Tichys Einblick
Graichen-Demission

Der seltsame Auftritt des Robert Habeck vor der Berliner Presse

An peinlichen Presseauftritten von Ministern herrscht seit der Ampelkoalition in Berlin kein Mangel. Doch zur Demission seines Skandal-Staatssekretärs Graichen bietet Wirtschaftsminister Robert Habeck einen neuen Tiefpunkt samt Griff in die Mottenkiste einer rechten Verschwörung.

Robert Habeck bei der Presseerklärung zur Demission von Patrick Graichen, 17.05.2023

Screenshot / Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Seit Antritt der Ampel-Koalition sind merkwürdige Pressekonferenzen zu einer Normalität geworden. Mit einem Gesundheitsminister Karl Lauterbach und einer Außenministerin Annalena Baerbock ist dies wohl auch nicht anders möglich. Und doch hat es Robert Habeck geschafft: das Statement zur Versetzung Patrick Graichens in den einstweiligen Ruhestand unterbietet selbst das übliche Niveau solcher Veranstaltungen.

Habeck spricht von einer „harten Entscheidung“ für Patrick Graichen. Dabei lautet die erste Nachricht: der Geschasste fällt weich. Der „einstweilige Ruhestand“ ist eben keine fristlose Kündigung, wie sie Kassierern widerfährt, die ein paar Euro aus der Kasse genommen haben, sondern bedeutet mehr als 70 Prozent der bisherigen Bezüge für maximal drei Jahre. Graichen bleibt zumindest dem Steuerzahler erhalten. Auf den 51-Jährigen dürften zudem neue Aufgaben warten. Wie sein Vorbild Rainer Baake dürfte auch Graichen als Seitenwechsler bald wieder in einer Stiftung, NGO oder vielleicht im Kontext eines Unternehmensberaters anzutreffen sein. Denn schließlich gibt es noch viele Weggefährten in Ministerien und NGOs, zu denen er direkten Kontakt pflegt – und Netzwerk bedeutet bekanntlich alles in diesem Metier.

Warum musste Graichen nun gehen, obwohl doch zuvor immer wieder behauptet wurde, dass alles in Ordnung sei? Nicht nur Habeck und die Grünen hatten sich hinter Graichen versammelt. Das sollte nicht wundern: Clan-Kriminalität war für die Grünen bekanntlich immer ein aufgebauschtes Thema. Und nicht nur Freunde in der Presse, sondern auch NGOs wie Lobbycontrol standen helfend zur Stelle.

Eine „starke Lobby von Klimaschutzverhinderern“ nutze die Graichen-Affäre für eigene Interessen. Dieses Narrativ bedient auch Robert Habeck. Er fährt wie in der Befragung am 10. Mai eine Strategie des „Derailing“, heißt, die Diskussion wird vom eigentlichen Thema abgelenkt. So hatte die AfD das Wort „parasitär“ in einer Frage genutzt, und alle Frager wie Befragten konzentrierten sich in der Folge darauf, sich von diesem Begriff abzugrenzen. Nicht Graichen, sondern die AfD saß nun als Schuldiger auf der Anklagebank. Eine ähnliche Strategie fuhr Habeck im Statement. Er blieb bei der Strategie, es habe sich ein „Fehler“ (und nicht etwa ein Verstoß) ereignet.

Und: „Ich möchte hier ausdrücklich sagen: Dass Patrick Graichen in den letzten Wochen über das berechtigte Maß an Kritik und Aufklärung angefeindet wurde, von – mitunter – rechtsextremen Accounts Lügen über die Familie verbreitet und von pro-russischen Accounts weiter gepusht wurden, ist unerträglich. Das macht mir große Sorgen. Ich weiß, das wird nicht das erste und nicht das letzte Mal gewesen sein, aber so können, so dürfen politische Debatten nicht ausarten.“

Auch der Rücktritt Graichens wird damit in den Kontext einer rechten Verschwörung eingeordnet. Ein jakobinischer Reflex: Die glorreiche Revolution wird von heimtückischen Reaktionären sabotiert. Dabei hätte es ohne eine „Ausartung“ der Diskussion einen solchen Schritt vermutlich nie gegeben. Graichens Personalie war bei der Berufung 2021 bekannt, seine verwandtschaftlichen Verflechtungen auch. Es wird noch ein eigenes Thema der Aufarbeitung bleiben, warum die Medien erst den Trauzeugen Graichens und dessen Berufung zum Dena-Chef zum Anlass nahmen, um die Affäre ausführlich zu belichten. Dass Michael Schäfer auch Projektleiter der Agora war, als Graichen dort als Direktor fungierte, wird bis heute eher seltener erwähnt.

