Tichys Einblick
Ökowohlfühlwohlstandsbürgertum

Die Evangelische Akademie zu Berlin betreibt politischen Exorzismus

Kirchenfunktionäre wittern überall dort Hass, wo sie die Wirklichkeit nicht mehr verstehen, und suchen deshalb Zuflucht im Aberglauben.

© Sean Gallup/Getty Images

In die heile rot-grüne Welt des Apparats der EKD ist die Wirklichkeit eingebrochen. Unter rot-grün wird weder ein klassisch linkes oder sozialdemokratisches Denken verstanden, sondern eine Ideologie, deren Ziel darin besteht, Politik für Minderheiten auf Kosten der Mehrheit zu machen und deren Subjekt das »Ökowohlfühlwohlstandsbürgertum« (Sarah Wagenknecht) ist.

Dieser Eindringling, der den Funktionären als Ruhestörer, als „Rechter“ gilt und vor allem als „hochaggressiv“ wahrgenommen wird, so aggressiv eben Wirklichkeit ausschaut, wenn man im Wolkenkuckucksheim des Hypermoralismus lebt, soll nun mit allen Mitteln vertrieben werden. Die Ideologie des Wohlfühlprotestantismus kennt die Toleranz nicht, sie will ausgrenzen, sie will theologisch den Feind definieren und erbarmungslos bekämpfen. Der Kulturbeauftragte der EKD schreibt über der Feind:

„Er darf keinen noch so kleinen Anteil an der Macht erhalten, sein Sieg ist unter allen Umständen zu verhindern, Kompromisse sind mit ihm nicht erlaubt. Es darf kein Appeasement geben.“

Mit anderen Worten, Gefangene werden nicht gemacht, es gilt das ideologische Standrecht. Der Sprachduktus erinnert an den Patriarchen in Lessings „Nathan der Weise“. Die Frage, wer der Feind ist, beantwortet sich von selbst: niemand anderer als die Wirklichkeit. Dass sich der evangelische Pfarrer bedroht und mit Feindseligkeit, also mit Wirklichkeit konfrontiert findet, belegt, dass er in einem Streitgespräch mit mir Carl Schmidt zitiert, von dem er zwar nicht allzu viel hält, der aber Pate bei seiner Bemühung, Feinde zu klassifizieren, stand: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ (nur in der weiter unten unter „Die Gesprächspartner“ gestellten Langfassung nachzuhören.)

Entweder – oder!?
Die Welt in schlechte und gute „Narrative“ unterteilt
Es scheint einigen Funktionären der EKD also nicht um die Entwicklung der Kirche oder der Gesellschaft, sondern ausschließlich um sich, um die eigene Stellung, das Selbstverständnis zu gehen. Jede Kritik am Apparat wird als Angriff auf die Kirche verstanden, jede Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Entwicklung als Feindseligkeit oder Feindschaft aufgefasst, weil es autistisch und solipsistisch um die „eigene Frage“ geht. Dabei wäre es so einfach, wenn es denn einfach zuginge auf der Welt. Mit Hölderlin möchte man ihnen zurufen: Komm, ins Offene, Freund. Stattdessen leben sie in der bleiernen Zeit ihrer Idiosynkrasie.

Wo käme man schließlich hin, wenn die Realität die schönsten Luftgebilde zum Platzen brächte, all jene ideologischen Träumereien, die man seit Jahr und Tag verkündet. Dass, was real in diesem Land geschieht und was man gewöhnlich Wirklichkeit oder Lebensrealität nennt, muss deshalb anathematisiert, also verketzert und gebannt werden. Nie war ihnen Luther ferner als heute.

Die neue Blasphemie heißt übrigens „Rechts“, die neue Ketzerei besteht darin, zu sagen, was ist.

Evangelischer Exorzismus

In dieser Not greift nun die Evangelische Akademie zu Berlin zum letzten, schon lange nicht mehr genutzten Mittel, dem Mittel des Exorzismus in der Hoffnung, die Wirklichkeit austreiben zu können.

