Tichys Einblick
Hic Et Nunc - Hier und Jetzt

Die Wahl geht um Wahrheit, Verantwortung und Gerechtigkeit

Wer weiß schon, wie das Wahlergebnis der CDU am Sonntag aussehen wird – wenn es so offensichtlich ist, wie der wichtigste Mechanismus in der Demokratie, die Abwahl, außer Kraft gesetzt worden ist, kann vieles passieren.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Geht es nach dem, was die Medien vermitteln, gibt es im Rahmen der Bundestagswahl kaum Themen, die die Bürger wirklich polarisieren und entsprechen an die Wahl-Urnen treiben werden. Wie so oft liegen sie falsch. Dabei sind die Themen ganz offensichtlich: Es geht um Wahrheit, Verantwortung und Gerechtigkeit.

Um die Wahrheit geht es, weil in den wenigen vergangenen Jahren so viel Unwahrheit durch Regierung und Medien verbreitet worden ist. Die geistige Last, unter dieser Unwahrheit zu leben, hat seit den wildesten Monaten des Jahres 2015 nicht nur beklemmende, sondern sogar erdrückende Ausmaße angenommen. Nur noch schlimmer wird es dadurch, dass es inzwischen stapelweise Evidenz dafür gibt, dass sich die Sorgen und Warnungen aus 2015 bestätigt haben – aber niemand eine Konsequenz daraus zieht. Gestiegene Kriminalität durch Zuwanderer, Terroristen unter den Flüchtlingen, die zum Teil bereits in Syrien Verbrechen begangen hatten, zum Teil erst in Europa Verbrechen begehen, dafür keine Spur von „Fachkräften“ und Ärzten, massive Kostenbelastungen – all das wird mittlerweile berichtet, aber niemand zieht laut und öffentlich die einzig konsequente Schlussfolgerung basierend auf dieser Evidenz: Dass die Politik der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin im Jahr 2015 grundfalsch und schädlich war.

Es war nicht richtig, die Sicherheit der Bürger Deutschlands gegen die Sicherheit der „Flüchtlinge“ aufzuwiegen, es war nicht richtig, die körperliche und seelische Unversehrtheit der Frauen in der Kölner Silvesternacht und auf ungezählten Volksfesten für die körperliche Unversehrtheit der „Flüchtlinge“ zu opfern, es war nicht richtig, aus Humanität die Überlastung der Behörden in Kauf zu nehmen, wenn der „Flüchtling“ Anis Amri dadurch in Berlin zwölf Unschuldige ermorden konnte. Es war nicht richtig, sich selbst unter dem Slogan „Refugees welcome!“ zu feiern, wenn damit gleichzeitig das Land gespalten wurde. Nichts davon war richtig, aber es ist genau diese Anerkennung, an der sich die Geister der Bürger scheiden.

Bundesverfassungsgericht schweigt laut
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags: Keine Rechtsgrundlage für Merkels Grenzöffnung
Passend zu der Weigerung, diese Schlussfolgerung zu ziehen, ist die jüngste Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, dass bis heute nicht klar ist, auf welcher legalen Grundlage die Grenzöffnung von 2015 geschah. Legt das nicht die Folgerung nahe, dass es keine legale Grundlage gab, sondern dass sich die Bundesregierung im Bereich der Illegalität oder zumindest in einer Grauzone bewegt hat? Sollte es dann nicht ein wenig alarmierend sein, wenn eine Regierung das Leben unzähliger Bürger durch Handlungen beeinflusst, die im nichtjuristischen Jargon geradeheraus als kriminell gewertet würden? Und sollten die Medien die Hinterbliebenen der Terroropfer von Berlin nicht besser zu Wort kommen lassen, wenn es um die Folgen einer Politik geht, die auch dank eines zu Tränen gerührten Claus Klebers Wirklichkeit geworden ist, anstatt sie zuerst einzuladen und dann wieder kaltzustellen, wie das ZDF es getan hat? Stattdessen erziehen und verspotten sie weiterhin die Bürger, die in einer „übertriebenen“ Angst vor Terrorismus leben.

Diese fortgesetzte geistige Unterdrückung setzt sich in eine Wut um, die dieses geistige Gulag durchbrechen und überwinden will – selbst wenn für dieses Ziel mehr an politischer Kultur zerbrochen wird, als eigentlich notwendig wäre. Die AfD versteht es, sich als das passende Werkzeug dafür anzubieten, obwohl sie selbst die Wahrhaftigkeit für sich nicht gerade gepachtet hat.

