Tichys Einblick
Corona-Demo in Berlin aufgelöst

Die Bilder der Gewalt – so statuiert man ein Exempel

In Berlin wurde die Corona-Demo zwischen Reichstag und Brandenburger Tor gewaltsam über vier Stunden lang geräumt. Die neue Affinität der Oberpazifisten zur Staatsgewalt ist bemerkenswert.

imago Images/E. Contini

Es sind Szenen, die auch für Berlin ungewöhnlich sind. Nachdem die Demonstration am Brandenburger Tor um kurz vor 12 Uhr für illegal erklärt wurde, soll eine gewaltsame Räumung erfolgen. Demos werden hier regelmäßig „aufgelöst“, was dem Hergang der Demonstration in der Regel keinen Abbruch tut. Der Wasserwerfer mit dem Namen „Blu 2“ bringt sich nur wenige Meter vor dem Reichstagsgebäude in Stellung, mit nach vorne gerichteten, blau blinkenden Leuchten. Er verrichtet sein nasses Werk. Aber es geht nicht um eine, zwei oder drei Salven; er und sein stählerner Kollege werden den ganzen Nachmittag weitermachen, nur mit kurzen Unterbrechungen. Sie werden die Kreuzung Straße des 17. Juni / Ebertstraße vor dem Brandenburger Tor räumen. Zentimeter um Zentimeter, Teilnehmer um Teilnehmer, Liter um Liter.

Das findet in Sichtweite der Parlamentarier statt, die sich drinnen im Reichstag gerade anschicken, ein Gesetz zu beschließen, in dem der historisch belastete Begriff „Ermächtigung“ zwei Dutzend mal vorkommt. Darüber kann man zumindest lautstark diskutieren. Und hier zeigt sich: Immer wieder weisen Abgeordnete der GroKo diesen Begriff entrüstet zurück, dabei sind sie im Großen und Ganzen die Einzigen, die ihn benutzen. Es ist der bekannte Trick: Dem politischen Gegner Affinität zum Dritten Reich unterstellen – und schon geht alles durch. Und während drinnen mit Hilfe dieser Methode eine bemerkenswert große Mehrheit hergestellt werden konnte, wird der Meinungskampf draußen mit anderen Mitteln geführt. Aber auch da soll nicht diskutiert werden. 

Die Bilder, die dabei entstehen, sind nicht deshalb so unglaublich, weil Wasserwerfer und Pfefferspray unendlich brutal wären, sondern weil man so etwas in dieser Republik nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Ich bin Berliner und habe eine lange Leidenserfahrung. Jedes Jahr am ersten Mai erwarte, ja ersehne ich regelrecht die marineblauen Stahlwalzen, die die randalierende Meute stoppen könnten. Zwar setzt auch hier die Polizei temporär Gewalt ein, aber ein derart kontinuierlicher Gewalteinsatz vor den Augen der Welt – das ist nicht mehr denkbar. 

Bei jeder anderen Demonstration hätten die heutigen Bilder ein Presse-Echo sondergleichen erzeugt, das der Polizei binnen Minuten Einhalt geboten hätte. Ich sah Kinder in Regenjäckchen um den Hals ihrer Mutter, als die Salve gerade vorbeizog, Rentner die mithilfe des roten Kreuzes verzweifelt versuchten, mit Wasserflaschen ihre hochroten Augen zu säubern. Ich sah Polizisten mit Kanistern auf dem Rücken und den Sprühgeräten in der Hand, die Tränengas gegen Bürger verspritzen, gegen Sitzblockaden junger Frauen. Und immer wieder: Blu 2 wirft und wirft und wirft. Nicht dass ich das für Argumente hielte, aber bei jedem anderen Demozug sähe man diese Bilder auf allen Kanälen zum quängelnden Ton der Reporter. Hier wird mit medialem Schweigen Zustimmung vermittelt. 

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores herrscht Leere. Weniger als hundert Gegendemonstranten stehen hier in der Mitte des Pariser Platzes weiträumig abgesperrt von weiteren Corona-Demonstranten unter den Linden. Beide Seiten beschimpfen sich über Megaphon und Sprechchöre. Die Antifa sieht sich paradoxerweise staatstragend, man fühlt sich gut mit der Staatsmacht im Nacken, die im Hintergrund räumt und räumt und räumt. Das – man weiß nicht ob maskierte oder nur maskentragende – Häufchen skandiert „Impfen ist Liebe“ und „Geradedenken“ als gar nicht mal so ungelungene Antwort auf „Querdenken“.

