Tichys Einblick
Die Deutschen und der Ukrainekrieg

Die Deutschen sollen frieren – längst nicht nur für den Sieg der Ukraine

Große Teile der Politik und der Medien nehmen den Kampf der Ukrainer für Freiheit und Selbstbestimmung als Vorwand, um von dem grundsätzlichen Versagen ihrer Politik und ihrer Propaganda in den letzten 16 Jahren abzulenken.

Es ist verständlich, dennoch heuchlerisch, wenn große Teile der Politik und der Medien den Kampf der Ukrainer für Freiheit und Selbstbestimmung schamlos benutzen, um von dem grundsätzlichen Versagen ihrer Politik und ihrer Propaganda in den letzten 16 Jahren abzulenken, und Trugbilder – teils mythisch überhöht, weil ihnen die Wirklichkeit fehlt – errichten. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die härteste Aufbauarbeit für einige im Errichten Potemkinscher Dörfer besteht. Die galoppierende Inflation hat mit dem Krieg in der Ukraine noch nichts zu tun, in die explodierenden Energiepreise ist, wie es zynisch heißt, der Krieg noch nicht eingepreist.

Die Eindämmung der Inflation dürfte nicht eingeplant sein. Sie ist das größte Umverteilungsprogramm der Eliten zugunsten der Bürokratie und der Finanzoligarchie. Dass die Aussicht auf Verknappung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, von Dünger, und der Verlust von Zulieferern beispielsweise aus Russland oder aus der Ukraine Spekulationen Auftrieb gibt, ist historisch keine Neuigkeit, jede Verknappung führt zur Spekulation. Die Produktion des Benzins, das jetzt auf den Markt kommt, basiert auf den Einkäufen zu Friedenszeiten, wird aber schon in der Erwartung der Verknappung, zumindest mit diesem Argument zu deutlich überhöhten Preisen verkauft. Ein toller Gewinn, der sich realisieren lässt.

Für eine Elite in Politik, Wirtschaft und Medien ist das eine erfreuliche Situation. Denn die benötigt viel Geld für die große Transformation, für die große Sozialalchemie, die sie den Bürgern zumutet, für eine Investition ins Nichts. Das vielgescholtene Ungarn hat übrigens eine Preisbremse für Energiepreise für private Haushalte gesetzlich festgeschrieben. Hier muss sich der Staat etwas einfallen lassen, nicht der Bürger – vor allem profitiert er nicht auch noch von der Not der Familien.

Die Ursachen für die katastrophale Situation liegen auf der Hand, sie liegen in der Energiewende, in der Aussetzung der Wehrpflicht, überhaupt der Verachtung der politischen Klasse für die Sicherheitsinteressen der Bürger, für die Landesverteidigung und die innere Sicherheit, den inquisitorischen und teils paranoiden Kampf gegen „rechts“, wobei als „rechts“ alles rechts vom Linksliberalismus gilt, die Masseneinwanderung in die Sozialsysteme, die Zerstörung von Bildung, Wissenschaft, Kunst, von Kultur insgesamt durch die Ideologien des Wokismus (Genderismus, Identitätspolitik, Postkolonialismus, Konstruktivismus und Dekonstruktivismus), die Finanzierung immer neuer NGOs zur ideologischen Kontrolle der Gesellschaft, in dem Wahn, nur noch im planetaren Maßstab zu agieren und dabei zu übersehen, dass sich niemand im planetarischen Maßstab um die Träume der deutschen Eliten schert, sondern vor unseren Augen eine neue Weltordnung entsteht, in der wir, setzt die Regierung weiter auf die Utopien ihrer Kanzlerin, die auch die ihren sind, den Stehplatz einnehmen dürfen, der uns entweder zugewiesen wird oder der freigeblieben ist, weil ihn niemand haben wollte. Angela Merkel war die perfekte Verkäuferin der weit über ihrem Verfallsdatum liegenden Utopien.

