Tichys Einblick
Nachwuchsprobleme

Die Bundeswehr will EU-Bürger anwerben

Warum sollen junge Leute, die ein Leben lang von den Investitionen ihres Staates in sie zehren, nicht selbst ein Jahr in dieses Gemeinwesen investieren – qua allgemeine Dienstpflicht, für Männlein und Weiblein?

@ David Hecker / Getty Images

Die Bundeswehr pfeift aus den letzten Löchern. Nicht nur materiell: U-Boote tauchen nicht, Hubschrauber fliegen nicht, Panzer fahren nicht … Wir haben das hier bei TE immer wieder aufgegriffen wie hier und hier oder in diesem Beitrag hier.

Ein anderes Riesenproblem, das lange unter der Decke blieb, wird jetzt ebenfalls virulent und öffentlich: Der Bundeswehr fehlt es an Nachwuchs. Konkret heißt das: Die politische Zielvorgabe, die Personalstärke der Bundeswehr von derzeit 180.000 in den kommenden Jahren auf 198.000 zu erhöhen, ist wohl kaum realisierbar. Ob die Idee, jetzt EU-Ausländer für die Bundeswehr anzuwerben, der Weisheit letzter Schluss ist, darf bezweifelt werden.

Aber der Reihe nach. Für den Bewerbermangel gibt es Gründe, an denen anzusetzen bzw. über die zumindest nachzudenken wäre:

  • erstens die mangelnde Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber zumal in Zeiten der Vollbeschäftigung in weiten Teilen Deutschlands;
  • zweitens das Risiko, bei einem Dienst für Deutschland gegebenenfalls das eigene Leben aufs Spiel setzen zu müssen;
  • drittens dass Deutschland in Sachen Armee längst zu einem betont pazifistischen, postheroischen Land geworden ist.

Vor allem aber wirkt sich nun von Jahr zu Jahr intensiver eine politische Entscheidung des Jahres 2010 aus: das Aussetzen der Wehrpflicht durch das damalige CDU/CSU/FDP-Bundeskabinett. Nicht dass es rein zahlenmäßig keine jährlich 100.000 (im Jahr 2000) bzw. 37.000 (im Jahr 2009) Wehrpflichten mehr gibt, ist das Problem, sondern dass sich ein erheblicher Teil der Längerdienenden aus den Wehrpflichtigen rekrutierte. Das waren diejenigen, die sich den „Laden“ erst einmal als Wehrpflichtige anschauen wollten, ehe sie eine längere Bindung einzugehen bereit waren. Ein Viertel bis ein Drittel der Längerdienenden rekrutierte sich aus diesem potentiellen Personalreservoir. Die Einführung eines sieben bis 23 Monate währenden Freiwilligen Wehrdienstes (FWD) ab 2011 konnte den Rückgang der Aspirantenzahlen nicht kompensieren, zumal – je nach Jahr – ein Viertel bis ein Drittel ihren „FWD“ vorzeitig abbricht.

Wie war es überhaupt so weit gekommen? Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte 2010 eine Defizitanalyse zur Lage der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Eine Strukturkommission unter der Leitung des damaligen Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sollte Ideen entwickelt, wie die Bundeswehr künftige sicherheitspolitische Herausforderungen bewältigen könne. Im Juni 2010 schlug Guttenberg dem Bundeskabinett vor, die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu belassen. Das Bundeskabinett folgte diesem Vorschlag am 15. Dezember 2010. Ab dem 1. März 2011 sollte niemand mehr zwangsweise einberufen werden. Vonseiten der CDU und ihrer Kanzlerin gab es keinen Widerstand, und die FDP sah sich mit diesem Beschluss ohnehin am Ende eines lange von ihr gehegten Wunsches. Auch die CSU machte die Pläne ihres damaligen Stars bereitwillig mit.

