Tichys Einblick
Plädoyer für politikfreie Zonen

Die Terrorisierung des Privaten durch das Politische

Komiker nutzen ihre Sendezeit als Propagandisten. Großväter wählen die falsche Partei und dürfen danach ihre Enkel nicht mehr sehen. Wir brauchen persönliche Rückzugsräume, in denen es nicht um Weltanschauungen geht.

Screenprint: RTL/"Endlich!"

„Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, ist einer überflüssig.“ (wird Winston Churchill zugeschrieben) – Sie dachten, das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland sei eine große Maschine zur Volksumerziehung? Dann haben Sie neulich RTL verpasst. Da präsentierte am späten Freitagabend der Humormediziner Dr. Eckart von Hirschhausen sein Soloprogramm „Endlich!“: Comedy zu Gesundheitsthemen. Der Mann macht bisher eigentlich Witze der intelligenteren Art. Bisher vermied er angenehmerweise auch jene Tendenz zur vorschlaghammerartigen Gesinnungsbelehrung, die das politische Kabarett in Deutschland inzwischen so ungenießbar macht.

Bisher.

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Diesmal wechselt Dr. von Hirschhausen nach etwa 45 Minuten vom hintersinnig-witzigen Plauderton in einen ganz anderen, bis dato bei ihm unbekannten Modus. Nach einer Dreiviertelstunde tatsächlich unterhaltsam-lustigen Bühnenprogramms setzt er plötzlich eine todernste Miene auf und sagt:

„Die nächsten sieben oder zehn Jahre entscheiden darüber, ob die Welt 2052 überhaupt noch bewohnbar bleibt.“

Es folgt eine halbe Stunde, man kann es nicht anders sagen, Propaganda für „Fridays for Future“ – unter Verwendung aller doch recht unangenehmen Instrumente, mit denen bei uns Klimapropaganda eben gemacht wird: Vereinnahmung „der“ Wissenschaft, Postulierung „der“ Wahrheit, Herabsetzung „der“ Zweifler, Ankündigung „der“ Apokalypse.

Wer es sich nach einer langen Arbeitswoche am späten Freitagabend zuhause auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, um einfach nett unterhalten zu werden, sich zu entspannen und harmlos zu lachen, wird dann bei Dr. von Hirschhausen im wahrsten Sinne des Wortes eines Besseren (oder auch Schlechteren) belehrt.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Selbstverständlich darf der Mann sagen, was er will. Ich persönlich finde sowieso, dass wir viel zu viele Meinungsäußerungen unterdrücken, stigmatisieren oder auch gleich ganz verbieten. Und wenn RTL ihn unter falscher Flagge segeln lässt und seine als Humorprogramm verkleidete Werbung für parteinahes Schulschwänzen sendet, dann könnte das vielleicht eine pflichtbewusste Landesmedienanstalt als Aufsichtsinstanz aufregen, aber nicht mich. Niemand wird gezwungen, RTL zu schauen – und anders als für ARD und ZDF muss auch niemand für RTL zwangsweise bezahlen.

Bemerkenswert – wahlweise auch bedenklich – ist das Ganze trotzdem. Denn es bildet den vielleicht unangenehmsten aktuellen Trend des gesellschaftlichen Diskurses in Deutschland ab: die Terrorisierung des Privaten durch das Politische.

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„Das Private ist politisch.“ Der Ruf der Frauenbewegung aus den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts machte schnell Karriere als allgemeine Parole der gesamten politischen Linken. Das Konzept, das dahinter stand, kann man vielleicht am besten als alltäglichen Häuserkampf umschreiben: als Guerilla-Taktik, die dem Feind – hier: dem bürgerlichen Menschen – keinen Rückzugsraum lässt. Der Bürger und das Bürgerliche werden immer und überall bekämpft, auch und gerade in ihrem persönlichsten Umfeld, in ihrer Privatsphäre.

Die Trennung von Person und Meinung (wahlweise Weltanschauung, Glauben, Überzeugung, …) wird aufgehoben. Der ganze Mensch ist entweder nur Verbündeter oder nur Feind.

Das Problem mit diesem Ansatz ist recht offensichtlich. Übereinstimmende Meinung wird durch diese dauernde Gesinnungsprüfung zur Grundlage von persönlichen Beziehungen, die aber ja eigentlich von ganz anderen, nämlich charakterlichen Werten getragen werden: Zuneigung, Loyalität, Nachsicht, Hilfsbereitschaft – um nur die wichtigsten zu nennen. Eine gleiche politische Ansicht dagegen ist das denkbar brüchigste Fundament für eine tragfähige Freundschaft, denn Ansichten (anders als der Charakter) können sich dank neuer Informationen schnell ändern.

Die Lösung, die der moderne deutsche Tugend-Taliban für dieses objektive Problem gefunden hat, ist so verblüffend wie verstörend: Bei nicht mehr genehmer Gesinnung werden alle betroffenen Menschen kurzerhand aus dem eigenen persönlichen Umfeld entfernt. Bei Facebook und Twitter geht das per Blockieren recht einfach. Einige weiten die gesinnungsethnischen Säuberungen sogar auf Familienangehörige ersten Grades aus:

Den Preis als Sohn des Jahres gewinnt man so zwar nicht, dafür aber viele Likes von anderen Gesinnungsterroristen. Wenn das Private politisch wird, gibt es kein Erbarmen mehr.

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Die Methode der allumfassenden und gnadenlosen Indoktrinierung macht weder vor Familien noch vor dem RTL-Unterhaltungsprogramm halt. Selbst das könnte man noch ertragen, wenn es nur nicht so verdammt einseitig wäre.

Ist es aber.

Und wohlgemerkt: Wir reden hier ja gar nicht von den Nachrichten, sondern vom sogenannten fiktionalen Programm. Auch da gibt es aber keinen „Tatort“ über Gruppenvergewaltigungen durch Flüchtlinge. Menschen mit Migrationshintergrund kommen bei „Soko Leipzig“ nicht ansatzweise entsprechend ihrer tatsächlichen Kriminalitätsneigung im richtigen Leben vor. Egoistische oder gar korrupte Umweltschützer gibt es in der „Lindenstraße“ nicht, ebenso wenig wie auch nur einen einzigen persönlich angenehmen bekennenden AfD-Wähler oder einen sympathischen Merkel-Gegner bei „Sturm der Liebe“.

Nicht nur das Private, auch die Telenovela ist politisch.

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Die Freimaurer reden bei ihren Treffen über drei Themengebiete nicht: Parteipolitik, Geldgeschäfte, Frauen.

Aus der Erfahrung von mehreren Jahrhunderten wissen sie, dass diese drei Bereiche auch zwischen Menschen zu Streit führen, die sich ansonsten prima verstehen – und dass diese Bereiche für ein auskömmliches Verhältnis zwischen erwachsenen Menschen auch nicht entscheidend sind.

Von dieser Weisheit der Freimaurer ist unser Land weit entfernt. Das ist schrecklich. Denn der Verlust eines ausdrücklich meinungsneutralen, apolitischen, privaten Raums, in dem andere Werte als Meinungen oder parteipolitische Präferenzen entscheiden:

Das ist, im Wortsinn, politischer Totalitarismus.

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