele Häuser insgesamt aufgegeben werden? Wie viele Häuser noch aufgebaut werden müssen? Hässliche Zahlen, Störfaktor im schwammigen Rührstück des Landes. Klimafreundlich werden sie aufgebaut. Das weiß Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Denn schließlich will auch die Zielgruppe in Mainz und Koblenz ihre Erzählung hören.

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