Tichys Einblick
Politisch neutral?

Der Verfassungsschutz als Instrument gegen Unerwünschte?

Teils ist die AfD selbst schuld, weil sie extreme Mitglieder zu lange gewähren lässt. Teils wird der Verfassungsschutz aber von den anderen Parteien instrumentalisiert gegen eine lästige Konkurrenz.

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Schon seit Monaten rufen Politiker der etablierten Parteien immer lauter nach einer Verfassungsschutzbeobachtung der AfD. Besonders nach den Chemnitz-Protesten Ende August, als die AfD in Umfragen bei etwa 17 Prozent stand, steigerten sich das zu einem vielstimmigen Chor: „Der VS muss endlich her!“. Aber es gab auch vereinzelt mahnende Stimmen. Hessens Innenminister warnte davor, bei der Forderung nach einer VS-Beobachtung „in einen Überbietungswettbewerb einzutreten, der letztlich nur einen falschen Opfer-Mythos der Rechten in der Bundesrepublik befördert“. Immer neue Forderungen hinterließen den „fatalen Eindruck“, die Sicherheitsbehörden würden „auf den Fingerzeig der Innenministerien“ hin tätig.

In der Tat wäre es fatal, wenn der Eindruck entstünde, der Verfassungsschutz werde von Ministern, die CDU, SPD oder anderen „Altparteien“ angehören, als politisches Instrument gegen eine lästige neue Konkurrenz von rechts eingesetzt und missbraucht.

Die AfD-Spitze hat – spät, aber doch – die Gefahr erkannt, die von einer VS-Beobachtung für ihre Partei ausgeht. Erst vor fünf Jahren gegründet, ist die AfD in einer beispiellosen Siegesserie in den Bundestag und in alle Landesparlamente eingezogen, doch nun könnte eine neue, schwierige Phase beginnen. Falls der VS die Partei offiziell zum „Beobachtungsobjekt“ erklärte, kämen sehr viele Parteimitglieder unter Druck, vor allem aber Beamte wie Polizisten und Lehrer oder Soldaten: Entweder sie beenden ihr AfD-Engagement und treten aus, oder sie müssen mit Sanktionen rechnen, unangenehme Gespräche mit Disziplinarvorgesetzten, Versetzungen, Beförderungssperren etc.

Die VS-Beobachtung hat eine stigmatisierende Wirkung, darauf kommt es vor allem an. Auf diese Art wurden in den 1990ern die damals regional erfolgreiche Partei „Die Republikaner“ ins politische Abseits geschoben, weil gemäßigte Mitglieder die Partei verließen und Radikale zunehmend das Gesamtbild dominierten. Zwar klagte die Partei bis hinauf vor das Bundesverfassungsgericht und bekam sogar ganz am Ende recht. Die Beobachtung durch den VS, so entschied Karlsruhe, musste eingestellt werden – aber da war die Partei politisch schon längst erledigt.

In der Zwickmühle
Die AfD zwischen ihren Extremisten und dem Verfassungsschutz
Ein solches Schicksal will die AfD-Spitze vermeiden. Am Montag traten die Parteichefs Jörg Meuthen und Alexander Gauland in Berlin vor die Presse und wandten sich gegen die angedrohte Beobachtung. Die AfD sei „durch und durch eine Rechtsstaatspartei“, sagte Meuthen. „Wir stehen felsenfest auf dem Fundament der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ Seine Partei kämpfe gegen Rechtsverstöße der anderen Parteien und der Regierung, etwa bei der Euro-Rettung oder in der Migrationspolitik. Das allerdings ist nicht mehr als die Wiederholung von Erklärungen in der Vergangenheit.

Dem beurlaubten Wirtschaftsprofessor Meuthen kann man abnehmen, dass er mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Das gilt aber nicht für alle in der Partei. Meuthen musste selbst zugeben, dass die AfD problematische unter ihren mittlerweile 33.000 Mitgliedern hat. Die AfD habe in den vergangenen Wochen mehrere problematische Mitglieder dazu bewegt, die Partei zu verlassen. Wo dies nicht freiwillig gelinge, müsse man ein Parteiausschlussverfahren anstrengen.

