Tichys Einblick
Sommerliche Vorwahl-Gedanken

Deutschland im Sommerschlaf – Wahlkampf wird Wettstreit der Märchenerzähler

Ganz Deutschland ist in Sommerlaune: mit der Reise in den Urlaub wird es auch irgendwie klappen und – Corona hin oder her – dann geht das Leben auch wieder weiter. Es ist eine Gaukelei.

Reichstagsgebäude in Berlin

IMAGO / xim.gs

Halt, war da nicht noch was? Ach ja, Ende September werden die Deutschen wieder einmal zu den Urnen gerufen. Bundestagswahlen stehen an. Ingesamt sind es 87 Parteien, die sich um die Gunst der Wähler bemühen. Doch schon jetzt scheint klar zu sein, wer sich Chancen aufs Regieren ausrechnen kann. Schwarz-Grün-Gelb, Grün-Schwarz-Rot, Schwarz-Rot-Grün, Schwarz-Rot-Gelb – irgendwas wird schon rauskommen. Und wie der Wahlkampf sich anlässt, scheint das Ergebnis auch gar nicht so wichtig zu sein. Alle versprechen ein flottes Weiter-so! Mehr noch, alles wird noch viel besser. Keine Steuererhöhungen, eher Erleichterungen für Viele, am Merkel-Kurs wird festgehalten, egal, was die Menschen davon halten. Ach ja, ganz groß geht’s dann an die Bewältigung des Klimas. Runter mit den CO2-Ausstößen, zu denen bekanntermaßen Deutschland weltweit ganze knappe zwei Prozent beiträgt. Aber die nächste große Energiewende zu noch mehr Erneuerbaren und dem neuen Wundermittel Wasserstoff wird die Tür zum Paradies aufstoßen.

Eine kleine spöttische Bemerkung sei an dieser Stelle gestattet: Bei der Reduzierung der CO2-Emissionen verhält sich die Industrienation Deutschland wie ein Kleinkind von zwei Jahren, das glaubt, mit einem Eierbecher den Wannsee leer schöpfen zu können. Voller Staunen und offenbar unbelehrbar schaut der Rest der Welt uns gespannt zu. Sowas nennt man klassische Vogel-Strauß-Politik. Dieser schöne Vogel glaubt nämlich auch, wenn er den Kopf in den Sand steckt, sei er unsichtbar geworden.

Wenn einer die bange Frage stellt: „Kostet denn diese Transformation unsere Gesellschaft nicht Unmengen Geld?“, wird er von der Politik schnell beruhigt: „Dafür haben wir doch die vielen Reichen, die müssen eben etwas rausrücken. Mehr als ein Steak am Tag können die doch auch nicht fressen.“ Ganz nebenbei erfährt der deutsche Michel dann noch, dass der Fortschritt natürlich mit einer Änderung seiner Lebensweise verbunden sein müsse. Und schließlich: Wer nicht hören will, also die Unvernünftigen und Ewiggestrigen, muss eben fühlen. Aber dazu später mehr, jetzt ist erst mal Sommer.

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Schön wäre es, könnte man die Geschichte so locker-flockig weiter erzählen. Doch dann wäre man noch zynischer, als die, die sie uns vorgaukeln. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob die politisch Verantwortlichen überhaupt wissen, wie große Teile der Bevölkerung wirklich denken. Jede Mücke wird zum Elefanten aufgeblasen, doch dass mittlerweile über 50 Prozent der Deutschen das Vertrauen in die Politik verloren haben und 2/3 Angst davor haben, ihre Meinung offen zu äußern, bekümmert den Mann im Schloss Bellevue ebensowenig wie die Kartellparteien, die großen Verbände oder die Kirchen. Es scheint so, als schwömmen die Eliten dieses Landes in einer dicken Blase über dem See, ohne zu wissen, was in diesem vorgeht.

Warum sagt niemand nur einige der vertuschten Wahrheiten? Dass zum Beispiel der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung bereits im Jahr 2023 zu massiven Versorgungsmängeln der deutschen Industrie führen wird, der nur durch teure Einkäufe und Abhängigkeit von Dritten wettgemacht werden kann. Fachleute, die kaum zu Wort kommen, prophezeien schon jetzt Stromsperren und unterschiedliche Nutzertarife während des Tages. Gleichzeitig wird die deutsche Autoindustrie, bislang die Krone unseres Exportes, systematisch konkurrenzunfähig gemacht. Dann stellt sich die brennende Frage des Rentendesasters. Auch hier wird die Wahrheit bemäntelt und weiter wider besseres Wissen auf Schönwetter gemacht.

Kommt es zu kriminellen Ausfällen von Gästen dieses Landes, wird ungeachtet offenkundiger Belege tagelang herumpalavert, ob möglicherweise doch islamischer Fundamentalismus das Motiv war oder doch wohl lieber psychische Verirrung. Niemand ist ein Rassist oder noch schlimmeres, wenn er die importierte fanatische Gewalt einiger religiöser Extremisten erkennt und beim Namen nennt. Die Chefs der Dienste, die für die innere Sicherheit stehen sollen, mussten seit 2015 gleich in Serie ihren Hut nehmen. Wer das alles so weitertreibt und im Bewusstsein handelt, nur er verfüge über die Gabe der fortschrittlichen Weisheit, legt die Axt an die Wurzel der Demokratie und trägt dazu bei, Kräfte rechts- und linksextremer Gestalt zu wecken.

Wie schön wäre es doch, wenn die auf unseren Gebührengeldern surfenden Manipulateure des öffentlich-rechtlichen Fernsehens diese Kernprobleme mal aufgreifen würden. Doch dazu müsste man sich ja kundig machen und mutig sein. Dann doch lieber Gender-Plaudereien und Empörung über die freie Brust weiblicher Skulpturen aus einem vergangenen Jahrhundert. Gesinnung kostet ja nichts und hört sich auch gut an.

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