Nach dieser Räuberpistole, wonach Rechtsextremisten letztlich Graichen dazu nötigten, gegen Compliance-Regeln zu verstoßen, nun aber zum eigentlichen Filet der kurzen Konferenz. Ausschlaggebend für die Entlassung soll eine Förderung von 600.000 Euro sein, die an den Landesverband BUND in Berlin gehen sollte. Bekanntlich ist Graichens Schwester Verena im Vorstand des BUND – als Stellvertretende Vorsitzende. Sie ist zudem Beisitzerin im Vorstand des BUND in Berlin.

Eigentlich sollte Graichen eine solche Förderung nicht nur nicht unterzeichnen. Sie sollte ihm auch nicht vorgelegt werden. Stichwort: bereits der Anschein von Vorteilsnahme, nicht die tatsächliche, ist zu vermeiden. Habeck versucht zu entschuldigen: die Abzeichnung sei in den Zeitpunkt der Hochphase der Krise gefallen, es habe eine hohe Arbeitslast gegeben. Es sei der „eine Fehler zu viel“ gewesen, weshalb Habeck diese Entscheidung getroffen habe. Es gehe darum, das Vertrauen in die Arbeit des Ministeriums „als Institution zu schützen“ und die „politische Handlungsfähigkeit“ zu wahren.

Es ist jedoch nur einer von zwei Fällen. Dabei ist der zweite nicht weniger interessant. Er liege in einem „Graubereich“, wie Habeck diagnostiziert. Bei der Besetzung der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring, bei der auch Felix Matthes als Experte beauftragt wurde. Der Vorgang liege länger zurück, doch auch hier würde die „vertiefte“ Prüfung zum Schluss kommen, dass der Vorgang Graichen nicht ent- sondern belaste. Der Vorwurf der Parteilichkeit stehe im Raum.

Dabei vermeidet es Habeck, genauer auf den Fall einzugehen. Beim Zuhörer bleibt hängen, dass hier etwas schiefgelaufen sei. Ein neuer „Fehler“. Aber welcher? Womöglich geht Habeck nicht auf Details ein, weil er genau weiß, dass dies zu einem neuen Domino-Effekt führen könnte.

Denn Matthes ist nicht nur Forschungskoordinator am Öko-Institut, wo die Graichen-Geschwister Verena und Jakob arbeiten. Er ist auch verheiratet mit Regine Günther, der Leiterin der Stiftung Klimaneutralität. Die Stiftung, die vom Agora-Gründer und Ziehvater Patrick Graichens, Rainer Baake, ins Leben gerufen wurde; in der Hal Harvey sitzt, der Schöpfer der ClimateWorks Foundation, European Climate Foundation und Climate Imperative Foundation, die Millionen an die Agora und andere grüne NGOs ausschütten; dessen Vorsitzender Bernhard Lorentz die Mercator Stiftung auf grünen Kurs brachte; in der mit Justin Johnson ein Vertreter von Chris Hohns Children’s Investment Fund Foundation (CIFF) sitzt.

Die letzte Nachricht der Pressekonferenz lautet daher: Habeck weiß, dass es unter dem Kessel noch genügend brodelndes Material gibt. Und dass er sich nicht nur an Graichen die Finger verbrennen könnte, wenn endlich die großen Medien das Netzwerk genauer unter die Lupe nehmen, für das Graichen nur ein bloßes Aushängeschild war. Denn klaffende Wunden gibt es genügend im Vetternwirtschaftsministerium. Da hilft auch kein Ablenken mit einer russophilen Nazi-Intrige. Wer sich in Verschweigen und Verschwörungen flüchtet, muss ziemlich angeschlagen sein.

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