Etwa den antisemitischen baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Gedeon oder den Göttinger Jungfunktionär Steinke, der den Hitler-Attentäter Stauffenberg als „Feigling“ und „Verräter“ beschimpft hat, will die Partei so loswerden. Die Jugendorganisation JA hat ihren niedersächsischen Landesverband aufgelöst, der unrettbar mit Extremen durchsetzt war. Die AfD werde sich aber durch eine möglicherweise drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz „nicht in eine Welle von Ausschlussverfahren hineindrängen lassen“, fügte Meuthen hinzu.

In diese Situation platzte die Äußerung des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke. Die Furcht vor dem Verfassungsschutz sei „politische Bettnässerei“, polemisierte Höcke auf einem Landesparteitag am Wochenende. Dass Höcke angesichts einer realen Gefahr wieder verbal zu kraftmeiern und zu zündeln begann, gefiel dann auch Parteichef Alexander Gauland nicht, der sich von Höckes Worten deutlich distanzierte. Falls die Partei gänzlich auf die schiefe Bahn geriete und abrutschte, könnten sich die Mitglieder bei Verbalradikalen wie Höcke bedanken.

Dass viele Medien wie auch die etablierten Parteien, der missliebigen Rechtspartei lieber heute als morgen das Ende bereiten würden, zeigt auch eine Begebenheit am Wochenende. Der umstritten privat und öffentlich-rechtlich kofinanzierte Rechercheverbund von WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ verbreitete Freitagabend die Meldung, die AfD habe ein Gutachten bei dem Staatsrechtler Dietrich Murswiek bestellt, der ihr selbst ein „erdrückendes“ Urteil ausgestellt habe.

„Ein Eigentor“ sei das Gutachten, Murswiek selbst habe nahegelegt, dass die Partei ein Fall für den Verfassungsschutz sei. „Dieser Eindruck ist falsch“, schrieb Murswiek in einer Pressemitteilung. Er habe sich überhaupt nicht mit der Frage befasst, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden solle – vielmehr habe er allgemein untersucht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Verfassungsschutz eine politische Partei beobachten dürfe.

Dass inzwischen das Vertrauen in die Neutralität des VS angekratzt ist, hängt auch mit der Causa Maaßen zusammen. Just in der Zeit, als der Kampf um die AfD seinem Höhepunkt zusteuert, wurde Hans-Georg Maaßen als Präsident abgesägt. Der BfV-Chef hatte gewagt, die vom Regierungssprecher in die Welt gesetzten „Hetzjagden“ in Chemnitz als Erfindung linker Desinformation zu beurteilen, denn das betreffende kurze Videoclip aus der sächsischen Stadt hatte ein Twitterer namens „Antifa Zeckenbiss“ in Umlauf gebracht und die Szene zeigte auch mitnichten „Hetzjagden in Chemnitz“, sondern nur eine einzige kurze Auseinandersetzung. Auch die sächsische Landespolizei, die Staatsanwaltschaft und die örtliche Chemnitzer Zeitung hatten bestätigt, dass es keine „Hetzjagden“ gegeben habe, allerdings eine extrem aufgeheizte, aggressive Atmosphäre und vereinzelte Übergriffe. Maaßen wurde zum Verhängnis, dass er der Regierungsversion über die Chemnitz-Proteste wiederholt wiedersprach.

Der konservative Top-Jurist weiß, von wem die wirklichen Gefahren für Sicherheit und Demokratie in Deutschland ausgehen: vorrangig von Islamisten und islamistischen „Gefährdern“ – immerhin schon fast 600 solche potentiellen (meist eingewanderten) Terroristen gibt es im Land. Maaßen warnte zusammen mit den Chefs der anderen Sicherheitsbehörden, Bundespolizei und BND, dass Merkels Grenzöffnung im Herbst 2015, die Willkommenskultur und die unkontrollierte Aufnahme von Hunderttausenden jungen Männern aus islamischen Krisengebieten, die meist ohne oder mit gefälschten Papieren kommen, terroristische Gefahren deutlich erhöht haben.

Nun wird also ein neuer BfV-Präsident installiert. Man darf eher davon ausgehen, dass dieser nicht so eigensinnig und unabhängig ist wie Maaßen. Ein neuer VS-Chef könnte den Weg dafür ebnen, dass die „Altparteien“ die von ihnen gewünschte stigmatisierende Beobachtung der lästigen rechten Konkurrenz, die ihnen Stimmen wegnimmt, kriegen.

Robert Mühlbauer ist Publizist und schreibt über politische Themen.