Tichys Einblick
Neuvorlage Sekundärmigration

Die Frage der Sekundärmigranten aus Griechenland entzweit die Bundesregierung

In der frisch geschlossenen Ampelkoalition stellt sich die Frage nach der deutschen Verantwortung für die Migrationsbewegungen in einem weitaus größeren Rahmen, als weithin bedacht wird.

IMAGO / photothek

Der Streit um rund 30.000 Sekundärmigranten, die in Deutschland erneut Asylanträge gestellt haben, nachdem sie bereits in Griechenland einen Aufenthaltsstatus ergattert haben, bleibt auch unter der neuen Bundesregierung erhalten. Das hat auch Vorteile. So werden zumindest die Linien klar, an denen die Debatte tatsächlich geführt wird. Mit den Grünen und der FDP sind in dieser Frage Antipoden in der Regierung vertreten. Für die Grünen-Fraktion fordert die Sprecherin für Flüchtlingsfragen Luise Amtsberg die „kurzfristige“ Anerkennung der „Schutzsuchenden“, soweit sie vor einem Stichtag eingereist sind, der für die Grünen vermutlich nur in der nahen Zukunft liegen kann.

Für die FDP hat die ehemalige Generalsekretärin und jetzige Migrationssprecherin Linda Teuteberg gefordert, den Druck auf Griechenland zu erhöhen. Dazu will sie auch die visumsfreie Einreise von anerkannten Flüchtlingen aus Griechenland aussetzen. Andernfalls, so Teuteberg, kämen „alle in Griechenland anerkannten Flüchtlinge früher oder später nach Deutschland“.

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Das mag nun eine richtige Erkenntnis sein. Aber wie verträgt sich Teutebergs Forderung eigentlich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Münster, dass Migranten in Griechenland unzumutbare Not leiden? Darf man den „Flüchtlingen“ also doch den Ausweg ins beste Sozialsystem der EU verwehren? Teuteberg sollte sich auch einmal mit dem Münsteraner Gericht und den Gerichten in Straßburg und Luxemburg kurzschalten, um diese Fragen ein für alle Mal zu klären. Vielleicht könnte auch Justizminister Buschmann da eine Task Force einsetzen und Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung erkunden.
Griechenland lehnte die Seehofer-Offerte zu Recht ab

Horst Seehofer hatte versucht, die Athener Regierung mit Geldgeschenken und Unterstützungsversprechen davon zu überzeugen, die in Griechenland anerkannten Flüchtlinge auf Staatskosten unterzubringen. Diese freundliche Nötigung zum Hyper-Sozialstaat akzeptierten die Griechen, wie inzwischen deutlich wurde, nicht. Diese Entscheidung ist konsistent, denn Zuwanderer können nicht mehr in einem Land erwarten, als den einheimischen Bürgern zugestanden wird. Griechenland besitzt keinen nennenswerten Sozialstaat. Hätte Griechenland Seehofers Offerte angenommen, dann hätte das nur zu weiteren Kapiteln in zwei Büchern geführt: zum einen dem Band „Jeder ist willkommen. Wie die EU sich illegalen Migranten und ihren kriminellen Schleppern an den Hals wirft“, und zum anderen in der Monographie „Die EU als deutsches Protektorat“.

Beide Werke sind äußerst kostspielig für Deutschland, ebenso auf der materiellen wie auf der immateriellen Ebene. Und doch besteht anscheinend kein ernsthaftes Interesse daran, die Buchdeckel – und die deutschen Grenzen – zu schließen. Im Gegenteil. Nur der Bundeskanzler zeigt neuerdings erste Anzeichen von Rationalität, wenn er die EU-Außengrenzen „unverletzlich“ nennt und die Polen seiner Solidarität versichert. Gleiches muss für Griechenland gelten, das in der Ägäis gegen kriminelle Schleuser kämpft, die sowohl innerhalb der EU als auch in der Türkei agieren.

Nur wenn Griechenland entschieden darin unterstützt wird, seine Außengrenzen zu schützen, also beispielsweise die EU-Verordnungen zum Schutz der Seegrenzen anzuwenden, die auch die Kritik an Zurückweisungen gegenstandslos macht, kann ein weiteres Anschwellen der Sekundärmigration nach Deutschland vermieden werden. Auch Kritik am griechischen Asylsystem, wie sie nun wieder in sogenannten ,Qualitätsmedien‘ wie der Tagesschau laut wird, schadet letztlich dem Grenzschutz und der Konzentration auf ordentliche Verfahren.

SPD-Experte Castellucci: Schein-Flüchtlinge verstopfen das System

Kurz vor der Bundestagswahl hatte Innenminister Horst Seehofer einen letzten Versuch angekündigt. Er wollte den Griechen anscheinend noch eine Chance geben, den merkwürdigen Vertrag über deutschen Unterhalt für anerkannte Migranten in Griechenland zu unterschreiben. Andernfalls drohe die Rückführung der im deutschen Asylsystem Gestrandeten nach Griechenland. Geschehen ist natürlich nichts. Auch von der neuen Innenministerin sind wohl keine ähnlichen Taten zu erwarten. Der Innenexperte der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, meint, dass niemand einen Asylantrag in Deutschland stellen dürfe, der schon in einem anderen EU-Land Asyl erhalten hat: „Das verstopft nur das System für Menschen in akuter Not.“

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Das wären ja immerhin schon einmal ein paar richtige Erkenntnisse zum deutschen Asylsystem und überhaupt. Nur müssten sie zu Ende gedacht werden: Wenn die erfolgreichen Asylbewerber aus Griechenland kein Asyl in Deutschland stellen dürfen, was sind sie dann in diesem Land? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Menschen mit Anspruch auf Sozialleistungen und eventuell Arbeitserlaubnis, die in gewohnter Art und Weise den hiesigen Markt bereichern. Oder Abzuschiebende Wirtschaftsflüchtlinge. Viel ist nicht dazwischen. Aus der festgestellten Alternative ergibt sich, dass auch die SPD-Innenministerin nicht viel anders wird handeln können, als es ihr die grüne Flüchtlingsexpertin zuruft: Amnestieren und dauerhaft aufnehmen scheint der einzige mögliche Kurs für diese Regierung zu sein.

Daneben wäre allerdings ein Nachdenken über die tieferen Gründe angeraten, die Menschen tausende Kilometer reisen lassen, um in das deutsche System zu gelangen. Das wäre der Part der FDP, aber auch verantwortungsvoller Migrationsexperten in allen Parteien des Parlaments.

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