Man könnte hoffen, dass die Regierung durch den Realitätsschock lernt, die richtigen Entschlüsse trifft. Doch es sieht bis auf eine Ausnahme – und auch bei ihr ist es nicht sicher, ob sie gegen den verantwortungslosen Druck der Medien und einiger vom eigenen hohlen Pathos ergriffenen Politikern, Wissenschaftlern und Publizisten schließlich durchgehalten wird – nicht danach aus. Die Ausnahme besteht darin, in dieser durch die Schuld der deutschen Politik in den vergangenen 16 Jahren entstandenen Energieabhängigkeit von Russland nicht auf den sofortigen Totalboykott russischen Erdgases und Erdöls zu setzen, sondern klug, umsichtig und rational vorzugehen. Eine Volksweisheit besagt, man kann das schmutzige Wasser nicht ausgießen, bevor man neues Wasser hat.

Abgesehen davon deutet momentan alles darauf hin, dass die politische Klasse nur nach neuen Begründungen sucht, um die große Transformation unvermindert fortzusetzen. Weil sie über eine erdrückende Mehrheit williger Medien und aktivistischer Journalisten verfügt, versucht sie die von ihr verschuldete oder mitverschuldete Abhängigkeit zu verschleiern und stattdessen die Richtigkeit ihrer Ideologie zynisch mit dem Krieg zu belegen. Annalena Baerbock sieht die Zukunft in einer feministischen Außenpolitik. Feministische Außenpolitik, die Deutschland unter Merkel de facto auch vorher schon betrieb, hat weder den Krieg verhindert, noch hindert sie China am Aufstieg zur Weltmacht Nummer eins.

Feministische Außenpolitik scheitert deshalb und muss auch deshalb scheitern, weil der „Export der Revolution“ noch niemals gelungen ist und auch niemals gelingen wird. Außenpolitik führt zu desaströsen Folgen, wenn sie nicht von den Interessen des Staates, sondern von ideologischen Wünschen geleitet wird. Wer eine amerikanische Greenpeace-Aktivistin ins Außenministerium holt auf Kosten des deutschen Steuerzahlers, macht keine deutsche Außenpolitik, sondern Greenpeace-Politik in amerikanischer Sprache. Es lässt sich beim besten Willen kein Grund finden, weshalb eine amerikanische Greenpeace-Aktivistin Außenpolitik im Interesse der deutschen Bürger machen soll, im Gegenteil: Sie wird ihren Einfluss nutzen, um deutsche Außenpolitik im Gegensatz zu den Interessen der deutschen Bürger an den Interessen des amerikanischen Linksliberalismus in seiner militanten Ausprägung auszurichten.

Im Sinne der großen Transformation propagiert Robert Habeck die Vorstellung, Putin mit dem Zupflastern deutscher Landschaft mit Windrädern und der Vernichtung deutscher Wälder durch Windparks und Trassen zu besiegen. Man könnte die Strategie auch als „Siegen als Sieg über sich selbst“ benennen. Nicht Putin wird dadurch geschwächt, aber die deutsche Wirtschaft und der deutsche Wohlstand und mehr noch unsere Lebensgrundlagen werden dadurch zerstört. Doch wie sagte Habeck kürzlich: Es ist nur Geld. Eben, es ist nur Geld, es ist nur Wohlstand, es ist nur die Zukunft der Familien, der Kinder. Was zählt das, wenn es um den Quadratmeter Container unterm brummenden Windrad geht? Die, die daran verdienen, können sich von dem Geld den Platz an der Sonne weitab von Windrädern leisten. Sie hören dort nicht einmal ihren Lärm, nur das süße Rauschen der aus dem Füllhorn eines verarmenden Landes strömenden Subventionen. Es ist ja nur Geld, das umverteilt wird. Selten war eine Ideologie asozialer als die der großen Transformation.