Dieses Mal ist eben alles anders. Die Staatsmacht auf der anderen Seite will diesen Platz gar nicht heimlich räumen, sie will, dass die Welt sieht, was sie tut. Die Wasserwerfer halten nicht auf die erste Reihe der Krawallmacher, die auch mal eine Glasflasche geworfen haben. Sie zielen weit, weit in die Luft, man kann die Fontänen kilometerweit sehen. Nicht nur die Krawallmacher in der ersten Reihe sollen zurückgedrängt werden, jeder soll zumindest mal nass werden. Die Staatsmacht soll man offensichtlich spüren können. Nicht mal der unter dem Brandenburger Tor abgeschirmte Pressebereich bleibt verschont. Wir kommen klitschnass von der Demo nach Hause, und ich habe es beim besten Willen nicht darauf angelegt. „Beregnen“ nennt das die Polizeiführung per Twitter. Es ist der pure Hohn in einem menschenfeindlichen Ton, der nicht zum Rechtsstaat passt.

Es ist überraschend, wie unsensibel der Berliner Innensenator und seine weibliche Polizeiführung ist. Im Grunde genommen – ich bin hier wie gesagt, vorbelastet – habe ich Verständnis für die Polizei, auch dafür, dass sie Gewalt einsetzt. Was die Beamten jeden Tag unter schwersten Bedingungen leisten müssen – da billigt man ihnen das Recht zu, mehr Gewalt einzusetzen. Es erleichtert ihnen nicht nur das Leben, es schützt auch ihr Leben.

Aber warum ausgerechnet hier, ausgerechnet heute? Es war die Corona-Demo mit den bisher wenigsten Reichsflaggen, die ich gesehen habe, mit den wenigsten beleidigenden Sprechchören. In einer Stadt wie Berlin, die so viele Probleme hat, bei denen uns der Senat immer sagt, er könne nichts dagegen tun. Er würde ja gerne durchgreifen gegen Clankriminalität und Linksextremismus, aber der Rechtsstaat erschwere die Wege ja so ungemein. Ausgerechnet in dieser Stadt will man ein Exempel statuieren?

Und das wollte man zweifelsohne. Als die Demo noch läuft, stehen die Wasserwerfer in Sichtweite zur Demonstration, das Ziel im Visier mit laufendem Motor. Gepanzerte Bundespolizeifahzeuge stehen gut sichtbar, Gefangenentransporter rollen langsam auf die Demo zu. Auf dem Mittelstreifen der Straße „Unter den Linden“ stehen Mannschaftswagen der Polizei Spalier. Ist das noch Berlin oder schon Minsk? Die Bilder drängen sich auf. Auch das staatliche Fernsehen aus Berlin berichtet nicht darüber.

Derweil werden im Bundestag Minister „bedrängt“. Wohl von der AfD in den Bundestag eingeladene Besucher, was ihnen schwer zur Last gelegt werden wird, sprechen Bundesminister Altmaier ebenso direkt wie unfreundlich an, und schon ist die Republik aufs Äußerste erzürnt, und alle Medien schreiben über den Angriff auf die Demokratie. Darüber geht das gerade verabschiedete Gesetz und seine Problematik unter. Man spürt geradezu die Erleichterung: Nicht mehr über das neue Gesetz wird geschrieben und gesendet, sondern über ein ungebührliches Auftreten.

Dass bislang die Grünen den Bundestag immer wieder als Bühne für Demonstrationen und Manifestationen benutzt haben – vergessen. Die dürfen das. Andere nicht. Die Bilder regieren eben. Das machten spätestens die Ereignisse nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd klar. Gegen sie kommt kein Argument mehr durch, ihre Herrschaft ist absolut. Kein Polizist traut sich mehr, einen Schwarzen auch nur böse anzuschauen, schließlich könnte ihn ja jemand filmen. Kameras sind mächtiger als Wasserwerfer, und weil es hier und heute so viele Kameras gab, hätte man gedacht, dass „Blu 2“ klein bei geben muss – musste er aber nicht. Die klammheimliche Freude der Redakteure war auf ihrer Seite. 

Es sind nicht die Beamten, die das wollen, das ist klar, sie werden auch zu unrecht von den Corona-Demonstranten angepöbelt und beleidigt. Nein, die Polizisten sind wirklich nicht das Problem. Aber die Regierung, die zahmen Oberpazifisten und Polizeigegner, die wollen es auf einmal so. Sie und die linkslastige Presse suhlen sich geradezu in der Gewalt der Staatsmacht. Die aufgekärten Polizeigewalthinterfrager lernen die Macht des Knüppels lieben. Und das ist ebenso paradox wie besorgniserregend. 

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