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Umfrage

„Deutsche wollen wehrhaften Frieden“ – wirklich? „Allensbach“ war schon mal interessanter

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe das Weltbild vieler Deutscher verändert, so Renate Köcher vom Allensbacher Institut. Der Glaube an Abrüstung als Mittel zum Frieden sei geschwunden. Josef Kraus hat sich die Studie näher angeschaut – und hätte sich mehr Tiefgang gewünscht.

Friedensdemo in Berlin am 13. März 2022

IMAGO / Marius Schwarz

„Deutsche wollen wehrhaften Frieden“, so überschreibt Renate Köcher, Direktorin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), ihren Beitrag vom 27. Mai 2022 im regelmäßig erscheinenden „FAZ-Monatsbericht“. Im Vorspann dazu heißt es: „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Weltbild vieler Deutscher verändert. Der Glaube an Abrüstung als Mittel zum Frieden ist geschwunden. Doch zwischen West und Ost gibt es signifikante Unterschiede.“

Wir haben uns die in diesem Beitrag referierten Zahlen genauer angeschaut und (vergeblich) versucht, Details dazu anhand des IfD-Netzauftrittes zu finden. Einige Details gefunden haben wir nur dort: Aber das sind Daten vom 1. Februar 2022, also rund drei Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine.

Also mussten wir uns mit den relativ wenigen Zahlen begnügen, die die Autorin Köcher in ihren FAZ-Text eingebaut hat. Wir kollationieren diese IfD-Zahlen/Angaben in von uns selbst erstellten Tabellen und reduzieren die Frage auf den Kern.

Ferner schreibt Renate Köcher mit Bezug auf Deutschland insgesamt und ohne Differenzierung nach West/Ost: „57 Prozent vertreten die Position, dass man bereit sein muss, sein Land und die Freiheit mit allen Mitteln zu verteidigen.“

So, recht viel schlauer sind wir jetzt auch nicht. Das sind Ergebnisse, wie man sie erwartet hatte. Die Zurückhaltung der Ostdeutschen in solchen militärpolitischen Fragen korreliert mit der Russlandaffinität vieler Ostdeutscher und hier wiederum mit ihrer Affinität zur AfD und zur Links-Partei. Beide Parteien sind in Sachen „Ukraine“ und Nato ja bei aller sonst weit entfernten politischen Verortung hier wenig voneinander entfernt. Und umgekehrt: Weil die „Grünen“ in Ostdeutschland keinen guten Stand haben, gibt es dort auch wenig Sympathisanten mit der neuen „grünen“ und im Moment gar nicht mehr so pazifistischen Sicherheitspolitik eines Robert Habeck, einer Annalena Baerbock oder eines Anton Hofreiter.

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Wir hätten uns überhaupt etwas mehr Tiefgang bei der IfD-Umfrage gewünscht. Zum Beispiel wäre es interessant gewesen, die Antworten differenziert auszuwerten nach Alter, Geschlecht, Bildungsstand. Sinnvoll wären auch Fragen wie die folgenden gewesen: Wie stehen Sie zum 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr? Wie stehen Sie dazu, dass Deutschland 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben soll? Sind Sie für die Wiedereinführung der Wehrpflicht? Welche Politiker/Parteien sind in Sachen Sicherheitspolitik am glaubwürdigsten?

Sehr interessant wäre auch die Frage gewesen, die das Gallup-Institut weltweit gelegentlich stellt. Dort fragt man in über 60 Ländern: „Wären Sie bereit, für Ihr Land zu kämpfen?“ Die letztverfügbaren Daten haben wir aus dem Jahr 2015. Danach stehen unter den befragten 68 Ländern die islamisch geprägten ganz oben – mit Prozentanteilen von 70 bis über 90 Prozent. Deutschland liegt mit 18 Prozent auf Platz 66, knapp hinter Österreich (21 Prozent) und Italien (20 Prozent). Schlusslichter sind die Niederlande (15 Prozent) und Japan (11 Prozent).

Interessant – zum Teil aber auch lückenhaft – ist Renate Köchers zeitgeschichtlicher Rückblick auf die Haltung der Deutschen (hier West) zu Rüstungs- und Verteidigungsfragen. Die entsprechenden IfD-Daten zu damaligen Befragungen fassen wir ebenfalls in eigene Tabellen zusammen.

Diese Zahlen zeigen, welche Flexibilität den „Grünen“ mittlerweile zugestanden wird. Dass die „Grünen“ heute fast schon bellizistisch auftreten, hat ihre Wählerschaft nicht vergrault. Im Gegenteil: Die letzten beiden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in NRW haben ihnen inmitten des Ukraine-Krieges zum Teil erhebliche Zuwächse gebracht. Man vergesse dabei nicht: Die „Grünen“ sind einst maßgeblich aus der Friedensbewegung hervorgegangen.

Etwas schief liegt Renate Köcher, wenn sie die deutsche Zustimmung zum Streit um den Nato-Doppelbeschluss zwischen 1979 und 1983 allein Helmut Kohl (CDU) zuschreibt und meint, die SPD habe damals eine „Kehrtwende ihrer Sicherheitspolitik“ vollzogen. Ohne das Verdienst Kohls zu schmälern: Es war Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der die deutsche Zustimmung zum Nato-Doppelbeschluss initiierte. Sehr zum Leidwesen seiner SPD. Und auch heute fremdelt die SPD wieder mit Sicherheits- und Militärpolitik. Das Herumlavieren von Kanzler Scholz ist Beleg dafür.

IfD-Momentaufnahme hin oder her: Wir werden noch sehen, ob sich in Sachen Sicherheitspolitik/Nato/Bundeswehr tatsächlich unter den Deutschen wieder mehr „wehrhafter“ Realitätssinn ausbreitet. Abhängen wird das vom Ausgang des Krieges in der Ukraine und vor allem davon, welche monetären Auswirkungen dieser Krieg auf den Geldbeutel der Deutschen hat. Der stramme Pazifismus der Deutschen dürfte noch lange nicht gänzlich überwunden sein.