Robert Habeck jubelt laut WELT, dass Deutschland in den ersten vier Wochen seit dem Beginn des russischen Angriffs weniger abhängig von russischen Energielieferungen ist. Die Quote für Öl liege nur noch bei 25 Prozent, statt vorher 35  Prozent, und für Erdgas bei 40 Prozent statt zuvor bei 50 Prozent. Man reibt sich die Augen und fragt sich, welches Wunder sich ereignet hat. Der Primaklimaminister jubelt natürlich, weil er den Bürgern etwas unterjubeln will, denn: Es handle sich bei der Reduktion der Importmengen „nur um Etappenziele“, sagte Habeck. Sie seien hauptsächlich erreicht worden, „weil Unternehmen ihre bestehenden Lieferverträge auslaufen ließen und nicht mehr verlängern“. Ein Konzern, der die Verträge zum Jahresende auslaufen lassen wird, ist der französische Konzern Total, der im mitteldeutschen Industriedreieck besonders aktiv ist und eine der fünf großen Raffinerien in der Bundesrepublik betreibt, nämlich Leuna. Auf dem Spiel stehen sowohl die Versorgung mit Kraftstoffen in Mitteldeutschland als auch Tausende von Arbeitsplätzen.

Im Klartext: Die Lieferungen an Erdgas und Erdöl wurden nicht durch andere ersetzt, sondern man hat lediglich die Verträge nicht verlängert, das heißt erstmal auf Lieferungen verzichtet, mit anderen Worten einen ungedeckten Scheck auf die Zukunft ausgestellt.

Und weil ungedeckte Schecks die Eigenschaft haben, oft im ungünstigsten Moment zu platzen, bauen Habecks Freunde in den Medien kampferprobt und zuverlässig schon einmal vor. Die Gunst der Stunde, das Mitgefühl der Deutschen mit den Ukrainern darf man nicht so einfach ungenutzt lassen, ohne das eigene Desaster zu kaschieren und dem neuen, mit Sicherheit folgenden Desaster vorzubauen. Schon propagiert der BR den Slogan eines besonders intelligenten Demonstranten, der lautete: „Lieber frieren und frei sein als von Putin verachtet“ – man kennt diese Parolen aus der deutschen Geschichte, wovon „Lieber rot als tot“ noch die harmloseste ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob Putin die frierenden Deutschen, das heftige Klappern der Zähne über dem Rollkragen nicht weit mehr verachten wird.

Es ist diese Lust am Untergang, die fanatische Liebe zum „Alles oder nichts“, vor der wir Deutschen uns am meisten hüten müssen, sie sind das Erbteil, an dem wir tragen. Es sagt alles über Habecks Einschätzung des eigenen Erfolgs aus, wenn er ins selbe Horn stößt: „Wenn man Putin ein bisschen schaden will, dann spart man Energie.“ Nach Habecks Logik wäre dann der letzte Mittwoch ein besonders schlimmer und schadensreicher Tag für Putin gewesen, denn an diesem Tag sah sich die deutsche Bahn gezwungen, Güterzüge wegen Unterversorgung stillzulegen. Sparte also ein bisschen Energie. Dass die Energie schlicht nicht vorhanden war und es eher ein unfreiwilliges Sparen war, ist nur ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Grund für die Ausfälle sind, schreibt Holger Douglas auf TE, teurer Strom aus Erdgaskraftwerken und der Wegfall des Kohlestroms.

Stimmt, laut WELT sagte Robert Habeck, dass man bei der Kohle „sehr gut vorangekommen“ sei und die Abhängigkeit bereits halbiert habe. Der Tagesspiegel versucht seine Auflage jetzt als Serviceblatt zu steigern, indem man schon mal „Energiespartipps für den Frieden“ erteilt. „Mit Pulli gegen Putin“ alliteriert der hauseigene Blättchendichter – bei manchem Pulli dürfte allerdings nicht nur Putin das Grausen kommen. Zumindest ist man sich in der Redaktion in einem sicher: „Weniger Heizen, mehr Frieden“, gar nicht heizen, dann also der totale Frieden? Oder wie man früher spottete, wer früher stirbt, ist länger tot?

