Tichys Einblick
Am Abgrund

Die Union im selbstgewählten Niedergang

Angesichts jüngster Wahlniederlagen und stark sinkender Umfragewerte versucht die Union, Volkspartei zu bleiben, indem sie sich an die Programmatik der Grünen anpasst. Daran ist allerdings auch schon die ehemalige Volkspartei SPD gescheitert.

IMAGO / Sven Simon

Obwohl die SPD es inzwischen geschafft hat, sich durch die schrittweise Übernahme der umwelt- und klimapolitischen, migrationspolitischen und mittlerweile auch identitätspolitischen Ziele und Maßnahmen ihrer grünen Konkurrenz in eine Partei zu verwandeln, die allenfalls noch fünfzehn Prozent der Wähler mehr oder weniger verlässlich an sich zu binden vermag, scheinen die Vorsitzenden von CDU und CSU entschlossen zu sein, ebenfalls den Weg einer grünen „Modernisierung“ ihrer Parteien Richtung Niedergang zu gehen. Er wurde von Kanzlerin Merkel zunächst im Jahr 2011 eingeschlagen mit dem Beschluss aus der Kernenergie auszusteigen,  und danach weiter fortgesetzt mit ihrer Entscheidung im Jahr 2015, die vom Bundestag im Jahr 1993 gegen die Stimmen der Grünen beschlossene Einschränkung des Grundrechts auf Asyl (Artikel 16a des GG) nicht mehr anzuwenden. Konnten bis zur Wahl 2017 die Grünen so noch unter der 10-Prozent-Marke gehalten werden, wandern inzwischen immer mehr Wähler der Union zu den Grünen ab.

In der vagen Hoffnung, den weiteren Zuwachs der Grünen und ihren damit einhergehenden eigenen Niedergang stoppen zu können, passt sich die Union mittlerweile schon panikartig an die politischen Ziele und Maßnahmen aus dem jüngst verabschiedeten grünen Grundsatz- und Wahlprogramm an. Inzwischen notieren CDU und CSU in den Umfragen zur kommenden Bundestagswahl allerdings bei nur noch 25 Prozent, dicht gefolgt von den Grünen, die mittlerweile bei rund 23 Prozent notieren. Dies ist zu einem gewissen Anteil dem von der Regierung verursachten Chaos in der Corona-Politik und den damit verbundenen Bereicherungs- und Bestechungsaffairen geschuldet. Schon vor der Corona-Krise erreichte die Union aber in Umfragen nur noch 27 Prozent, die weit mehr ihrer tatsächlichen Stärke oder besser Schwäche entsprechen dürften als die 37 Prozent nach dem ersten Corona-Lockdown im vergangenen Jahr. Diese ähneln mehr dem flüchtigen Umfrage-Hype der SPD nach der Ernennung ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz im Frühjahr 2017 als einem tatsächlichen Wählerwillen.

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Es ist zwar nicht auszuschließen, dass sich die Umfrageergebnisse der Union bis zur Wahl im September wieder verbessern, sollten die Infektions- und Todeszahlen der Corona-Pandemie, aus welchen Gründen auch immer, wie schon im Sommer 2020 erneut deutlich sinken. Dassß die Union deswegen aber bis zur Bundestagswahl wieder über die 30-Prozent-Marke kommt, ist aufgrund der schon vollzogenen und noch zu erwartenden Anpassungen an die grüne Programmatik allerdings nicht zu erwarten. Einen deutlichen Vorgeschmack gibt in diesem Zusammenhang die CDU in Baden-Württemberg. Sie ging bei den jüngsten Landtagswahlen aus ihrer Zusammenarbeit mit den Grünen als klarer Wahlverlierer hervor, sieht darin aber keinen Grund, sich in die Opposition zu begeben. Die Landespartei will vielmehr, gewiß mit Zuspruch der Bundespartei, die grün-schwarze Koalition unter allen Umständen fortsetzen und ist deswegen bereit, für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen noch mehr Ziele und Maßnahmen der Grünen auf den Feldern der Klima- und Energiepolitik sowie der Migrationspolitikpolitik zu übernehmen.