Der Grund, warum Parteien wie die Union stattdessen einen Wahl-Kampf in einem Paralleluniversum führen, in dem sie die politischen Garanten für Sicherheit und Stabilität sind, führt zu der Relevanz von Verantwortung und Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit bedeutet per Definition, dass jeder das erhält, was ihm (oder ihr) zusteht. Die SPD versucht – wenig erfolgreich – über obskur berechnete „Gender-Pay-Gaps“ zu vermitteln, dass beispielsweise Frauen im Beruf nicht das bekämen, was ihnen gemäß diesen arbiträren Vorstellungen zustünde. Dementgegen steht ein Gerechtigkeitsempfinden, das es nicht für gerecht hält, dem Nachbarn das Auto zu klauen, weil man meint, man selbst habe es verdient, sondern welches Gerechtigkeit dann empfindet, wenn eine ganz einfache, aber nicht verhandelbare Bedingung erfüllt ist: Dass jeder sich für das verantworten muss, was er tut. Dies können gute oder schlechte Taten gewesen sein, der Zweck mag manchmal die Mittel geheiligt haben, aber am Ende wird abgerechnet.

Nach der Wahl ist vor dem Sturz
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Wodurch bestimmt sich, was gute und was schlechte Taten sind? Zu diesem Zweck hat (oder hatte) die Gesellschaft einen inneren Kompass, der anzeigt, was in die Kategorie „Gerade noch in Ordnung“ und was dagegen unter das Urteil „Das tut man nicht!“ fällt. Die Merkel-Regierung aus Union und SPD hat sich vieles geleistet, das man nicht tut, nicht nur in der „Flüchtlingspolitik“, sondern auch mit Blick darauf, wie sie Institutionen der Demokratie schleichend korrumpiert hat. Indem sie dies nicht nur so gut wie öffentlich getan hat, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden, sondern sich auch noch zur Wiederwahl stellt, erzeugt sie einen Bruch, einen Riss im Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft, der nicht von selbst wieder heilen wird.

Bei den Normalbürgern eines demokratisch regierten Landes herrschen dabei noch nicht mal Illusionen darüber vor, dass sich Politiker ab einer gewissen Stufe der Machtleiter genau wie Konzernmanager nicht mehr in einem justiziablen Sinn für ihre Fehler verantworten müssen. Die Bürger wissen, dass ihnen nur eine einzige Möglichkeit bleibt, einen entsprechend mächtigen Politiker zu disziplinieren oder loszuwerden: Indem sie am Wahltag in der Wahlkabine für den Gegenkandidaten stimmen.

In NRW wusste einfach jeder, dass die Landesregierung nicht nur bei der sicherheitspolitischen Vorbereitung der Silvesternacht in Köln ganz jämmerlich versagt hat, sondern dass sie danach auch noch auf schäbigste Art und Weise versuchte, ihre Verantwortung abzustreiten, kleinzureden, oder abzuwälzen. Durch die rot-grüne Regierungskoalition bedingt wussten die Bürger genau, was sie dagegen tun konnten: Schwarz-Gelb wählen, um Hannelore Kraft und Ralf Jäger in die Wüste zu schicken, was sie mehrheitlich auch getan haben.

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Im Bund besteht diese Möglichkeit bekanntlich nicht. Dem Bürger wird nur die Wahl gelassen, zu entscheiden, mit welcher Koalition die Regierungschefin, die ganz offensichtliche, schwerwiegende Fehler begangen hat, weiterregieren kann. Die Kanzlerin Angela Merkel klebt am deutschen Volk wie ein Kaugummi an der Schuhsohle – nur einmal reingetreten und trotzdem schwer wieder loszuwerden. Merkel mag sich in aller Stille über die Tatsache, sich praktisch unabwählbar gemacht zu haben, totlachen, was sie wahrscheinlich auch tut. Aber in den vergangenen Wochen hat sie auf fast jedem öffentlichen Platz den Preis dafür ganz bitter in Form von Buhrufen, Pfeifkonzerten und Beschimpfungen zu spüren bekommen. Und wer weiß schon, wie das Wahl-Ergebnis der CDU am Sonntag aussehen wird – wenn es so offensichtlich ist, wie der wichtigste Mechanismus in der Demokratie, die Abwahl, außer Kraft gesetzt worden ist, kann vieles passieren.

Werden die Deutschen zu hemmungslosen Wutbürgern, weil ihnen die Themen Wahrheit, Verantwortung und Gerechtigkeit wichtig sind? Nur, wenn man sie dazu zwingt. Der Stimmenanteil insbesondere der AfD verhält sich deshalb proportional zur Sprengkraft einer Wahl-Granate, die am Sonntag ins Gefüge der Berliner Republik geschleudert werden wird und dort wahrscheinlich keine nützlichere Funktion ausüben wird, als zu explodieren. Kurz vor der US-Wahl 2016 sagte Michael Moore voraus, dass die Wahl von Trump das größte „F*ck you“ sein werde, das es je in der Menschheitsgeschichte gegeben habe. Und es werde sich gut anfühlen.