Als Ende des vorigen Jahres zwei evangelische Bischöfe „hasserfüllte E-Mails“ erhielten, trat nun der wackere Theologe Timo Versemann an die beiden Bischöfe heran, um für sie den Kampf mit Feuer und Schwert gegen den bösen Versucher zu führen, so jedenfalls beschreibt er den Anfang seines Projekts. Wie „hasserfüllt“ diese e-mails tatsächlich waren, ob sie bei Lichte besehen nicht lediglich in einer konkreten und direktvorgetragenen Kritik bestanden, bleibt dahin gestellt. Denn der Apparat der evangelischen Kirche, so meine Erfahrung, reagiert dünnhäutig und in einer Mischung aus Ignoranz und Arroganz auf Kritik. Das ins Werk gesetzte Exorzismus-Projekt erhielt sinnfällig den Titel „NetzTeufel“.

Ein angenehmer Nebeneffekt für den tapferen Theologen besteht darin, dass ein lukrativer Job für ihn heraussprang. Die Evangelische Akademie steckte 20 000 Euro (laut idea-Anfrage) in das Projekt und das Programm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ spendierte für den hübschen Exorzismus 45 616,10 Euro. Übrigens entzog dieses Programm des Bundesfamilienministeriums der Förderung von Familien, der Hilfe für Alleinerziehende und dem Kampf gegen Kinderarmut generös 104,5 Millionen Euro, um 104 470.939,60 Euro davon für den Kampf gegen Rechts einzusetzen. Von den umgewidmeten Geldern lebt auch der selbsternannte Exorzist. Aus der Kirchengeschichte ist hinlänglich bekannt, dass Inquisitoren immer schon mit einer großzügigen Vergütung rechnen durften.

Evangelischer „NetzTeufel“

Versemann rühmt sich, dass er „toxische Narrative“ vom Oktober 2017 bis zum 16. Mai 2018 im Internet analysiert habe, um gegen „hateSpeech im Namen des christlichen Glaubens im Internet“ vorzugehen. Ob er dabei allzu fleißig vorgegangen ist, bleibt dahingestellt, denn der Exorzist hat Beiträge und Kommentare auf sage und schreibe 3 in Worten drei Facebook-Seiten sich „angeschaut“. Anschauen bedeutet nicht analysieren und wo Versemann von Analyse spricht, verbreitet er m.E. fake news. Zumindest entfällt angesichts dieser schmalen Materialbasis die Kategorie der Wissenschaftlichkeit. Ergo geht es dem Teufelsaustreiber nicht um die Summe der Urteile, sondern um die Bestätigung seiner Vorurteile. Denn die drei Facebook-Seiten, die sich der Aufmerksamkeit des Inquisitors rühmen dürfen, sind die der evangelischen Nachrichtagentur idea, des katholischen Onlinemagazins kath.net und die der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“. Alle drei Zielobjekte, wie es bei der Stasi gehießen hätte, werfen ein bezeichnendes Licht auf Versemanns Intention, denn es wird gegen eine Partei, die noch dazu die größte Oppositionsfraktion im deutschen Bundestag darstellt, gegen evangelische Christen, die mit ihren Glaubensvorstellungen sehr wohl zum reichen Spektrum des protestantischen Glaubens gehören, ob es allen Funktionären der EKD nun passt oder nicht, und gegen ein katholisches Internetportal ermittelt.