Der CSU-Parteitag hatte der Aussetzung der Wehrpflicht am 20. Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ohne Gegenrede bei nur wenigen Gegenstimmen folgten die eintausend Delegierten „ihrem“ Verteidigungsminister. Dieser hatte das praktische Ende der Wehrpflicht unter anderem mit folgendem Satz begründet: „Es ist eine sicherheitspolitische wie eine patriotische Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben.“

So schnell können sich die Vorstellungen von Verantwortung wandeln. Nun aber hat das Bundesverteidigungsministerium eine „Trendwende Personal“ angesagt und jüngst verlautbaren lassen, dass man „alle möglichen Optionen“ durchprüfe. Immerhin! Daran gestrickt hat man schon lange, viel herausgekommen ist nicht dabei. Es gab teure Werbeaktionen. Es gab die Idee, verstärkt sogar Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss anzuwerben. Und das in einer Armee, die ab sofort auch hochtechnisierte Cyberkriege einzudämmen hat!

Ja, und dann eben die Idee, EU-Ausländer zu ködern. „Ködern“ ist das richtige Wort. Denn die Aspiranten aus anderen EU-Ländern sollen damit gelockt werden, dass sie dann den deutschen Pass bekommen. Ob man damit das besondere Treueverhältnis zwischen Staat und Soldat begründen kann? Ob es dann noch das Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ gibt? Ob die Bundeswehr da nicht auf den Weg zu einer – dort allerdings schlagkräftigen – Söldnertruppe à la Fremdenlegion einschwenkt? Ob der deutsche Pass nach dem Scheitern der qua Doppelpass hochgejubelten Integrationsvisionen nicht ein weiteres Mal verramscht wird? Oder steckt auch hier die naive „no-nations“-Vision dahinter?

Zustimmung zur Rekrutierung von EU-Ausländern in die Bundeswehr gibt es jedenfalls schon mal. SPD-MdB Karl-Heinz Brunner hält das Ganze für einen „interessanten Weg“. CSU-MdB Florian Hahn steht der Sache „offen“ gegenüber; er sieht sie als Teil der europäischen Freizügigkeit. So richtig taufrisch freilich ist die Idee nicht. Guttenberg hatte sie mit Blick auf EU-Ausländer bereits 2010 ventiliert und gemeint, man müsse Gesetze und Regelungen so ändern, „dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können.“ Und im „Weißbuch 2016“ der Bundesregierung (Untertitel: „Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“) hatte es auf Seite 120 unter „Personalstrategie“ geheißen: „Nicht zuletzt böte die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU nicht nur ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr, sondern wäre auch ein starkes Signal für eine europäische Perspektive.“ 2010, 2016 – da sieht man mal wieder, wie vergesslich Politik ist, oder aber auch, wie lange Politik Probleme vor sich herschiebt. Damals, 2016, übrigens wusste YouGov zu vermelden, dass 42 Prozent der 1.017 Befragten gegen eine Rekrutierung von EU-Bürgern in die Bundeswehr und 38 Prozent dafür waren, während 51 Prozent eine gemeinsame EU-Streitmacht befürworteten und 30 Prozent eine solche ablehnten.

Der Teufel steckt im Detail, hier in der praktischen Umsetzung bzw. in den realen Aussichten, junge EU-Bürger für einen Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen. Wenn man sich anschaut, dass es in den südeuropäischen EU-Ländern Quoten an arbeitslosen Jugendlichen von um die oder über 50 Prozent gibt; wenn man sich zugleich anschaut, dass es bislang nicht gelungen ist, mit diesen jungen Leuten den eklatanten Mangel an Bewerbern für eine berufliche Bildung in Deutschland zu gewinnen, dann sind Zweifel angebracht, ob der Bundeswehr solches gelingen kann.

An die wirksamste Maßnahme aber wagt wohl niemand zu denken: die Aktivierung der Wehrpflicht. Einen besonderen Charme hat diese Maßnahme wohl nicht. Keine Partei wird sich an diese Idee herantrauen, wiewohl es Gründe dafür gäbe, nicht nur das Rekrutierungsanliegen. Denn warum sollen junge Leute, die ein Leben lang von den Investitionen ihres Staates in sie zehren, nicht selbst ein Jahr in diesen Staat und in dieses Gemeinwesen investieren – qua allgemeine Dienstpflicht, für Männlein und Weiblein?


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