Es sagt alles über Deutschlands Zustand aus, wenn Politiker und Medien wie weiland Tetzel inzwischen allerdings nicht durch die Lande, sondern durch die Kanäle und durch das Internet ziehen, um nach Opfern zu rufen und um Ablässe zu verkaufen. Ablässe für die Freiheit, die allerdings das Ablassen von der Freiheit bedeuten. Dass der Ablass ein einträgliches Geschäft war, findet selbstverständlich keine Erwähnung, ein Geschäft auf Kosten Dritter, ein Geschäft auf Kosten der Gläubigen. Doch eine immer wieder verifizierte historische Regel besagt, dass diejenigen, die nach Opfern rufen, nichts opfern. Insofern lautet Christian Lindners Satz: „Wir werden alle ärmer“ richtig und korrekt: „Ihr werdet alle ärmer.“

Im Jahre 1813 unterstützte Prinzessin Marianne von Preußen in einem Aufruf Rudolph Werkmeisters Appell: Gold gab ich für Eisen. In der Folgezeit wurde Eisenschmuck zur Mode in patriotischen Kreisen. Dieser Aufruf besaß noch eine gewisse Berichtigung, weil er Preußen im Krieg gegen die napoleonische Fremdherrschaft unterstützte und damit die Stein-Hardenbergschen Reformen, die Preußen einen enormen Modernisierungsschub ermöglichten, schützte.

Nachdem im Ersten Weltkrieg der Angriff der Deutschen an der Marne zum Erliegen kam, der Stellungskrieg zu ernsthaften wirtschaftlichen Verwerfungen führte, erinnerte man sich an den Aufruf und wiederholte ihn. Viele Deutsche fanden sich unter dem Aufruf „Gold gab ich für Eisen“ bereit, sich von ihrem Gold zu trennen, um der Devisenknappheit Deutschlands zu begegnen und dem Land im Krieg zu helfen, eine Investition, die viele wirtschaftlich ruinierte – auch aufgrund des Dilettantismus der deutschen Politik und der Obersten Heeresleitung. Die Reichsbank gab zwar im Tausch gegen Schmuck oder Gold Papiergeld aus, doch das verlor an Wert, bis die Reste in der Hyperinflation sich ins Nichts verflüchtigten.

Zuweilen gewinnt man den Eindruck, dass Olaf Scholz die Ministerposten als Qualifizierungsjobs ansieht, eine große Ferne zum Geschäftsbereich des Ministeriums scheint eine Bedingung für das Amt zu sein. Christine Lambrecht, die von Verteidigung weder etwas versteht noch verstehen will, wird Verteidigungsministerin, Robert Habeck Wirtschaftsminister, Christian Lindner Finanzminister und der Vegetarier Cem Özdemir Landwirtschaftsminister. Und da man dort Verzicht am leichtesten predigen kann, wo man vom Verzicht nicht betroffen ist, ruft der Vegetarier gleichmal zum Fleischverzicht auf: „Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin.“ Intellektuell hat das die Qualität von Neubauers „fossilen Krieg“. Doch da Ostern naht, droht Putin ohnehin ein besonders harter Schlag. Die Karwoche, in der gefastet wird, kommt. Karfreitag werden wir ganz sicher Putins Thron wanken sehen.

Hätte sich der Minister für Fleischverzicht einmal mit den Abteilungsleitern in seinem Ministerium unterhalten, hätte einer ihm bestimmt geraten, mit dem Wirtschaftsminister zu reden, denn die Sanktionen betreffen auch Kunstdünger, eben auch für Getreide bei gleichzeitigem Ausfall von Getreideimporten aus Russland und der Ukraine.

Es ist nur allzu offensichtlich, dass den Deutschen nun der Verzicht eingebläut werden soll, da der Verzicht auf Fleisch doch besser ist als die Ausgabe von Fleischmarken.