Ist man sich in der Evangelischen Akademie eigentlich bewusst, dass man mit diesem Projekt den Bereich der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, des Glaubens und der Toleranz verlässt, um sich zum Gehilfen in einem parteipolitischen Kampf zu machen? Versteht Timo Versemann, dass er derjenige ist, der in Wahrheit hasst, der intolerant und menschenverachtend vorgeht, indem er wie seinerzeit der Hauptpastor Goetze gegen alles kämpft, was nicht seiner Auffassung entspricht und jeden, der nicht seiner Meinung ist, moralisch exekutiert? Versemann, der „toxische Narrative“ herausgefunden haben will, vergiftet den gesellschaftlichen und auch den innerkirchlichen Diskurs, indem er Christen dafür abqualifiziert, was er bei ihnen gefunden zu haben meint. Seine Argumentation wirkt allerdings so subtil wie die des Hexenhammers von Sprenger und Institoris. Seine Grundlage ist genauso fragwürdig, wie obskurant. So wie der Hexenhammer von der realen Existenz von Hexen ausging, glaubt Versemann, dass „toxische Narrative“ existieren.

Vorwärts nimmer, abwärts immer
Die Selbstabdankung der Union – Laschet will Islam als Staatskirche
Das ist erzähltheoretisch grober Unfug. Unter einem Narrativ wird allgemein eine Erzählung, in sozialwissenschaftlicher Perspektive eine sinnstiftende Erzählung für eine Gruppe von Menschen die Sinnstiftung, Zusammenhalt und Orientierung liefert, verstanden. Wer von toxischen Narrativen spricht, meint Erzählungen, die nicht den Sinn vermitteln, den man selbst gern propagiert hätte, übersieht aber die ganze Tiefe, die ein Narrativ in der Gesellschaft besitzt. Man fällt selbst auf die plattesten Verschwörungstheorien herein, wenn man meint, dass Narrative einfach gemacht werden können, quasi als eine Verdichtung von fake news. Hier verwechselt der tapfere Kämpfer im Eifer des Gefechts das Narrativ mit der Propagandalüge oder mit einer bestimmten Weise, die Welt zu sehen und aktuelle Vorgänge zu bewerten. Inhalt, Begrifflichkeit und auch äußere Form der Internetpräsentation von NetzTeufel erwecken in ihrem verzweifelten Drang nach Modernität und Jugendlichkeit Mitleid, sind ästhetisch misslungen wie geistig banal, denn jede Begrifflichkeit wurde ausgehöhlt. Begriffe wie Narrativ werden zu Etiketten.

Um es kurz zu sagen, die in „einfacher Sprache“ vorgebrachten Narrative haben so viel mit der aktuellen Diskussion geneinsam wie der Kaffeesatz, aus dem sie gelesen worden sind, mit dem Satz des Pythagoras.

Evangelisches Narrativ

Machen wir es an einem Beispiel fest: Versemann definiert als ein toxisches Narrativ: „Die Erzählung einer gezielten Islamisierung setzt Muslim*e mit Terrorist*innen gleich.“ Sicher gibt es Menschen, die der Ansicht sind, dass in Deutschland eine „gezielte Islamisierung“ stattfindet, doch ist das längst keine sinnstiftende Erzählung für eine größere Gruppe von Menschen, sondern eher eine verschwörungstheoretische Vorstellung, wie es viele gibt. Wenn alle verschwörungstheoretischen Ideen Narrative wären, befänden wir uns in einer Nervenheilanstalt namens Deutschland. Wie bei den anderen vier „toxischen Narrativen“ setzt Versemann einfach ein sogenanntes Narrativ, ohne es zu begründen, ohne es zu definieren, ohne es darzustellen. Das „Narrativ“ der gezielten Islamisierung besteht darin, dass Muslime Terroristen seien. Das ist so kohärent wie ein aufgeplatztes Sofakissen, denn die Vorstellung einer „gezielten Islamisierung“ hat mit muslimischen Terror erst mal nichts zu tun, denn die Vorstellung eine gezielten Islamisierung würde doch besagen, dass Deutschland von Muslimen unterwandert wird, die an die Schalthebeln der Macht zu gelangen suchen und via Geburten auch bald die Mehrheit in Deutschland bilden. Im „Narrativ“ der gezielten Islamisierung würde muslimischer Terror geradezu als Störfall wirken. Versemann müsste, wenn dieses Narrativ existierte, definieren, wer das Ziel der Islamisierung im Narrativ verfolgt, wer es in Umlauf bringt, bei welchen größeren Bevölkerungsgruppen es wirkt, ob und wenn ja wo es sein Sitz im Alltag hat, er müsste das Narrativ beschreiben und analysieren. Stattdessen behauptet er Äpfel sind Elefanten.