Die Wähler werden so in den kommenden Jahren zusehends mit einer schwarz lackierten, dritten grünen Partei konfrontiert sein, nachdem die SPD sich schon länger nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch bundesweit in eine zweite, rot lackierte grüne Partei verwandelt hat. Auf ihrem Weg dorthin ist die SPD bei Wahlen in Baden-Württemberg von einst 25 Prozent (2006) auf inzwischen 11 Prozent (2021) und im Bund von 34 Prozent (2005) auf 20 Prozent (2017) zusammengeschrumpft, da ein Großteil ihrer früheren Stammwähler diesen Weg nicht mitgehen wollen und die meisten grün-affinen Wähler lieber das Original als die rot lackierte Kopie wählen. Ob Olaf Scholz vor diesem Hintergrund und angesichts der Umfragewerte seiner Partei tatsächlich daran glaubt, noch einmal das Kanzleramt für die SPD erobern zu können, weiß vermutlich nur er selbst.

Eine ähnliche Entwicklung werden wohl auch die beiden Unionsparteien nehmen, sollten sie weiterhin dem grünen Zeitgeist nicht nur in Fragen der Umwelt-, Klima-, Energie- und Verkehrspolitik, sondern auch in Fragen der Migrations- und Identitätspolitik weiter nachlaufen, statt ihn mit eigenen politischen Vorstellungen und Konzepten zu bekämpfen. Nach rund zwei Dekaden Parteiführung und sechzehn Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel ist nicht nur die CDU, sondern auch die CSU programmatisch so weit entkernt, dass ihren Parteiführungen nichts anderes mehr einfällt, als sich einer ideologischen Strömung anzupassen, die sich in Deutschland aktuell politisch im Aufwind befindet. Wenn es im Sommer nicht wieder sehr heiß werden solte und die Corona-Zahlen erneut sinken sollten, könnte es sein, dass sich die Union auf diese Weise, egal mit welchem Kanzlerkandidaten, mit Hilfe der Grünen noch einmal ins Kanzleramt rettet. Anders als in Baden-Württemberg wird dann allerdings nicht der Wahlsieger, sondern wohl eher der grüne Junior-Partner diktieren, wohin die politische Reise in den nächsten Jahren geht.
Das Ganze gleicht inzwischen zunehmend einem Selbstmord auf Raten, dem nicht nur die SPD, sondern auch die Union verfallen ist. Beide Volksparteien erinnern so an das Verhalten von Lemmingen, wie es Walt Disney in einer Tierdokumentation der 1950er Jahre beschrieben hat (fälschlicherweise, wie man inzwischen weiß).

Deutschland steuert so auf eine nicht nur ideologische, sondern auch politische Hegemonie eines grünen Zeitgeistes zu, der zusehends illiberale, streckenweise schon autoritäre Züge annimmt. Es wäre nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass eine ehemalige, an die Macht gelangte, gesellschaftliche Protestbewegung ein autoritäres oder gar totalitäres Herrschaftssystem errichtet. Wenn dies in Deutschland einst im Namen der Herstellung einer harmonischen Volksgemeinschaft oder der Abschaffung jeglicher Ausbeutung geschah, dann wird es künftig wohl eher im Namen des Klimaschutzes, der Diversität und Gleichstellung geschehen.
Der während des Dritten Reiches ins amerikanische Exil geflohene Spiritus rector der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno, äußerte nach seiner Rückkehr nach Deutschland die Befürchtung, der von ihm analysierte „autoritäre Charakter“ werde, sollte er wieder an die Macht streben, dies in der Maske des Demokraten tun.

Inzwischen gibt es in Deutschland vermehrt Anzeichen, dass sich ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod seine Befürchtung paradoxerweise durch den politischen Durchbruch einer ehemals anti-autoritären Protestbewegung bewahrheiten könnte, deren Ideologie von ihm einst maßgeblich mitgeprägt worden ist. Die Geschichte lehrt allerdings auch, dass sich gegen solche neo-autoritären Entwicklungen wieder neue Protestbewegungen formieren, die die Freiheiten einer „offenen Gesellschaft“ gegen deren Feinde verteidigen.

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