Nachdem der tapfere Exorzist den Teufel erkannt hat, will er ihn im zweiten Teil austreiben, denn jetzt fragt der Netzteufel von einer Scharfsinnigkeit, die niemanden außer ihn selbst überzeugt: „Wie können Menschen, die gerade vor der Gewalt des selbsternannten „Islamischen Staates“ fliehen, zu dessen Unterstützer*innen erklärt werden?“ Einwanderer fliehen nicht vor etwas, sondern wandern ein.

Das gibt sich selbst dem Spott preis: In Versemanns wunderlicher Welt scheint Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, ein verkleideter AfD-Mann und die Terroristen, die die Journalisten von Charly Hebdo oder die Konzertbesucher vom Bataclan in Paris massakrierten, maskierte Männer des Front National gewesen zu sein.

Instrumentalisierung
Erdogan ruft in Sarajevo zur Eroberung der deutschen Parlamente auf
An dieser Stelle entlarvt sich die ganze Weltfremdheit des Exorzisten, denn niemand kann mehr leugnen, dass die Sicherheitsbehörden nicht wissen, wer wirklich ins Land gekommen ist, da laut Anweisung von Thomas de Maiziere Kontrollen nicht stattfinden dürfen. Im Übrigen hat das Argument, dass Menschen, die vor der Gewalt des „Islamischen Staates“ fliehen, keine Terroristen oder Unterstützer von Terroristen sein können, u.a. Heiko Maas 2015 benutzt, nur würde Heiko Maas es heute nicht mehr verwenden, weil es längst von der Wirklichkeit widerlegt ist. Und diese Blöße gibt sich nicht einmal Heiko Maas.

All das lohnt der Rede nicht, würden für diesen obskuren Unfug nicht Steuer- und Kirchensteuergelder verschwendet werden. Grundsätzlich ist zu fragen, in welchen vormodernen, düsteren Aberglauben und in welche Atavismen die Evangelische Akademie zu Berlin inzwischen abgedriftet ist? Wie konnte es geschehen, dass in ihren Mauern unter dem Namen Arbeitsbereich für Demokratiekultur eine hochbudgetierte Hauptabteilung Agitation und Propaganda entstanden ist, ein Heilige Inquisition und ein Index verbotener Narrative?

Die Evangelische Akademie hat sowohl den Begriff Evangelisch als auch den Begriff Akademie verwirkt. Sie ist ein Ärgernis und wirkt schädlich für die Debattenkultur innerhalb der Kirche. Sie gehört daher an Haupt und Gliedern reformiert, wozu auch gehört, dass die Verantwortlichen den Weg für eine Reform, die auch personelle Konsequenzen einschließt, freimachen – der Arbeitsbereich für Demokratiekultur muss aufgelöst werden. Freiwerdende Budgets sind besser für die Gemeindearbeit zu verwenden, und die Mittel des Bundesfamilienministeriums für Familien, für Alleinerziehende, für Kinder in Armut einzusetzen.


Zur Streitschrift fand im rbb ein Streitgespräch zwischen dem Autor Dr. Klaus-Rüdiger Mai und dem Kulturbeauftragten der EKD Dr. Johann Hinrich Claussen statt. Es empfiehlt sich aber, nicht die Sendefassung von 15 min, sondern die Langfassung anzuhören, weil die Kurzfassung das Streitgespräch nicht korrekt abbildet.